Der geflügelte Fisch

[193] Lang sah ein Fisch, den die Natur mit Flügeln

Von dünnem Schleyer ausgeschmückt,

Den hohen Phöbus sich im Weltmeer spiegeln,

Und endlich rief er ganz entzückt:

Ich muß, ich muß dich in der Nähe,

Wohlthäter aller Wesen, sehn!

Er schwingt sich kühn in die lazurne Höhe:

Wie groß bist du, wie liebenswerth, wie schön!

Wie wunderbar sind deine Stralen,

Die jeden Tropfen in dem Ocean

Mit deinem hehren Bild bemalen!

O seelig, wer dein Antlitz schauen kann!

Itzt fühlt er nur und opfert stille Thränen.

Doch plözlich deckt sein Aug ein düstrer Flor:

Der Flügel ausgedorrte Sehnen

Versagen ihm. Er sinkt, rafft sich empor,

Sinkt tiefer, stürzt entgeistert nieder,

Und fand, der Seele gleich, die jenseits unsrer Welt

Die Gottheit schauen will, und aus den Wolken fällt,

In seinem Element sich wieder.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 193-194.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
Politische Fabeln und Erzählungen in Versen
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 2 (German Edition)
Fabeln Und Poetische Erzählungen, Volume 1 (German Edition)