89. Calpurnia an ihren Bruder Lucius in Rom.

[86] Nikomedien, im Oct. 303.


Lieber Bruder! Was wirst du sagen, wenn du diesen Brief erhältst? Ich bin Braut – und bald, sehr bald vermählt. Und mit wem? O du erräthst es wohl. Es wäre mir auch nicht möglich, dir Alles so genau und regelmäßig zu erzählen, wie es sich machte. Wie könnte ich es auch? Ich weiß selbst kaum, wie es kam – so schnell, so unvermuthet, daß ich jetzt noch manchmal Alles für einen Traum halte.

Genug, ich bin Tiridates Braut, und werde in Kurzem Königin von Armenien seyn. Es wird mich im Anfange Mühe kosten, mich in alle die Formen und Steifheiten des Orientalischen Ceremoniels zu fügen; aber ich weiß eben so bestimmt, daß es mir gelingen wird, und ich mit eben so viel Anstand Königin seyn werde, als ich bis jetzt mit Anmuth ein Römisches Mädchen war, und mit Würde eine Nikomedische Matrone geworden wäre, wenn es die Götter so gefügt hätten.

Das thaten sie nun aber nicht, und so wurde ich zuerst aus der Vertrauten die Freundin, aus der Freundin[86] die Geliebte, aus der Geliebten die Braut des edelsten, liebenswürdigsten Fürsten! Denn ich muß dir sagen, es gibt kein gefährlicheres Amt für ein junges Mädchen, als die Vertraute und Trösterin eines schönen Unglücklichen zu seyn. Das Mitleid ist eine gar zu verrätherische Empfindung. Wir wurden einander mit jedem Tage lieber, nothwendiger, ich fand Zerstreuung und Freude in seinem lebhaften Umgange; er beweinte mit mir seinen Verlust, erzählte mir von den ersten Tagen seiner Liebe, seines Glückes, und fand es zuletzt unmöglich, ohne dieses Glück zu leben. Aeußere Umstände trafen nun auch zusammen. Des Augustus schnelle Abreise machte eine übereilte Erklärung nöthig, wenn wir nicht mit unserer Verbindung bis zu Diocletians Wiederkunft, die vielleicht in einem Jahre Statt haben könnte, warten wollten. Du kennst die Verhältnisse der verbündeten Fürsten zu dem römischen Hof, du kennst Armeniens Lage in Rücksicht der Perser. Es liegt Alles daran, die Thronfolge bestimmt und unbestreitbar festzusetzen. Diocletian selbst schien dies zu wünschen. Die Zeit war kurz, Tiridates entschloß sich, er fragte mich, und konnte ich wohl Nein sagen? Was, um aller Götter willen, hätte ich gegen ihn einwenden können? Daß unsere Verbindung übereilt sey? Ach, ich kannte ihn seit zwei Jahren genauer, als wenn er diese ganze Zeit über sich um mich beworben hätte; denn ich sah ihn ohne Vorurtheil, und er hatte keine Ursache, sich vor mir zu verstellen. Daß ich ihn nicht mit der Leidenschaft liebte, die manche Menschen zum Glücke einer Verbindung für nöthig halten? Das ist Grille. Ich achte ihn, weil er es durch tausend Vorzüge wohl verdienet,[87] und seine Gestalt gefällt mir. Das ist Alles, was ich zu meinem Glücke bedarf. Meine Forderungen an Euer Geschlecht waren immer mäßig. Milesische Mährchen kann man träumen, in der wirklichen Welt geht Alles anders zu.

Es ist überdies auch kein unbedeutender Vorzug, Königin, wenn auch nur Königin eines verbündeten Staates zu werden. Augustus gibt es höchstens zwei, und zwei Cäsarn; da ist nur Raum für vier Römische Jungfrauen oder Matronen. Auch ist der Augustus gewöhnlich nicht mehr in der Blüthe der Jahre. Wie unbändig müßte der Ehrgeiz einer Römerin seyn, die, wenn selbst Diocletian sich zugleich mit Tiridates um ihre Hand bewürbe, den alternden, rauhen Illyrier vor dem jugendlich blühenden Fürsten wählen könnte, den alle Grazien schmücken?

So ist denn mein Schicksal bestimmt, unwiderruflich, wenn nicht außerordentliche Ereignisse dazwischen treten! Seltsam! Wenn ich mir das recht lebhaft denke, so wandelt mich eine Art von Grauen an. Heirathen – mein Loos in die Hand eines Mannes legen, ihm in ein fernes Land folgen, wo er unumschränkt gebeut, wo Niemand ist, der ihm Widerstand leisten darf – wahrlich, der Schritt ist ernst, so ernst, daß, hätte ich Alles das früher so bedacht, ich ihn viel leicht nicht gethan hätte!

Nun ist nichts mehr zu ändern. Meine Verbindung ist öffentlich erklärt, der Augustus selbst hat über meine Hand entschieden. Tiridates ist trunken vor Freuden. Er liebt mich leidenschaftlich, und er ist keiner[88] Verstellung fähig. Aber wie lange wird das währen? Und wie kann ich mich vor dem Loose meiner Freundin schützen, oder wie kann ich erwarten, ihm zu entgehen? Und auf diesen Punkt wird einst so Vieles ankommen. Hier ist es nöthig, alle Kraft des Verstandes, alle Macht über sich und Andere, alle Erfahrung zu Hülfe zu nehmen. Mein Schicksal wird in seiner Hand liegen, Niemand wird, Niemand kann sich meiner annehmen, ich muß mir selbst Alles seyn, ich muß mich schützen, ich muß fest stehen, und das kann ich nur, wenn ich mich nie vergesse. Nie wisse, nie fühle er sich meines Herzens ganz sicher, und im uneingeschränkten Besitze desselben, nie verliere mein Geist die Herrschaft über sein Herz. Zwar so lange er noch etwas zu wünschen, zu hoffen, zu fürchten hat, so lange er liebt, wird es leicht seyn, auf ihn zu wirken; aber wie klug ich mich auch betragen mag, so wird die Zeit noch kommen, wo fremde frischere Reize, oder allmählige Gewöhnung diese Art von Zauber zerstören. Bis also die gefährliche Epoche eintritt, muß seine Achtung für meinen Charakter, für meinen Verstand so fest gegründet seyn, daß die Freundin keines von den Rechten verliert, die die Geliebte hatte, und seine Untreue nichts weiter für mich seyn kann, als ein flatterndes Spiel, das ich ihm gern zu seiner Unterhaltung gönne.

Nie werde ich mich in die Angelegenheiten seines Reiches mischen, wenigstens nie unmittelbar. Sucht er in manchen Fällen den Rath der Freundin, kann es sein Herz erleichtern, wenn er seine Sorgen zuweilen in meine Brust niederlegt, so will ich ihm redlich tragen,[89] und sorgen, und denken helfen. Nie werde ich meine engbegrenzte Sphäre verlassen; aber auch nie soll er vergessen, daß ich meinem schönen Vaterlande, dem Leben im Schooße einer edlen ruhmvollen Familie, die mich zärtlich liebt, entsagt habe, um ihm in seine Gebirge zu folgen, und die Gattin eines barbarischen Tyrannen zu werden, wie sich Sulpiciens Vater ausdrückte. Ueber einige dieser Punkte habe ich mit dem meinen mehrere ernste feierliche Unterredungen gehabt, und nie werde ich der weisen Lehren vergessen, die er mir mit Rührung, mit väterlichen Thränen gab. Ach, er freut sich wohl, mich so glänzend, und an einen so würdigen Gatten verheirathet zu wissen; dennoch fühle ich, daß der Gedanke, ein Kind zu verlieren, an dessen stäten Umgang er so gewohnt war, ihn manchmal wehmüthig macht. Dann ergreift diese Stimmung auch mich, aber ich bemühe mich, sie wie jede weiche ihrer Art, zu verscheuchen. Wenn ich nicht als Vestale leben und sterben will, steht mir diese Trennung immer bevor, und ich könnte mir doch unter allen Männern keinen denken, um dessentwillen ich sie lieber ertrüge, als Tiridates.

Keinen? – Man muß nie falsch seyn. Das, was ich für Tiridates empfinde, ist viel anders, als was ehedem meine Brust so unruhig, so unabläßig bewegte. Doch kömmt dieser Unterschied vielleicht wohl nur von der Art des Verhältnisses, und nicht von dem Gegenstand desselben her. Ehemals war ich ungewiß, zweifelhaft, meine Phantasie aufgeregt, alle Seelenkräfte in Spannung; jetzt ist Alles stille und sicher, und so ist mein Gefühl nur ruhiger, aber vielleicht nicht kälter.[90]

Sey dem, wie ihm wolle. Ich mag nicht darüber grübeln, es nützt zu nichts, und kann nur schaden. Agathokles wird Zeuge unserer Verbindung seyn; ich habe den Gedanken, ihn darum zu bitten, in Tiridates erregt, ohne daß er meinen Wunsch errieth. Ich weiß nicht, welche Art von stolzer Befriedigung ich darin suche; genug, ich wünsche es, und sehe es als einen Theil der Freuden jenes wichtigen Tages an, daß Er gegenwärtig sey.

Leb' wohl, lieber Bruder! Meine Lebensart ist jetzt sehr beschäftigt, sehr zerstreut; du wirst es diesem Briefe abgemerkt haben. Bevor ich Nikomedien verlasse, und mich noch um viele, viele Meilen weiter von dir entferne, schreibe ich dir sicher noch einmal.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 86-91.
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