Der Uhu und die Fledermaus

[187] Gehüllt in seinen grausen Schleyer

Saß einst auf einem Klosterdach

Ein Uhu, sann in stiller Feyer

Der Quadratur des Zirkels nach,

Und orgelte mit dumpfer Kehle

Just sein entzücktes Hevrika!

Als eine Speckmaus in der Höhle

Des Glockenthurms, den Cynthia

Versilberte, vom Durst der Seele

Nach Licht gedrängt, ihr Nest verließ

Und auf das Dach herunter tauchte.

Er packte sie so vest beym Vließ,

Daß sie nur einen Druck noch brauchte,

Um todt zu seyn. Was! rief er aus,

Darf eine schnöde Fledermaus

Die Zirkel Archimeds zerstören!

Stirb, Frevlerin! – Das Mäuschen schrie:

Gestrenger Herr! laß meine Zähren

Im Namen der Philosophie

Dich um Barmherzigkeit beschwören!

Auch meinen Geist beschäftigt sie,

Mein Auge späht den Gang der Sphären:[188]

Kurz, ehe mich dein Zorn geschreckt,

Hab ich im Bild des kleinen Bären

Heut einen neuen Stern entdeckt. –

Ich sehe wohl, wir sind Collegen!

Versetzt der Kauz; nun meinetwegen!

Schon dieser Titel reitzet mich,

Der Fakultät zu Ehren, dich

In meinem Magen zu begraben:

Du weist ja, daß zu jeder Zeit

Die Philosophen ungescheut

Einander aufgefressen haben.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 187-189.
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