Die Erkennung

[125] Ein wilder Junge fiel und brach den Hals.

Vom Anlaß dieses bösen Falls

Mag einst mein Scholiast Bericht ertheilen:

Man bricht bald so, bald so den Hals,

Und niemals ist der Bruch zu heilen.

Der alten Weiber Angstgeschrey

Zog einen Haufen Volks herbey.

Dom Hyacinth (er war der Probst im Flecken)

Vergaß sein Glas und seinen schweren Bauch;

Gespornt vom allgemeinen Schrecken

Lief er und seine Köchin auch.

Kaum hört der Pater was geschehen,

So fängt er an gemächlicher zu gehen

Und spricht in einem ernsten Ton:

Vielleicht war dieser kleine Lümmel

Ein Bösewicht und trägt nun den gerechten Lohn

Der frühen Sünden früh davon:

Vielleicht (behüt uns Gott im Himmel!)

War er – hier spuckt er aus – gar eines Ketzers Sohn.

Der Marthe Vorwitz drang zuerst durch das Gewimmel,[126]

Doch plözlich stürzte sie dem frommen Hyacinth

Blaß wie der Leichnam in die Arme

Und schrie verzweiflungsvoll: Ach, daß es Gott erbarme!

Herr Pater, es ist unser Kind!

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 125-127.
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