Salomo

[65] An einem großen Jubelfest,

Da Salomo des Armen Thränen

Zu trocknen, das Verdienst zu krönen,

Gehör gab, und vom Nord und West

Sich alles Volk zum König nahte,

Trat auch der frömmste Mann im Staate,

Ein edler Greis, vor seinen Thron

Und sprach: darf ich mich unterstehen

Um eine Gnade dich zu flehen,

So bitt ich dich für einen Sohn

Von deinem Bruder Absolon,

Der krank, verlassen und verachtet,

In einem tiefen Kerker schmachtet:

Du weißt, ich bin sein Freund ... Dein Flehn

Las ich in deiner schönen Seele;

Kaum sah ich dich im Vorsaal stehn,

So gab ich ahnend die Befehle

Ihn zu befreyn, sprach Davids Sohn –

Und sprach es noch, so stürzte schon

Des Gottgesalbten Hand zu küssen,

Der Jüngling sich zu seinen Füssen.

Ihr Klügler, die ihr das Gebet[66]

Als ungereimt und eitel schmäht,

Weil Menschen Gottes Schluß nicht wenden:

Wie wenn der Geber Jehovah

Von Ewigkeit die Menschen sah

Mit freyen ausgestreckten Händen

Zu seiner Güte Thron sich nahn?

Wie wenn er dann schon seinen Plan

Darnach entwarf und das gewährte,

Was seiner Weisheit Zweck nicht störte?

So bleibt sein Schluß ja ewig stehn,

Und wäre doch nicht der gewesen,

Hätt er des Tugendhaften Flehn

Nicht in der Zukunft Buch gelesen.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 65-67.
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