Aus dem Vorworte zur ersten Auflage.

[258] Diese Sagensammlung wurde veranlaßt teils durch eigene Lust und Neigung, teils durch das Verlangen nach einer Sammlung von Harzsagen, welches Jakob Grimm in der zweiten Auflage der »Deutschen Mythologie« aussprach und das sich besonders seit dem Erscheinen meiner »Kinder- und Volksmärchen«1 durch gar manche mir zugekommene Mitteilung als ein von den Männern der Wissenschaft allgemein gefühltes Bedürfnis herausstellte. Wenn in jener Schrift überhaupt zum ersten male, wie sehr auch der Name Harzmärchen für ausgeschmückte und verfälschte Ortssagen vom Harz bei den Kennern in Mißkredit gekommen sein mag, wirkliche Märchen aus dem Harze geliefert wurden, so hat unsere Sagensammlung aus dem Harze dagegen einige Vorgänger. Schon 1698 scheint eine Sammlung von Harzsagen, die vielleicht nur ein paar Sagen und diese ausschließlich vom Unterharze enthalten haben mag, veröffentlicht zu sein.2

Einer mir von mehreren Seiten gewordenen Mitteilung zufolge war der verstorbene Ephorus der Domschule und Generalsuperintendent[259] Nachtigall zu Halberstadt der Sammler der »Volkssagen«, die 1800 unter dem Namen Otmar in Bremen erschienen. Otmar gab in seinen »Volkssagen« etwa dreißig Ortssagen aus dem alten Hartingau heraus. Das halberstädtische Gebiet hat er vorzugsweise berücksichtigt, vom westlichen Harze dagegen ist er ohne alle Nachricht.

Der Kern von Otmars Sammlung ging in die »Deutschen Sagen« der Brüder Grimm über, die 1816 erschienen, und, weil die Grimmsche Sammlung aus dem Harze nur wenig mündlich enthielt und sich überhaupt hier mehr an gedruckte Quellen anschloß, für den braunschweigischen und hannöverischen Anteil am Harze weniger als für den bischöflichen enthält. In den von Otmar für sein Werk gezogenen Grenzen haben sich dann zufällig auch mehrere durchaus unwissenschaftliche Sammlungen gehalten und mit besonderer Vorliebe an dem schönen nördlichen Harzrande verweilt. In denselben Grenzen, auf die ich gleich den anderen von meiner Heimat aus zunächst angewiesen war, hielt ich sodann mich selbst, als ich 1851 meinem Schriftchen »Aus dem Harze« (2. Aufl. 1857) in gedrängter Kürze eine Anzahl von Harzsagen mitgab; einige davon hatte ich bereits sehr früh im Harze mündlich gehört, noch mehrere aus Chroniken genommen und die meisten nur aus der schnöden Form in einer unwissenschaftlichen Sammlung3 zu der ursprünglichen Einfachheit herausgeschält. Diese kurze Mitteilung mag den Otmarschen Sagenschatz für jene Gegend ungefähr verdoppeln und ist neben ihr die einzige echter unterharzischer Sagen, doch wollen beide[260] für den Sagenreichtum jener Gegend noch wenig oder nichts bedeuten. Wenn der zu früh verstorbene Emil Sommer in seinen Sagen aus Sachsen und Thüringen nur bis in die Gegend von Eisleben und Aschersleben, also nicht einmal bis an den Fuß des Harzes gekommen war, so streiften dagegen Kuhn und W. Schwarz, welche 1848 das verdienstvolle Werk »Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche« herausgaben, fast über das ganze Harzgebirge hin. Sie zeichneten dabei aber, vielleicht in der Einsicht, daß hier doch die von Grimm gewünschte eigene Harzsammlung nicht überflüssig gemacht werden könne, dieses sagenreiche Gebirge keineswegs aus vor den übrigen Landstrichen bis Mecklenburg und Pommern hin, welche sie gleichfalls behandelten, legten sich daher zwar auch nicht, wie die anderen, auf das seit Otmar mit Vorliebe behandelte Gebiet, mieden aber doch in etwas, wie es scheint, den Oberharz wegen seiner Eigentümlichkeiten. Nicht eigentlich vom Oberharze, sondern vorzugsweise von der osteröder und scharzfelder Gegend erschienen 1832 sechs »Harzsagen« von Schuster. Sie beschäftigen sich daher zwar mit einem kleinen Teil des Sagengebietes, welches das vorliegende Werk behandelt, können aber ihrer Ausschmückung wegen nur in sehr geringem Maße in betracht kommen. So bleibt denn nur eine Sammlung als eigentliche Vorgängerin zu nennen: das zweite und letzte, sehr dünne Heftchen der 1840 von Hermann Harrys herausgegebenen Sagen Niedersachsens. 19 von den 39 Sagen sind oberharzische und wurden dem Herausgeber dem Vorworte nach von Georg Schulze mitgeteilt, die Mehrzahl der 20 übrigen gedruckten Quellen entnommen.

Es traf sich glücklich, daß Herr Pfarrer Georg Schulze in Altenau, als Sprachforscher besonders durch die treffliche Redaktion und Herausgabe der »Harzgedichte« rühmlichst bekannt, für die vollständige Sammlung der Sagen in den hannöverschen Bergstädten mir die Hand bot, und dabei mußte dann zur Ergänzung des neuerdings Gesammelten, d.h. einzelner Sagen, die schon bei Harrys stehen, von denen ich Varianten bekam und die nun hier auf eine angemessene Weise zusammengefügt wurden, auch vielfach, wie die Anmerkungen im einzelnen nachweisen, das früher von Schulze in der Harrysschen[261] Sammlung Veröffentlichte herbeigezogen werden, sowie denn auch der Konsequenz wegen, jedoch noch kürzer, einiges aus den nicht gerade vom Oberharze handelnden Sagen in dem 2. Hefte der Harrysschen Sammlung zur Ergänzung einiger bestimmten Sagen in unserer Sammlung benutzt wurde. Anfangs dachte ich an eine vollständige Wiederaufnahme der 19 dort gedruckten Schulzeschen Sagen vom Oberharze, auch wo wir keine Varianten dazu hatten; doch stand ich davon ab.

Aus Altenau nenne ich auch noch W. Lohrengel dankbar als Mitarbeiter.

Die unter der harzburger Gegend eingereihten Sagen von Vienenburg und Wiedelah, sowie ein Beitrag zu den lautenthaler Zwergsagen und zu den Sagen von Dorste wurden mir von Professor Wilhelm Müller in Göttingen mitgeteilt.

Für die Gegend von Lonau und Sieber insbesondere verdanke ich mehreres Herrn Lehrer Theodor Stender in Lonau. Außerdem die nordhäuser Hexensage dem Herausgeber der »Urkundlichen Geschichte von Nordhausen«, Professor Ernst Günther Förstemann in Nordhausen.

Von einem Teile des hier abgehandelten Sagengebietes, dem Oberharze, liegen die Sagen hier nun jedenfalls vollständiger vor, als aus irgend einer anderen Gegend Deutschlands. Das kann dem denkenden Leser einen Einblick in das Seelenleben des Volkes gewähren und ihm zeigen, wie die Poesie noch bis vor kurzem jedes Lebensverhältnis desselben durchdrang. Bei der Sprache der nach mündlicher Überlieferung aufgezeichneten Sagen ist unser Zweck, den auch wohl schon andere Sagensammlungen sich ähnlich vorgesetzt hatten, erreicht, wenn der Leser sich bei der Mehrzahl der Nummern sagen muß: so denkt unser heutiges Volk und so spricht es seine Gedanken aus. Georg Schulze wird man nachrühmen dürfen, daß er diesen Zweck der vorliegenden Sammlung in dem Stücke »Mer soll dn Teifel net porren« vollständig erreicht hat. Abteilung I der »Osterjungfrau« habe ich einer hochbetagten Frau Wort für Wort nachgeschrieben, welche in das jungferliche Benehmen der Osterjungfer gegen den »frechen« und den keuschen Ritter offenbar ihre eigenen Jugenderinnerungen niedergelegt hat.[262]

Unter den Nachrichten des Tacitus über die heidnische Religion der Deutschen werfen auf die von der Nerthus Gebräuche in unseren Gegenden ein interessantes Licht. Sie wurde auf einem mit weißen Tüchern verhüllten, mit Kühen bespannten Wagen ins Wasser gefahren, und noch jetzt wird jeder Tote zu Buhlendorf im Anhaltschen, aber nicht im anhaltschen Harze, sondern unweit Zerbst und der Elbe, auf einem mit Ochsen bespannten Wagen durch einen Ochsenjungen zunächst in einen Teich, den »Puhl«, gefahren. In Beckendorf im Halderstädtischen wird der Sarg jeder Wöchnerin unter einem weißen Laken auf den Friedhof getragen und ins Grab gesenkt, und derselbe Gebrauch herrscht nicht weit davon, in Hornhausen. Hier aber scheint früher, um die Mitte des 17. Jahrhunderts, jeder Sarg »mit einem weißen Tuch bedeckt« begraben worden zu sein.

Was die Nachrichten von Götterculten betrifft, welche wir direkt mit auf unsere sächsischen Vorfahren beziehen könnten, so steht darunter die niederdeutsche Abschwörungsformel voran. Sie ist uns durch eine vatikanische Handschrift aufbewahrt, doch hält man freilich ihre Sprache nicht für rein niedersächsisch, sondern sieht darin eher einen Hinweis auf das ripuarische Franken. Darin schwören die Heiden namentlich ab den Donar, Wodan und Saxnot.4 Von Saxnot haben wir sonst gar keine Nachricht, aber bekanntlich bedeutet sein Name Schwertgenoß, und taucht in der Stammtafel der Westsachsen,[263] über welche unter anderen J. Kemble geschrieben, wieder auf als Saxneat, Wodans Sohn. Die beiden übrigen Götter, Donar und Wodan, wird diese Sammlung auch für diese Gegenden bestätigen.


Hornhausen bei Oschersleben am Andreasabend 1853.


Fußnoten

1 Leipzig, Hermann Mendelssohn.


2 Der Titel dieser mutmaßlichen Sagensammlung ist: »Wahrhaftige Geschichten, so sich die Bawern in denen Gegenden des Hartzgebürges erzählen. Nunmehro zum Erstenmahl ans Licht brachtt vnnd mitgeteilet von Caspar Schwengen. Frankfurt, in Verlegung vnndt druckts von Johann Gottfried Schönwetters Wittib vnndt Erben. 1698«. In Georgii »Bücherlexikon« und den Supplementen (1742 und 1758) und in Ebert's »Bibliographischem Lexikon« (1821) ist die Schrift nicht aufgeführt, wie es mir denn auch nicht gelungen ist, derselben habhaft zu werden.


3 Den »Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes und der Umgegend« (1847), woran übrigens anonym auch mehrere sonst sehr tüchtige, hier nur unbewanderte Männer mitgearbeitet haben sollen. Dieses jetzt, wie ich höre, in den Verlag von R. Frantz in Halberstadt übergegangene Buch, worin sich auch manches ohne Quellenangabe nach Otmar findet, ist neuerdings zum großen Teil in Reime gebracht in der Schrift »Der poetische Harz oder Sagen und Märchen des Harzes im (!) Schleier der Dichtung gehüllt. Sechstes Heft der Gedichte von Josephine Holzmärker- Gerbode« (Worbis, im Selbstverlage der Verfasserin, 1852). Auch der rotenburg-sondershäuser Püsterich pustet da noch in einem Gedichte als heidnischer Abgott, wenig bekümmert darum, daß er etwa gleichzeitig gänzlich entlarvt wurde und seinen Kredit als Abgott längst eingebüßt hatte.


4 Die Abschwörungsformel lautet:

Forsachistu diobolae?

et resp. ec forsacho diobolae.

End allum diobol gelde?

respon. end ec forsacho allum diobol geldae.

End allu dioboles uuercum?

resp. end ec forsacho allum dioboles uuercum end uuordum, thunaer, ende uuoden ende saxnote ende allem them unholdum, the hira genotas sint.

Hierauf folgte das christliche Glaubensbekenntnis. Zur Vergleichung damit kann folgende Stelle aus einer von Haupt aus einer Wiener Handschrift mitgeteilten Abmahnung vom Tanzen dienen: »Zum tunfften so tued die tentzer und tentzerin in etlich wise wider die sacrament der kirchen und besunder wider den tauff: wann sie brechen das gelubde, als sie got getan haben in dem tauff, als ir pfetterisch an ire stat gesprochen haat: ich widersage dem tufel und allem sine gespenste.«

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 258-264.
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Harzsagen - Sagen des Oberharzes 1859 - Band 1 (von 2)
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