III.

[106] Auf dem Försterhofe in Grund wohnete vor alten Zeiten einmal ein Förster, der hatte seine Frau früh verloren, und nur noch einen einzigen Sohn. Der soll ein recht geschickter und auch recht guter Bursche gewesen sein, nur ein bißchen zu vorwitzig. Einmal ging der Försterssohn an einem Sonntag Nachmittage mit seinem Freunde, einem Bergmannssohne, spazieren ins Holz. Wie sie nach dem Hibichenstein gelangten, kam das Gespräch auf dessen Höhe und der Bergmannssohn sagte, den wollte er sehen, der da hinaufsteigen könnte. Da sagt der Försterssohn, das wäre nichts, und er wagte es, der andere aber riet ihm ab. Denn wenn einer hinaufgestiegen ist, hat er nicht wieder herabgekonnt und am[106] andern Tage zerschmettert unten gelegen. Aber der Försterssohn glaubte nicht daran, lachte und sagte, nun wollte ers erst recht thun. Er ließ sich nicht halten, was der andere auch angeben mochte, und stieg hinauf. Mag ihm wohl sauer geworden sein: denn was man jetzt den kleinen Hibichenstein nennt, ist vor alten Zeiten viel größer gewesen als der, den man jetzt den großen Hibichenstein nennet, und hat deshalb auch der große geheißen. Der Försterssohn gelangte richtig oben auf den Hibichenstein hinauf. Da war oben ein großer breiter Platz, darauf sprang er hin und her und tanzte vor Freuden, daß er droben war, und rief zu seinem Kameraden herunter, er möge auch hinaufkommen. Der Bergmannssohn aber schüttelte den Kopf, und wie der Försterssohn eine Weile getanzet hatte, bat er ihn sehr, er möge nun auch wieder herunterklettern. Das wollte der Försterssohn auch, aber wie er herabzusteigen dachte, konnte er nicht fort von dem Platze oben auf dem Felsen, wie sehr er sich auch mühte, denn der alte Hibich hatte ihn zur Strafe da festgebannt. Da kam der alte Förster mit der Flinte, wehklagete um seinen Sohn und wollte ihn endlich herunterschießen. So wie er auf seinen Sohn zielete, kam der alte Hibich und fragte, was er hier machen wolle, und als der Förster antwortete, er wolle seinen Sohn vom Hibichensteine herunterschießen, riet ihm der Zwergkönig ab von solchem thörichten Unternehmen. Vom Felsen herunter bat aber der Försterssohn immerfort, daß sein Vater nur losdrücken möge, und darum legte der Förster von neuem das Gewehr an und zielte. Da entstand aber plötzlich am Hibichenstein ein furchtbares Donnern und Blitzen und Regengüsse strömten dem Förster in die Pfanne, so daß das Gewehr nicht losging. Andere berichten, als der Förster losschießen wollte, waren sogleich die kleinen Zwerge mit Heckruten bei der Hand, die schlugen ihn auf die Finger und neckten ihn hier und da mit Tannenbüschen, daß er nicht losdrücken konnte. Und damit ließen sie nicht nach, obgleich er immerfort rief: »Jungen, geht mir aus dem Wege! Mein Sohn soll ja dort oben nicht verhungern!« So brach die Nacht herein und der Förster war nicht zum Schuß gekommen. Er ging endlich nach Hause mit dem Vorsatze, am andern Morgen[107] mit dem Frühesten wiederzukommen und seinen Sohn herunterzuschießen. Auch der Bergmannssohn und die andern Leute von Grund, die dazu kommen waren, gingen mit ihm nach Hause und zuletzt ging auch der Bergmannssohn heim, weil sein guter Freund ihn selber bat, daß er sich Ruhe gönnen möge, um am andern Morgen so früh als möglich wieder in seiner Nähe zu sein und zu versuchen, ob Rettung möglich wäre. Kaum war er fort, da kamen auch schon die Zwerge an. Alle trugen Bergmannskleidung und jeder hatte ein Grubenlicht, auch führeten sie kleine gar kunstvolle Leitern mit sich, davon setzeten sie eine auf die andere, und nun hielten die zusammen, als wären sie ineinander gelötet. Wie nun so eine einzige große Leiter aufgerichtet war und bis an die Spitze des Hibichensteins hinanreichte, da stand auch schon auf jeder Stufe ein Zwerg mit seinem Grubenlichte und leuchtete. Und da mußte sich der Försterssohn dem Zwerge, der auf der obersten Stufe stand, auf die Schultern setzen, und da war auf einmal die Leiter so breit, daß er ihn an all den andern Zwergen vorbeitragen konnte, die da mit ihren Grubenlichtern standen und leuchteten. Als der Försterssohn vom Hibichenstein herunter war, waren all die Lichter verschwunden und alle Zwerge waren fort, auch der, der ihn getragen hatte. Da kam der alte Hibich wieder, nahm ihn bei der Hand und sagte: Da er einmal oben auf dem Hibichensteine gewesen sei und so große Angst dafür ausgestanden habe, so solle er nun auch noch mit in des Zwergkönigs Schloß kommen; der lasse es sich nicht nehmen, er müsse ihn nun zum Beschluß einmal ordentlich bewirten. Also ging der Försterssohn mit dem Zwergkönige durch ein großes Thor in den Berg hinein und führete ihn in ein großes Zimmer, da standen Stühle und eine große Tafel, davor mußte er sich hinsetzen. In dem Zimmer blinzten die Wände von Stuferz, die Decke war von einem Stück Schwerspat, weiß wie der Schnee, und von der Decke hing ein großer Kronleuchter herab, ganz von Krystallen und Edelgestein, größer als im goslarschen Zehnten; und der Fußboden war mit grünen Tannenzweigen überstreut und die Pannele glänzten nur so von Gold und Edelgestein. Und mitten in der Stube stand[108] ein Glaskopf und ein silberner Stuhl davor. Darauf setzte sich nun der Zwergkönig, sagte zu dem Försterssohn, er solle sich setzen und schlug mit dem silbernen Schlägel gegen den Tisch von Glaskopf. Der gab einen Ton von sich, so köstlich, wie man es in der Welt nicht höret. Da kamen tausend kleine Frauenbilder herein, die trugen Erdbeeren und Himbeeren auf, und der Hibich sagte zu dem Försterssohn, er solle davon nehmen. Also sprachen sie zusammen, und die andern Frauenbilder machten Musik dazu. Wie die Mahlzeit zu Ende war, schlug der Hibich wieder mit dem Fäustel an den Tisch von Glaskopf, und wie der köstliche Ton wieder erklang, da trugen die kleinen Frauenbilder Krüge herein von lauter Silber; und der Hibich sagte zu dem Försterssohn: er solle Bescheid thun. Der sagte: Glück auf und that seinen Zug. Aber so Herrliches hat er im Leben nicht getrunken. Wie nun der Försterssohn sich so erquickt hatte, führte ihn der Hibich in ein gar großes Gemach, da war auf der einen Seite an den Wänden Silber, auf der andern Gold. Nun stand der Hibich da und kommandierte auf einmal: Silber! und das andere mal: Gold! und bei jedem Ruf des Hibich mußte der Försterssohn zugreifen, und der Hibich rief so lange: Silber und Gold! daß er mit unermeßlichen Reichtümern belastet wurde. »Willst du mir nun einen Gefallen thun?« sagte Hibich; »nämlich so lange der große Hibichenstein der große bleibet, hab' ich mein Recht daran und darf auch auf der Erde walten gehen (umgehen); wenn aber der große Hibichenstein zum kleinen wird, so kostets mich die Krone, und dann darf ich bloß unter der Erde herrschen. Da schießen nun immer die Leute nach Krimmern, Raben und Falken oben auf dem Hibichenstein, und das darf ich nicht leiden; denn triffts den Stein, so bröckelt etwas ab.« Der Försterssohn versprachs und gab ihm die Hand darauf, daß weder sein Vater, noch er selbst, noch ein anderer, so lange er lebe, jemals nach dem Steine schießen solle. Wie das geschehen war, führte ihn der Hibich in ein anderes Zimmer. Da war ein Bett von Moos recht artig bereitet. Der Hibich sagte, er wolle seinen Gast morgen zeitig wecken und wünschte ihm gute Nacht. Der Försterssohn hatte noch nicht lange geschlafen, da weckte[109] es ihn auf, und wie er die Augen aufschlug, graute der Morgen, und wie er sich besann ('s ist kalt gewesen), lag er unten am Hibichenstein unter einem Busch, all sein Silber und Gold aber, das er auf des Hibichs Ruf bekommen hat, lag neben ihm. Das hat er alles der Obrigkeit verzählt und den Armen von seinem Reichtume mitgeteilt. Und die Obrigkeit hat ein Gesetz ausgehen lassen, daß keiner auf den Hibichenstein steigen und keiner da nach Falken und Krimmern schießen dürfe und nach Raben. Und so lange der große Hibichenstein ist unversehret gewesen, hat der Hibich da sein Wesen gehabt und viel Gutes gethan, und manchen Bösen bestrafet, und es hat ihn auch mancher gesehen. Aber im dreißigjährigen Kriege haben die Kaiserlichen die Spitze des großen Hibichensteines aus Mutwillen mit Karthaunen heruntergeschossen, und von der Zeit an hat kein Mensch den Hibich mehr gesehen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 106-110.
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