Der Rausch

[29] Ein kleines Räuschchen schadet nicht,

Lernt ich von meiner Amme Suse,

Und glaubt es ihr. Vom losen Wicht,

Dem Bacchus, lernt es meine Muse,

Und trank in Syrakuser-Wein

Sich einen Rausch, fieng an zu toben,

Und ein Tapetenköniglein

Pindarisch zum Trajan zu loben.

Dann stieg sie auf den Rabenstein

Und rief den Teufeln, Volen, Elfen,

Sie möchten beym Cometenschein

Ein Schauspiel ihr tragieren helfen,

Allein sie blieben gar zu lang.

Da grif sie nach Hans Sachsens Leyer,

Und heulte weichen Minnesang

Den Bogen voll um einen Dreyer.

Nun trieb sie des Genies Drang

In unsrer Barden Wodansfeyer;

Hier krönt sie sich mit Eichenlaub,

Bestreut ihr Wamms mit Heldenstaub,

Macht Blitze sich aus Fliegenwedeln,

Säuft Bonzenblut aus Fürstenschädeln,[30]

Und klettert mit zerstreutem Haar

Nun gar auf des Parnasses Spitzen.

Hier sah sie die geweihte Schaar

Des Helios im Kreise sitzen,

Und krähte wie ein Puterhahn

Den hehren Schatten Gellerts an.

Ein Blick, aus welchem stille Größe

Und Menschenhuld und Mitleid sahn,

Entfuhr dem Edeln. Angst und Blässe

Des Tods ergrif die Schwelgerin;

Sie schlug die Brust, ward plötzlich nüchtern,

Fiel ihm zu Fuß und lallte schüchtern:

Vergieb mir armen Sünderin.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 29-31.
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