Die feindlichen Brüder (Sternberg und Liebenstein).

[115] Es giebt ein schönes Gedicht von Heinrich Heine, das also lautet:


Oben auf der Bergesspitze

Liegt das Schloß in Nacht gehüllt;

Doch im Thale leuchten Blitze;

Helle Schwerter klingen wild.


Das sind Brüder, welche fechten

Grimmen Zweikampf wutentbrannt;

Sprich, warum die Brüder rechten

Mit dem Schwerte in der Hand.


Gräfin Laura's Augenfunken

Zündeten den Brüderstreit;

Beide glühen liebestrunken

Für die adlig holde Maid.


Welchem aber von den beiden

Wendet sich ihr Herze zu?

Kein Ergrübeln kann's entscheiden.

Schwert heraus, entscheide du!


Und sie fechten kühn verwegen,

Hieb auf Hiebe nieder krachts.

Hütet Euch, ihr wilden Degen:

Grausig Blendwerk schleicht des Nachts!
[116]

Wehe, wehe, blut'ge Brüder!

Wehe, wehe, blut'ges Thal!

Beide Kämpfer stürzen nieder –

Einer in des andern Stahl.


Viel Jahrhunderte verwehen,

Viel Geschlechter deckt das Grab;

Traurig von des Berges Höhen

Blickt das öde Schloß herab.


Aber nachts am Thalesgrunde

Wandelt's heimlich, wunderbar!

Wenn da kommt die zwölfte Stunde,

Kämpfet dort das Brüderpaar.


Es ist allgemein bekannt, daß dieses schöne, viel gesungene Gedicht sich bezieht auf die Burgen Sternberg und Liebenstein. Der rheinische Dichter spricht aber nur von einer, nicht von zwei Burgen. Die Sage ist an und für sich etwas ausführlicher, als Heine sie hier erzählt, und wenn auch in der Erzählung, wie wir sie hier folgen lassen, vielleicht nicht Alles echt volkstümlich ist, so ist es doch gewiß, daß der Name »die feindlichen Brüder« den einander gegenüberliegenden beiden Rheinburgen selbst gegeben, und daß daraus die Sage vielleicht erst entstanden ist.

Die bedeutendste Krümmung, welche der Rhein zwischen Bingen und Koblenz überhaupt macht, zeigt sich etwas vor dem Einflusse der Lahn Boppard gegenüber. In dieser Gegend befinden sich, jedoch nicht auf dem linken, sondern auf dem rechten Ufer des Rheines die Burgruinen Sternberg und Liebeneck und etwas südlich davon das Kloster Bornhofen.

Auf der alten Burg Sternberg wohnte ein Ritter, der hatte zwei Söhne von sehr verschiedener Gemütsart. Nach dem Tode seiner Burgfrau pflegte ihn eine Verwandte, zu der seine beiden Söhne ihrer Schönheit wegen von heißer Liebe erfaßt wurden. Zwar hatte es anfänglich geschienen, als würde sie dem ältesten die Hand reichen. Als aber der jüngere heranreifte, kehrte sie sich völlig von dem älteren ab und wandte sich dem jüngeren zu.

Der ältere Bruder war ernst, der jüngere leichtfertig. Jener sah, daß er sich keine Hoffnung auf Gegenliebe machen könne. Darum nahm[117] er das Kreuz und wollte die Burg seiner Väter und das Land verlassen. Aber auch der jüngere Bruder faßte noch den nämlichen Entschluß.

Der alte Vater bat dringend, daß einer der Brüder von seinem Entschlusse, an dem Kreuzzuge teil zu nehmen, abstehen möge. Dem jüngeren Bruder hätte dies wohl um seiner Braut willen zunächst obgelegen. Allein er widerstand allen Bitten und der ältere Bruder blieb endlich als Hüter und Beschützer seines alten Vaters und des Edelfräuleins zurück.

Seine Liebe konnte der ältere Junker nicht überwinden. Aber die Jungfrau hielt ihrem Verlobten eine unverbrüchliche Treue. Den alten Ritter jammerte seines daheim gebliebenen Sohnes. Damit derselbe das liebende Paar, wenn der Bruder aus dem gelobten Lande heimgekehrt wäre, wenigstens nicht täglich in seinem Glücke vor Augen hätte, so baute der Vater in der Nähe der Burg Sternberg die Burg Liebenstein, wo sein jüngerer Sohn dereinst mit seiner Gattin wohnen sollte.

Allein dieser kehrte endlich mit einer schönen Griechin zurück, mit welcher er schon vermählt war. Das Edelfräulein war tief gekränkt, ohne daß ihr Herz sich noch in Liebe dem älteren Bruder zugewandt hätte. Zwischen beiden Brüdern kam es sogar noch zum Zweikampfe. Das Edelfräulein trennte aber die feindlichen Brüder. Dann wurde es eine Nonne im Kloster Marienberg, der ältere Bruder aber ein Mönch im Kloster Bornhofen. Der jüngere Bruder lebte mit seiner Griechin auf der Burg Liebenstein, aber bald hatte sie ihn treulos verlassen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Berlin 1886, S. 115-118.
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