55.

[229] Während Blut in reichen Strömen floß dem Wahne, floß der Zeit,

Standst du, Held, auf beiden Ufern, ragend als Koloß der Zeit!

Tief zu sich herabgezogen alles Große hatten sie,

Doch du kamst und herrschtest mächtig überm kleinen Troß der Zeit:

Fürsten hielten dir den Bügel, Kaiser dir den Baldachin,

Unter deinem Schenkel stöhnte das gezähmte Roß der Zeit.

Was nur Scheinverdienst erheuchelt, tratst du nieder in den Staub,

Nahmst des Glücks Tribut zum Opfer, nahmst den Zoll und Schoß der Zeit:

Sei das Glück denn laut gepriesen, samt den Gaben, die's verschenkt,[229]

Wer's gewann, genoß des Lebens, wer's erfuhr, genoß der Zeit!

Aber hütet euch, Beglückte; denn die Menge rast um euch,

Stets belagert sie den stolzen Kastellan im Schloß der Zeit.

Mancher Pfeil, o Held, durchbohrte deine starke Brust von Erz;

Aber Namen, groß wie deiner, fürchten kein Geschoß der Zeit!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 229-230.
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