Der Storch zu Delft

[170] An Schlossers Gattin.


Nicht Moriz oder Barneveld,

Auch Tromp und Ruyter nicht,

Ein Storch, o Freundin, ist mein Held,

Wenn man von Holland spricht.


Ich scherze nicht. In Delft geschah

Die fromme Heldenthat;

Dank sey dem Edeln, der sie sah,

Und aufgezeichnet hat.


In einem fürchterlichen Brand

Ergriff auch einen Thurm,

Auf dem ein volles Storchnest stand,

Der Flamme wilder Sturm.


Vergebens strebt die Mutter lang,

Der Jungen zartes Paar

Zu retten. Unerschüttert rang

Ihr Muth mit der Gefahr.
[171]

Allein die unerfahrne Brut

Entzieht, von Angst gedrängt,

Sich ihrer Hülfe, bis die Glut

Ihr dürres Bette sengt.


Noch wars der Mutter leicht zu fliehn,

Doch ganz in sich gekehrt,

Legt sie sich auf die Kinder hin

Und wird zugleich verzehrt.


Des Löschers nasses Auge sahs

Und welk sank ihm die Hand.

Der Nachbar sah es und vergaß

Des eignen Daches Brand.


Nicht Moriz oder Barneveld,

Auch Tromp und Ruyter nicht,

Der Storch zu Delft, der ist mein Held

Wenn man von Holland spricht.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 170-172.
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