Die Fackel

An Herrn Doctor Leß.


Als bange Finsterniß Egyptenland

Drey Tage lang auf Moses Wink bedeckte,

Gab Pharao Befehl, daß man am jähen Strand

Des Nils, wo seine Hofburg stand,

Auf einen Obelisk ein großes Windlicht steckte.

Kein Bürger war, wenn er die Straße zog

Und schauernd die Gefahr erwog,

Der den Monarchen nicht gesegnet hätte.

Der Fackelschein lockt aus der dicken Nacht

Auch einen Narrn herbey, der sich von seiner Kette

Mit wilder Stärke losgemacht.

Er gafft sie lachend an, klimmt auf die Pyramide

Und nimmt sie weg. Gleich einer Eumenide

Schwingt er sie durch die Luft, und steckt mit rascher Hand

Das ganze Schloßquartier in Brand.

Der Flamme falber Blitz durchstreift die schwarzen Nebel

Und füllt die Stadt mit Angst und Graus.[153]

Nur das noch brauchten wir, schrie der ergrimmte Pöbel,

Verdammte Fackel, löscht sie aus!

Ihr haben wir dieß Unglück zuzuschreiben!

Nein, rief ein weiser Greis, die Fackel ist nicht Schuld;

Euch schenkte sie des Königs Huld

Die Finsternisse zu vertreiben.

Wie manchen irren Fuß hat sie

Dem Strom entwarnt! Ward sie von einem Tollen

Mißbraucht, so bindet ihn, sie hätte nie

In solche Hände fallen sollen.


Freund Gottes und mein Freund, der die Religion

Und ihres Stifters Ehre rächte,

Wenn doch der Spötter Zunft, wie dieser Alte dächte!

Sie schreibt die Bluthochzeit, die Inquisition

Und ganze Myriaden Uebel,

Geburten des Betrugs, der Tyranney,

Der Dummheit und der Schwärmerey,

Dreist auf die Rechnung unsrer Bibel,

Die lauter Weisheit lehrt und jede That verdammt,

Die nicht aus Menschenliebe stammt.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 151-154.
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