Der Lohn der Tugend

[5] An Selma.


Mit stillen brünstigen Gebeten,

Kam täglich vor Jehovens Thron,

Arist, ein frommer Greis, getreten,

Und bat für seinen frommen Sohn.

Er ist, o Gott, mein Trost auf Erden,

Laß ihn dafür so glücklich werden,

Als dein Geschöpf es werden kann.

So betete der heilge Mann.


Einst sank er zu des Altars Fuße

In himmlische Begeistrung hin,

Da trat mit einem holden Gruße

Ein lichter Seraph neben ihn.

Der Herr, so sprach er, der dich höret,

Freund, hat dir deinen Wunsch gewähret,

Und morgen krönet hier der Lohn

Der Tugend dich und deinen Sohn.


Der Alte wacht in seiner Zelle

Und betet, bis es morgen war:

Itzt trat sein Fuß in die Kapelle.

Ein Leichnam lag vor dem Altar.[6]

Es war sein Liebling. Keine Zähre

Entweiht sein Auge; Gott sey Ehre!

So ruft er, küßt mit Himmelslust

Den Sohn und – stirbt auf seiner Brust.


O Selma, der ich in der Jugend

Dieß Lied zum Pfand der Freundschaft gab,

Nun leg ichs deiner Engeltugend

Zum Denkmal auf dein frisches Grab.

Ihr, die es leset, fromme Schönen,

Benetzet es mit euren Thränen

Für Selma. Mehr als Elegie

Und Marmor ehren Thränen sie.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 5-7.
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