Aurora und Tithon

[85] Die Göttin, die der Ost verehrt,

Sie, deren Rosenwagen

Den jungen Tag zur Erde fährt,

Aurora, kurz zu sagen,

Sah oft den Lenz in Tellus Arm

Und niemals ward das Herz ihr warm

Beym Anblick ihrer Küsse.


Einst hatte sie zur Hälfte schon

Die graue Bahn durchzogen,

Da fiel ein Fant, wie Venus Sohn

Bewehrt mit Pfeil und Bogen

Und auch so schön, nur nicht so klein,

In einem hohen Cedernhayn

Auf einmal ihr ins Auge.
[86]

Prinz Tithon war es, den die Jagd

Des Morpheus Arm entrückte,

Und welcher kaum die Göttermagd

Im Karriol erblickte,

Als er ins goldne Hüfthorn stieß

Und ein Trompeterstückchen blies,

Das Fräulein zu begrüßen.


Aurora gafft und horcht und läßt

Die Füchse sachter traben;

Ihr blaues Aug hängt klettenfest

Auf dem so holden Knaben;

Sein Flammenblick durchbohrt ihr Herz

Und plötzlich kocht ein süßer Schmerz

In allen ihren Adern.


Das Hüfthorn schweigt. Ein Seufzer spricht

Beredter als die Flöte

Des Latous. Im Angesicht

Der Göttin glüht die Röthe

Des höchsten Purpurs. Amor winkt;

Der Buhle fleht; der Wagen sinkt

Und Eos läßt sich küssen.
[87]

Der erste Kuß gieng auf die Hand,

Ein zweyter auf die Wangen,

Der dritte blieb voll Minnebrand

Auf ihren Lippen hangen;

Wohin der vierte sich verlor,

Weiß niemand, weil sie Cypripor

Mit Myrthenzweigen deckte.


Kurz, eh der Mond die Erde grüßt,

Erschallt in allen Ohren

Die Zeitung: Junker Tithon ist

Verplempert mit Auroren.

Die Hochzeit folgt am Abend drauf;

Denn bey den Göttern geht der Lauf

Der Dinge nach Secunden.


Adonis konnte süßre Lust

In Cypris Arm nicht fühlen,

Als Tithon an Aurorens Brust

Bey Hymens reinern Spielen,

Und sie rief oft im Wonnerausch:

Ich würde, selbst für einen Tausch

Mit Juno, mich bedanken.
[88]

Nun bringt die Lady jede Nacht,

Die sie als Miß verloren,

Mit Wucher ein, und wenn die Macht

Des Chronos durch die Horen

Sie dann zur Morgenrunde ruft,

So füllt mit Seufzern sie die Luft

Und weinet helle Thränen.


So schien ein halb Jahrhundert kaum

Mehr als ein Sommermährchen,

Mehr als ein süßer Morgentraum

Dem liebetrunknen Pärchen;

Doch Eos wird zuerst gewahr,

Daß Runzeln sich und graues Haar

Beym armen Tithon zeigen.


Sie bebet und zum erstenmal

Erblasset ihre Wange,

Ihr Herz zernaget stille Quaal,

Gleich einer Feuerschlange.

Wie, rief sie, trift der Menschheit Loos,

Auch selbst in einer Göttin Schooß,

Den Liebling ihrer Seele?
[89]

Mein Tithon sterblich! Nein er soll

Nicht sterben. Schweigt ihr Klagen,

Versiegt ihr Thränen! Hofnungsvoll

Besteigt sie schnell den Wagen

Und jaget durch das Sternenfeld

Zum Zevs, der unter seinem Zelt

Ein Pfeifchen Knaster schmauchte.


Sir! sprach mit einem tiefen Kniks

Die Göttin: hilf mir Armen!

Dein Machtwort wandle des Geschicks

Entrüstung in Erbarmen;

Mein Tithon altert; schon umzieht

Der Reif sein Haupt und schon verblüht

Der Purpur seiner Lippen.


Sie fällt auf ihr entblöstes Knie:

Ach Vater! hör mein Flehen!

Sie seufzt ihr Halstuch weg, ah sieh

In Thränen mich zergehen;

Ein Wort, so krönt Unsterblichkeit

Den Mann, dem ich mein Herz geweiht

Und der mein Herz verdienet.
[90]

Die Göttin schweigt. Mit stummer Lust

Betrachtet Zevs die Miene,

Das Rosenknie, die hohe Brust

Der reitzenden Blondine.

Doch schnell, man weiß er ist galant,

Faßt er die Schöne bey der Hand

Und hebt sie von der Erde.


Der Wollust süße Thräne nur

Soll Eos Aug entsinken,

Um auf dem Busen der Natur

Als Diamant zu blinken,

Sprach Zevs: ich hebe deine Pein,

Dein Tithon soll unsterblich seyn

Und dich als Jüngling küssen.


Allein, so wills der Aisa Schluß,

Den selbst die Götter ehren,

So oft du ihm den Vollgenuß

Der Liebe wirst gewähren,

So oft, mein Kind, nimmt das Geschick

Fünf Jahre von der Zahl zurück,

Die es ihm wieder schenket.
[91]

Unsterblich er, der lange mir

Ein Gott schon war! Wie danket

O Zevs! Wie danket Eos dir.

So lallet sie und wanket

Und stürzt mit frohem Ungestüm

Aufs Angesicht und küsset ihm

Voll Inbrunst den Pantoffel.


Zevs reicht ihr seine Wange hin;

Wie frischgepflückte Veilchen

Schmeckt ihm der Morgenkönigin

Entzückungsvolles Mäulchen.

Er hebt sie in den Phaeton

Und wie ein Stern rollt sie davon

Durch die saphirne Straße.


Nun denkt sie erst auf halbem Lauf

An des Geschickes Willen;

Da brausen in ihr Seufzer auf,

Die ihre Stirn umhüllen.

O, Liebe! sey du selbst mein Schutz,

So rief sie, daß kein Eigennutz

Je mein Geschenk entweihe.
[92]

Froh hält sie, blos von Tithons Glück

Erfüllt, vor seiner Grotte.

O Wunder! Schon ihr erster Blick

Verwandelt ihn zum Gotte.

Die Runzeln fliehn, der Schnee zerschmelzt

Auf seinem Haupt und Hebe wälzt

Zwölf Lustern ihm vom Rücken.


Selene, keusche Göttin, leih

Dem Pinsel deine Schatten,

Damit er wahr, doch nicht zu treu,

Den Jubel beyder Gatten,

Des neuen Gottes rasche Glut

Und deiner Schwester Heldenmuth

Fein züchtig schildern möge.


Nur Wieland malt mit voller Kraft

Was Junker Tithon fühlte,

Als das Ferment der Götterschaft

Sein ganzes Ich durchwühlte,

Und als er in dem nahen Quell

Sein Angesicht, so glatt, so hell,

So rosenroth erblickte.
[93]

Auch sie traut ihren Augen kaum,

Auch sie glaubt nicht zu wachen

Und läßt, was thut man nicht im Traum?

Ihn so viel Schwänke machen,

Daß, eh sie völlig zu sich kam,

Der neugeborne Bräutigam

Um fünf Jahr älter wurde.


Nun stößt sie zärtlich ihn zurück;

»Ach, Freund, laß dich belehren:

Von nun an heißt uns das Geschick

Der theuren Lust entbehren.«

Und itzt thut sie mit leisem Mund

Die Worte des Orakels kund,

Das allzuwahr gesprochen.


Ihr Götter, welch ein harter Spruch!

Rief er mit lautem Zagen,

Ha, brächte mir der schwerste Fluch

Des Schicksals größre Plagen,

Als diese Wohlthat? Nein, die Pein

Des Tantalus muß Wollust seyn

Mit meinem Loos verglichen.
[94]

Wie, stets Gemahl des holdsten Weibs

Soll ich sie nie besitzen?

Was würde des verjüngten Leibs

Unsterblichkeit mich nützen?

O Zevs! nimm dein Geschenk zurück

Und gönne mir das süßre Glück

In ihrem Arm zu sterben.


Bethörter, du erschreckest mich,

Sprach Eos, die mit Zittern

Den Mund ihm zuhielt: hüte dich

Das Schicksal zu erbittern.

Ich schätze besser seine Huld,

Nie, nie sollst du durch meine Schuld

Zum andernmal veralten.


Die höchste Wollust bleibt uns doch,

Mein Tithon! unsrer Seelen

Umarmung. Diese können noch

In Liebe sich vermählen,

Und was uns, Freund, die Sympathie

Verweigert, kann die Phantasie

Den Sinnen leicht vergüten.
[95]

Es sey! kann Tithon sich dem Schluß

Aurorens widersetzen?

Nur, Kind! laß ihn mit einem Kuß

Von deinem Mund sich letzen.

Du zauderst? Himmel! Kannst du dir,

Grausame Gattin, kannst du mir

Den Abschiedskuß versagen?


Der Fall war kitzlich. Endlich bricht

Ihr zartes Herz. Sie reichet

Dem holden Bettler ein Gesicht,

Dem nichts an Reitze gleichet.

Er stürzt in ihren Arm und sie

Erhebt im Drang der Sympathie

Den Jüngling zu fünf Lustern.


Schnell fährt sie auf. Voll Zorn und Schaam

Schließt sie sich, trotz der Schwüre

Des Frevlers, ein. Am Abend kam

Er flehend vor die Thüre.

Was war zu thun? Vom Himmel fiel

Ein Wolkenbruch, die Nacht war kühl

Und Amor half ihm klopfen.
[96]

Ihr Gruß war eine Homilie

Von der Enthaltung Tugend.

Ah, Kind! so unterbrach er sie,

Mir bangt vor meiner Jugend.

Wie leicht kann das Verhängniß mir

Auch seinen Flattersinn mit ihr

Ins Blut gegossen haben.


Dann würd ich, von dem Zauberschein

Der Sinnenlust bethöret,

In fremdem Arm ein Herz entweihn,

Das dir allein gehöret.

Ach, Eos, rette, rette mich!

Ein Wink von dir kann mich und dich

Dem größten Schmerz entreissen.


Fünf Jahre nur, so bin ich Mann,

So hat er ausgesprühet

Der unauslöschliche Vulkan,

Der meine Brust durchglühet;

So wird ein neues Rosenband

Mein Herz, geheilt vom Unbestand,

Auf ewig an dich fesseln.
[97]

Vernunft, wie groß ist deine Kraft,

Wie werth sind deine Lehren,

Wenn sie der süßen Leidenschaft

Geheimen Wunsch gewähren!

Aurora horcht voll Andacht zu;

Bald zittert sie für Tithons Ruh

Und bald für seine Treue.


Wohlan, aus Klugheit und aus Pflicht,

Heil ich den armen Kranken:

So denkt ihr Herz und ihr Gesicht

Verdollmetscht den Gedanken.

Es zeigt bey Lunens mattem Strahl

Dem zärtlich lauschenden Gemahl

Den ganzen Himmel offen.


Er fliegt – doch Luna hüllt sich ein

Und Amor schließt die Scene.

Wohlan, ich will verschwiegen seyn;

Doch daß die kluge Schöne

Zum Schutz für Tithons Unbestand

Zehn volle Jahre nöthig fand,

Das darf ich nicht verhehlen.
[98]

O, wohl dir, trautes Paar! Nun ist

Dein letzter Wunsch erfüllet.

Ach nein, der Hunger, der sie frißt,

Wird nicht so schnell gestillet.

Gleich wie den Strom der Wetterguß,

So schwellt im Busen der Genuß

Der Wollust heissen Strudel.


Bald reizt der Zauber seines Flehns

Die Göttin zum Erbarmen;

Bald findet sie sich unversehns

Des Nachts in seinen Armen;

Bald sinkt sie matt in seinen Schooß

Von langem Ringen athemlos,

Mit unter auch vom Lachen.


Noch hält ihr Auge Cypris Sohn

In Rosendunst gehüllet;

Sie merken nicht, wie sehr sich schon

Des Schiksals Spruch erfüllet;

Herr Tithon dahlt so lang er mag

Und kurz ihn weckt der dritte Tag

Als Greis von achtzig Jahren.
[99]

Aurora siehts, wird roth und blaß

Und weint und senkt die Blicke;

Doch Tithon macht kein Auge naß:

Laß, ruft er zum Geschicke,

Der Jugend Lenz mir zehnmal blühn

Und auch zum zehnten werd ich ihn

An Eos Brust verscherzen.


Das Compliment war fein und süß;

Ob es der Göttin Klagen

Gestillet? weiß ich nicht gewiß.

Doch melden alte Sagen,

Daß sie sich einen Jockey nahm,

Den kleinen Zephyr, der den Gram

Ihr von den Wangen küßte.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 85-100.
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