Hirte und Winzerin

[539] 1828.


Winzerin.


Sei willkommen im Freien, Antonio! Selten erscheinst du:

Siehe, wie klar fernher duftet das blaue Gebürg!


Hirte.


Hier an des Weinbergs Tür und am Tore der Villa Borghese

Hab ich um dich oftmals, aber vergebens, geforscht.


Winzerin.


Gestern am Festtag war ich in Rom, und in Sankt Agnese

Auf dem Navonischen Platz hört ich die schöne Musik.


Hirte.


Sahst du den schönen Sebastian auch in der linken Kapelle?

Unter den Heiligen ist dieser, der nackte, beliebt.


Winzerin.


Unter den Liebenden sind in der Seele die Frechen verhaßt mir:

Rohes Gespräch schreckt ab, zierliche Rede gefällt.


Hirte.


Hab ich die süßesten doch, die gescheitesten Worte verschwendet!

Frostig beharrst du, wie dort auf dem Sorakte der Schnee.


Winzerin.


Kommt Weihnachten heran, mein Süßer, und reift die Orange,

Werde mit Früchten der Korb, welchen ich gebe, gefüllt.


[539] Hirte.


Deinem Geliebten den Korb? Nie würdest du bieten den Korb mir,

Hätte Vinzenz nicht mich, deinen Geliebten, verdrängt.


Winzerin.


Wäre Vinzenz mir wert, kaum hätt ich zu schämen der Wahl mich,

Ehe der Flaum ihm schwoll, küßtest den Schönen du selbst.


Hirte.


Mir nun ist er ein Gegner geworden, und gestern in heft'gen

Wechselgesangs Wettstreit improvisiert ich mit ihm.


Winzerin.


Ihm fehlt selten ein Reim, auch dir fehlt selten ein Reim, Freund!

Aber des Volks Beifall wurde dem Knaben zu Teil.


Hirte.


Weil er in samtener Jacke stolziert und die Schärpe so schön trägt,

Ihm drum schenken die Fraun, gönnen die Männer den Preis.


Winzerin.


Kein Gleichgültiger Punkt in der Lieb ist zierliche Kleidung,

Feineren Sitten entspricht gerne der feinere Hut.


Hirte.


Bloß mit dem Spitzhut wandl' ich einher und in zottigem Wollvließ;

Aber ich kann Gleich Ihm zärtlich empfinden und zart.


Winzerin.


Freund! jetzt eil ich hinein. Schon läutet es Ave Maria,

Hinter dem Marioberg Gleitet die Sonne hinab.


Hirte.


Laß halboffen, o laß halboffen die Türe des Weinbergs,

Fühle, wie sehr Sehnsucht meine Gebeine verzehrt!


Winzerin.


Dort schon Glänzt ein Gestirn und es Glänzt dein leuchtendes Auge;

Aber du mußt Abschied nehmen, ich schließe die Tür.


Hirte.


Siehe, der sträubenden Hand den eroberten Schlüssel entwind ich:

Liebliches Kind, oftmals frommt in der Liebe Gewalt.


[540] Winzerin.


Gieb mir wieder den Schlüssel, Verrat in der Liebe geziemt nicht!

Wer in dem Streit nachgiebt, fesselt ein weibliches Herz.


Hirte.


Wer in dem Streit nachgiebt, giebt Stoff zu Gelächter. Allein jetzt

Gehe hinein, schon wird's dunkel, o gehe hinein!


Winzerin.


Spötter! Ich gehe, du magst nachfolgen, ich weiche der List bloß;

Doch Jedwedem geheim bleibe der späte Besuch!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 539-541.
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