Nr. 107. Das eingemauerte Kind.

[69] An einer Stelle in dem Gemäuer auf der Harzburg ist ein Kind eingemauert, dadurch ist die Burg fest gemacht. Das Kind ist ein uneheliches Kind und ein Jahr alt gewesen, das hat seine Mutter verkauft an eine Herzogin, die dazumal auf der Burg gewohnt haben soll. Wie das Weibsbild das Kind[69] gebracht hat, hat ihr die Herzogin das Geld hingelegt und gesagt: es stünde noch bei ihr, ob sie das Kind verkaufen wollte. Da hat das Weibsbild nach dem Gelde gegriffen, und darum hat ihr die alte Herzogin eine herzhafte Maulschelle gegeben. Nun haben sie das Kind in die Mauer gesetzt, und haben ihm eine Semmel in die Hand gegeben, und haben angefangen zu mauern, und dabei hat das Kind seine Semmel gegessen. Zuletzt haben sie nur noch ein kleines Guckloch gelassen, und wie sie auch das zugemauert haben, hat das Kind auch gerade seine Semmel aufgehabt, und hat gesagt: »Semmel up un Kucklock tau.«

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 69-70.
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