Der Wegweiser

[135] Die Flur sah Phöbus letzte Strahlen

Des Horizontes düstern Rand

Mit einem dünnen Roth bemalen,

Als sich in einem fremden Land

Ein Pilger, der den Weg verfehlte,

Allein in einem Grund befand,

Von dem man Raub und Mord erzehlte.

Er irret lange bebend fort

Und stößt zuletzt auf einen Ort,

Wo sich zween schmale Pfade scheiden.

Voll neuen Kummers starrt er hier

Und seufzet, ach! wer zeiget mir

Den rechten Weg von diesen beyden?

Sein Auge schweift geschreckt umher

Und weiset ihm von ungefehr

Zur rechten eine hohe Säule

Mit einer ausgestreckten Hand,

Worauf er diese Worte fand:

Ich führe dich nach einer Meile

In eine sichre Ruhestadt.

Der arme Pilger küßt die Säule,

Die seine Furcht verbannet hat.[136]

Jedoch nach einer kleinen Weile

Ergreifet ihn ein neuer Graus.

Ach, liebe Säule! ruft er aus,

Wie leicht kann ich die Bahn versehen

Und dann ist es um mich geschehen,

O, könntest du nur mit mir gehen!

Ey, sprach der Klotz, ich danke dir,

Freund, du begehrst zu viel von mir:

Ich rathe nur und bleibe stehen.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 135-137.
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