Abdul

[201] Der mächtige Schach Abdul saß

Auf Cores Thron, als in dem Reiche

Das Feuer einer faulen Seuche

Das Volk bey Miriaden fraß.

Der Heilkunst emsigstes Bestreben

Erhielt nicht eines Kranken Leben:

Sie welkten alle wie das Gras.

Um dieses Ungemach zu heben,

Lud einst der Schach den Divan vor.

Allein man schwieg zu seinen Fragen.

Der Mufti kratzte sich das Ohr:

Der Kanzler glaubte viel zu sagen,

Und sagte nichts. Zuletzt ward auch

Der Arzt gefragt: wir wissens alle,

Sprach er mit vorgestrecktem Bauch,

Der Sitz des Uebels ist die Galle:

Die zeugt die Krankheit und den Tod;

Doch wer kann die Natur beschwören? –

Freund, damit hat es keine Noth,

Rief der Monarch, du sollst es hören.

Sogleich erscheinet ein Mandat,

Daß jedem Herrn und jedem Sklaven,[202]

Bey martervollen Lebensstrafen,

Ein Kind, das eine Galle hat,

Zu zeugen, förmlich untersagte. –

Ihr Abdul war ein wildes Thier,

Ein Satan, den die Mordlust plagte!

So fiel mir unser Pfarrer hier

Ergrimmt ins Wort. Ich mußte lachen:

Dem guten Mann kam nicht in Sinn,

Daß er und sein Sankt Augustin

Den lieben Gott zum Abdul machen.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 201-203.
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