Almanzur

[204] In Bagdad kam einst zum Califen

Ein Iman mit geheimen Briefen

Von Menas heilgem Scherif an:

»Ich sende dir den grösten Meister

In der Magie, den Menschen sahn;

Die guten und die bösen Geister

Sind seinem Machtwort unterthan.«

So lauteten die goldnen Zeilen.

Der Sultan hieß den Wundermann

Entzückt an seinem Hofe weilen,

Erwies ihm täglich neue Gunst

Und bat ihn einst, von seiner Kunst

Ihm eine Probe mitzutheilen.

Der Seher willigte darein.

Almanzur schlich am Arm des Gastes,

Bey der Gestirne heiterm Schein,

Sich in den Garten des Pallastes.

Ein Anger im Granatenhayn,

Geziert mit plätschernden Najaden,

Tritonen, Faunen und Dryaden,

War schon zum Schauplatz ausersehn.

Der Herrscher mußte sich bequemen,[205]

In einem schwarzen Kreis zu stehn,

Und in den Mund den Ring zu nehmen,

Den Moses einst am Daumen trug.

So stand er, als der Wunderthäter

An eine Gruppe Nymphen schlug.

Sogleich ertönet Ach und Zeter

Wie Donner in des Fürsten Ohr.

Die Nymphen, die verschwunden waren,

Ersetzt ein abgehärmtes Chor

Von Wittwen mit zerstreuten Haaren,

Die Brod von dem Despoten flehn,

Und ihre Brust in Thränen baden,

Die sich in schrecklichen Cascaden

Zuvor nach Gottes Himmel drehn.

Nun rührt des Thaumaturgen Gerte

Den Schädel eines Drachen an,

Der einem Lamme, das sein Zahn

Mit Höllenwuth in Stücken zerrte,

Das Mark aus den Gebeinen sog.

Wie groß war des Monarchen Schrecken,

Den Reichsvezier, der ihn erzog,

Im Ungeheuer zu entdecken,

Und in dem Lamm ein junges Weib,

Dem er mit Gift das Leben raubte,

Weil es ihm nicht zum Zeitvertreib[206]

Den Scherz des Ehebruchs erlaubte.

Um den Califen zu zerstreun,

Der plötzlich einen Teufel glaubte,

Ergriff der Iman einen Stein

Und warf ihn in den nahen Hayn.

Auf einmal drangen alle Dirnen

Des Harems auf den Sultan ein.

Verzweiflung stand auf ihren Stirnen;

Und während sie mit wildem Graus

Die goldnen Ketten, die sie trugen,

Verdammten gleich, zusammenschlugen,

Rief eines der Gespenster aus:

Gieb uns, Barbar, gieb uns die Brüder,

Die Eltern, die Geliebten wieder!

Nimm uns die Fesseln weg, Barbar! –

Barbar! scholl es durch alle Bäume

Dem Chore nach, und wie die Träume

Beym Donnerschlag verschwand die Schaar.

Der Sultan wär auch gern verschwunden:

Doch gleich dem Marmor starr und bleich,

Hielt ihn des Meisters Glück gebunden,

Der langsam einen klaren Teich,

In dem ein Heer Forellen spielte,

Sich naht, und in der blauen Fluth

Mit seinem goldnen Stabe wühlte,[207]

Schnell wandelt sich der Teich in Blut.

Auf seinen rothen Wogen schwammen

Zehntausend Leichen voller Schrammen;

Dem fehlt ein Arm, dem fehlt ein Bein:

Dem floß das rauchende Gehirne,

Wie Milch aus der zerspaltnen Stirne:

Und dem enthüllt des Mondes Schein

Das Herz in seiner offnen Höle.

Der Iman winkt, und jede Seele

Kehrt in ihr morsches Haus zurück.

Mit Todesangst im stieren Blick,

Mit röchelnder verschlemmter Kehle

Ruft jeder Leichnam: wehe dir!

Weh dem Erobrer, der, wie Rehe,

Die Menschen hetzte! wehe, wehe!

Gekrönter Henker, wehe dir! –

Hier sank der Fürst. Drey bange Stunden

Lag er in dumpfer Todesnacht;

Und als er wieder aufgewacht,

War Iman und Gesicht verschwunden.[208]

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 204-209.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
Politische Fabeln und Erzählungen in Versen
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 2 (German Edition)
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 1 (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon