C. Ueber einige Märchen und Sagen vom Hirsch.

[186] In den Zweigen der Esche Yggdrasil, deren eine Wurzel zu der Unterwelt geht, laufen vier Hirsche und benagen ihre Knospen. Auch nagt der Hirsch Eikthyrnir an den Aesten des Baumes Läradhr, der in Valhöll steht.

Nach mannigfachen deutschen Sagen verlockt ein Hirsch in die Unterwelt, die bald ein Gott, bald eine Göttin beherrscht. Vergl. K. Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie I, S. 374. Auch W. Müller, N.S.S.S. 379.

In der Wölsunga 34 erzählt Gudrun einen Traum, worin Sigurd durch einen goldenen Hirsch angedeutet wird. Vergl. Wilhelm Grimm, Heldensage S. 394.

Sehr bekannt ist seit Kurzem das Märchen vom goldenen Hirsch, das unter Nr. 54 in Prof. Meier's Märchen aus Schwaben (vergl. auch meine Kinder-und Volksmärchen Nr. 65, der Ziehhirsch) mitgetheilt und auf den nordischen Freir, den deutschen Fro, und seine Werbung um Gerda (in der Meier nur eine andere Form der mütterlichen Erde überhaupt, »der Nerthus bei Tacitus, die schon ihrem Namen nach mit Freirs Vater, Niördr, identisch ist« sieht) bezieht, eine Auffassung der etwas Richtiges zu Grunde zu liegen scheint, wenn schon wir den Vergleich des Mythus mit dem Märchen nicht bis auf Einzelnheiten, die doch zunächst nur als Schmucksachen betrachtet werden können, ausgedehnt haben würden.

Ich halte zu diesem Märchen, worin ein Hirsch von Golde hergestellt und dadurch die Prinzessin verführt wird, zunächst St. Oswaldes Leben, wo dieser einen Hirsch von zwölf Goldschmieden mit Gold bedecken läßt, mit deren Hülfe er auch die schöne Pamige entführt. Dieser Hirsch wird aber auch unmittelbar aus dem Paradiese gesandt. (Siehe Simrock a.a.O. S. 53 und 55).

Der goldene Hirsch kommt aus einer Quelle und hängt mit einem Felsen zusammen Vergl. auch meine Märchen für die Jugend Nr. 36, wo sieben Hirsche auf goldenen Ringen um die Hörner aus einer Klippe aus- und eingehen, die der Eingang zu einem verwünschten Schlosse ist. Einer der Hirsche ist eine verwünschte Prinzessin und heirathet einen[187] von sieben desertirten Soldaten, die ihnen in die Klippe nachgegangen sind. Eine merkwürdige Variante dieses Märchens ist mir neuerdings in Ilsenburg erzählt. Danach liegt das Schloß, wo hinein ein goldener »Hirschbock« die sieben Soldaten verführt, geradezu am Brocken. In dem Schlosse hört man nur ein Geräusch, und Speisen werden hineingesetzt; für die, welche an Flucht denken, werden diese Mittags zu Stein. Sie sollen sieben Jahr bleiben und in den Gärten keine Blume abpflücken. Die Prinzessinnen, welche sie erlösen sollen, erscheinen ihnen als sieben Schlangen. Schon sind sie halb Menschen, »wie Haiderauch«, da mißglückt Alles durch Untreue und die Erlösung des »Hirschbocks« und der Schlangen glückt erst später sieben Musikanten.

Ein anderes Märchen vom goldenen Hirsch in der niederdeutschen Mundart von Ilsenburg ist von mir mitgetheilt in: »Die deutschen Mundarten. Eine Monatschrift für Dichtung, Forschung und Kritik. Herausgegeben von Dr. G. Karl Frommann, Vorstande des Archivs und der Bibliothek beim germanischen Museum.« Nürnberg, 1855. 2. Jahrgang. März und April. S. 173-176. Danach verlockt ein Zauberer in Gestalt eines goldenen Hirsches einen Grafensohn auf der Jagd und nöthigt ihn mit nach seinem Zauberschlosse zu kommen. Bemerkenswerth ist, daß die Brockengegend die Heimath dieses Märchens ist. In derselben wird auch folgendes erzählt, was geradezu zur Erläuterung des eben erzählten Ilsenburger Märchens dienen kann:

Venediger verwandeln sich in einen Hirsch mit goldnem Geweih. Einst schoß ihn jemand, da lagen nur zwei Hörner da und statt des Hirsches standen zwei Venetianer da (es war am Scharfenstein am Brocken). Dort fließt ein röthliches Wasser, das sich in die Ecker ergießt.

Bei den drei Jungfern, welches drei Steine sind, die am Brocken, in der Gegend des Jacobsbruchs zwischen der Hohne und der Pleßburg liegen, und dort am Brücknerstieg (vergl. S. 129) geht ein goldner Hirsch. Vor den Verfolgern ist er auf wunderbare Weise verschwunden.

Nach einer andern Erzählung verfolgen umgekehrt wie im Ilsenburger Märchen die Venediger den goldenen Hirsch.

Von der Kapellenklippe weg, wo früher ein Einsiedler[188] gehaust haben soll, von der Landmannsklippe her (von wo die Bauern im Lande Holz hauen), geht ein goldener Hirsch nach dem Brücknerstieg, geht bis an den gebohrten Stein, der zersprengt ist, und verschwindet. Der Hirsch ist ein Zwölfer, sein Geweih blitzt wie klares Gold. Die Venediger haben dem goldenen Hirsch nachgesetzt, um ihn zu fangen, und thun es noch. (Nach Andern dürfen sie die ganze Gegend nicht mehr bereisen). Wie genau der Brockenhirsch mit Goldgewinn und verzauberten Schätzen zusammenhängt, zeigt folgende Sage. Ein Mann Namens H. in Hasserode führte drei Fremde nach dem Brocken. Als sie oben waren, ging er auf den für die Fremden erbauten Thurm, sich umzuschauen und sah, daß die drei nach einem gewissen Flecke gingen, dort den Rasen aufdeckten und Päckchen herausbrachten. Er fand nachher richtig den Fleck und zeichnete ihn sich. Von da holte er mehrere Bergleute aus der Altenau auf dem Oberharze. Sie stiegen in die Grube, wo die Fahrten sechs bis acht Fuß hoch heraussahen. Alles war zugeschlossen und sie sahen, daß sie nichts bezwecken konnten. Der eine Bergmann sagte: sie wollten das Brockenbuch noch einmal durchlesen, und während dem zeigte sich ein Hirsch. Der eine Bergmann sagte: der sollte bald liegen, wenn er seine Büchse hier hätte. Der andere aber sagte: er solle nur den Hirsch gehen lassen, hier im Buche fände es sich, daß die Grube mit einem Hirsche versetzt wäre.

Harzsagen S. 129-131 wird die Sage von einem aus Venedig mitgebrachten Hirsch in zwei Fassungen vom Oberharze mitgetheilt; in der zugehörigen Anm. S. 268 bis 270 wird sie dann zunächst noch von dem hannöverschen Harzorte Scharzfeld nachgewiesen und dann vorläufig schon in einer Fassung aus Meisdorf im Selkethale (Unterharz) mitgetheilt.

Die Sage vom Förster und den Venedigern wird auch, der Meisdorfer Fassung am Aehnlichsten, vom Silberborn im Kästenthal bei Thale erzählt. Indessen nirgends am nördlicheren Harze ist sie auch so verbreitet als am Brocken.

Zunächst lehnt sich auch insbesondere diese Sage an den in dieser Abhandlung schon erwähnten Brücknerstieg. Dort, wo die kleine Holtemme entspringt, soll eine Horde mit grünen Tannen belegt sein, wie öfter an Stellen, wo Venediger[189] verkehren. Da trifft ein Jäger einen Zigeuner, der läßt Wasser in ein Sieb laufen, sie trinken dann, der Jäger schläft ein und liegt auf dem Markte in Venedig. Dort ist das Rathhausdach von Gold und Silber, ebenso sind die Dächer ringsum von Golde; ein kleiner Mann kommt, er muß mit ihm ins Haus gehen, bleibt ein paar Jahr bei ihm, trinkt wieder, geht auf den Markt und liegt endlich wieder auf der Stelle am Brücknerstieg.

Interessant ist das Vorhandensein eines Borns1, des Jägerbrunnens, an den jene Sage sich anlehnt. Eine halbe Stunde vor der Pleßburg, von der steinernen Renne aus, liegt der Jägerkopf, und am Jägerkopfe ein anmuthiges Thal, darin der Jägerbrunnen (Dreiviertelstunde vom Brücknerstieg). Neben ihm ist ein Jäger mit seinem Hunde in einen Felsen ausgehauen. Dieser Jäger war nach Venedig versetzt worden und die Jäger hatten ihm ein goldenes Halsband für seinen Hund machen lassen. Aus der Quelle sprudeln kleine gelbe Kugeln. Dorthin bestellten Venediger auch einen Hirten in der Johannisnacht. Ein Mann saß immer zwischen den Kühen, war dann wieder einmal fort und sagte endlich: Ihr Harzer seid zu dumm! Der Stein ist hier mehr werth, als die Kuh. Er gab ihm einen Stein, der war Gold, die nachher dort aufgelesenen Steine aber nicht.

Beim Jägerkopf und am Jägerborn unweit des Molkenhauses am Brocken traf ein Köhlerjunge Venediger. Sie wollten etwas aus dem Wasser ziehen. Sie gaben ihm zu essen und zu trinken. Er schlief ein und als er erwachte, war er in einem prächtigen Schlosse. Dort fand er die Venediger in anderer Kleidung wieder. Sie beschenkten ihn reichlich mit Gold, dann entschlief er und wurde wieder in seine Heimath versetzt.

In Elbingerode nennt man den goldenen Hirsch Kronen- oder Brockenhirsch, und sagt: Nicht jeder sah ihn. Der reitende Förster von Elend schoß ihn todt. Der Hirsch kam vor die Köthe der Köhler und hing mit den »Siebenkünstlern« (Venedigern) zusammen.[190]

In allen diesen Fassungen der Sage ist unverkennbar von Bergentrübung und von einer Fahrt in die Unterwelt die Rede. Besonders bemerkenswerth ist, daß vor jeder dieser Entrückungen durch Venediger gegessen und getrunken wird; wer mit Geistern Speisen genießt entsagt dadurch dem gewöhnlichen Leben, worüber man in den N.S.S.S. 373-389 vergl. W. Müller's Abhandlung »Zur Symbolik der deutschen Volkssage«. Oft werden Schlangen verzehrt, welche auf die Unterwelt Bezug haben und Schätze bewachen2. Der Name Morgenbrodsthal3 und Morgenbrodstein am Brocken mag mit diesen Venedigersagen auch nahe zusammenhängen. Nach einer Sage trinkt der Jäger mit den Venedigern am Morgenbrodsteine. Den Markt von Venedig findet er mit lauter Goldstücken und harten Thalern ausgelegt. Er braucht sich blos zurück zu wünschen nach dem Morgenbrodsteine, und verkauft den erhaltenen goldenen Hirsch für »mehrere hundert Thaler.«

In manchen Fassungen der Sage wird der Hirsch auf das Schloß Wernigerode geliefert. In Schierke wird folgendes erzählt:

Unter dem Brocken, südlich vom Königesbach, kam ein Jäger zu Venedigern, aß und trank mit ihnen und ward nach Venedig versetzt. In Venedig mußte er in einen Spiegel gucken, da sah er sich und seinen Hund noch am Königesbach. Danach wird wieder gegessen und getrunken, und er ist am Königesbach. Der Hirsch, den er sich hat aussuchen müssen, liegt neben ihm, und dieser ist nach dem Schlosse geliefert.

Es wird ferner erzählt von einem Jäger in Ilsenburg, der mehrmals einen fremden Mann verjagt habe bei einer bestimmten Verrichtung wie in der Fassung in den »Harzsagen«). Er ist dann auf die gewöhnliche Weise im Schlafe, gleich als würde er getragen4, nach Venedig gekommen[191] und hat da einen kleinen silbernen Hirsch erhalten. Daher rührt der Hirsch im Stolberger Wappen.

Eine weitere Erzählung lautet: Der goldne Hirsch steht beim Grafen in Wernigerode; der Jäger war am Scharfenstein, von dem schon in dieser Abhandlung die Rede war (vergl. auch die Sagen vom Scharfenstein S. 115 und 116, Nr. 304-308) gegangen, sah in Venedig Vögel und das ganze »Gedierze« (Gethier) in Gold. Der goldne Hirsch stand nachher neben ihm.

Der goldne und der schwarze Hirsch gehen in der Sage ganz in einander über, wie folgende Sage zeigt, die zugleich zur Beurtheilung der Ilsenburger Sagen von Werth ist. Den Ritter von Ilsenburg besuchte einst ein anderer Ritter, der ihm einen schwarzen Hirsch von unvergleichlicher Schönheit mitbrachte. Davon erfuhr der Ritter zu Wernigerode und suchte den Hirsch auf jede Weise an sich zu bringen. Endlich stellte er sogar eine Jagd im Walde an, die Schützen wurden aufgestellt und der Ritter von Wernigerode stellte sich unten an's Stollenthal. Bald darauf kam ein schwarzer Hirsch aus der Dickung hervor, zog sich aber sogleich wieder zurück. Da trat eine Zigeunerin vor ihn und sprach: »Edler Herr, wenn Sie den schwarzen Hirsch lebendig haben wollen, so kommen Sie morgen mit zwei Leuten, dann werde ich ihn Ihnen übergeben.« Der Ritter stellte sich mit zweien seiner Bedienten den folgenden Tag ein, die Zigeunerin war schon da. Der Ritter von Wernigerode bekam den schwarzen Hirsch, aber da rief eine Stimme: »Nun so nehmt ihn denn hin in des Teufels Namen!« Auch war der Ritter wirklich dem Teufel verfallen und wurde von ihm auf dem Schlosse geholt. In dieser argen Entstellung haben wir bereits eine deutliche Erinnerung an den mythischen Ursprung des Hirsches im Stolberger Wappen.

Mit der eben mitgetheilten merkwürdigen Sage ist folgende zu vergleichen: Als das Kloster in Himmelspforte noch stand, hatte der Abt einen ausgestopften Hirsch, dem er ein goldnes Gehörn hatte aufsetzen lassen. Er ließ aussprengen, an der Pleßburg ginge ein goldner Hirsch. Ein Mann Namens R.......... mußte ihn ziehen – man denke an den Ziehhirsch des Märchens – mit einem Ruck hin und her. Es hieß, der Abt habe ihn im Bann[192] und der Hirsch zeigte sich nur bei Klosterjagden. Einst kam ein Herr von Magdeburg, da zeigte sich der Hirsch zuerst beim Öhrenfelde. Dann trug R.......... den Hirsch durch's Dickicht und der Magdeburger schoß R.......... todt. Nachts schlief der Mann im Kloster, da kam erst ein Todtenschädel, dann kamen drei Geister mit Fackeln. Er schoß die Pistole ab, die Kugel fiel aber zu Boden, ohne zu treffen. Danach war er in einem Saal, wo zwölf Geister waren, darunter war der Abt. Er mußte schwören, binnen drei Jahren nicht zu sagen, was er gesehen. Nach drei Jahren kamen drei Geistliche zu ihm nach Magdeburg, händigten ihm einen Beutel mit Gold ein und sagten: Drei Tage möchte er noch schweigen, dann könne er alles verrathen. So that er es auch. – Der Hirsch, der umhergezogen wird, braucht nicht nothwendig die schwankartige Abschwächung der Erinnerung an die Erscheinung des göttlichen Hirsches selbst zu sein, sondern könnte vielleicht selbst die Erinnerung an die Umführung eines auf einen Cultus bezüglichen Bildes sein.

Wenn wir bisher von den Hirschsagen der Grafschaft Wernigerode redeten, so theilen wir jetzt die der Grafschaft Stolberg selbst mit.

Michael Neander (1525-1595) sagt:

Mons dat Stolbergae muros, insignia cervus

Alter, jura comes, nomen et aera chalybs5.

(Läncher, das Wappen des Grafenhauses zu Stolberg. 1836, S. 11).

Vom Auersberge bei Stolberg wird die gewöhnliche Sage erzählt. Der Jäger ißt und trinkt mit einem Kroaten oder Slowaken, wie man dort die Venediger auch nennt6, liegt dann zu Venedig in einem Rennstein und muß sich wieder hineinlegen, um auf den Auersberg zurück zu kommen.

Am Auerberge gehn schwarze und weiße Hirsche. Einst wird ein Hirsch einen Grafen auf den Auerberg führen, dort soll er ihn schießen und wird dann die Schätze des Auerbergs heben. Ueberhaupt ist in Bezug auf Stolberg selbst fast[193] immer vom schwarzen Hirsche, wie er sich im stolbergschen Wappen wirklich findet, die Rede7.

Säule und Hirsch im Wappen sind durch eine gelehrte Sage, die uns um so wichtiger wäre, wenn sie die Zusammengehörigkeit von Beiden bewiese, von Otto de columna hergeleitet worden. Man findet dieselbe nach ältern Quellen bei Spener a.a.O. S. 768. Wir führen die Sage hier so an, wie Zeitfuchs sie hat in den stolbergischen Historien (1717):

»Laurentius Peckenstein setzet in seinem Theatro Sax das 564. Jahr, mit der Gelegenheit, daß zu den Zeiten Iustini Minoris Otto de columna, aus einer adligen römischen Familia, die von der Säulen genannt, sich unter dessen Kriegsvolk, so wider die Thüringer und deren rebellischen König Hermenfridum, besser Erinfridus genannt, ausgeführt, vor einen Obristen brauchen lassen, und also thätlichen verhalten, daß durch seine sonderbare Mannheit nicht allein der Thüringer König gedemüthigt, und unter der Römer Gewalt hinwieder bezwungen, besondern auch zum Schutz der Sachsen vom Kaiser als ein Statthalter der Gegend am Harze hinterlassen. Dieser habe zur Zeit, als der Kaiser in Thüringen und auf'm Hause Scheidingen (an der Unstrut, welches das älteste in den Historien, sich aufgehalten, an dem Ort, da hernach das Schloß Stolberg hingebaut, einen schwarzen Hirsch ansehnlicher Würde und Größe angetroffen, solchen durch besondere List lebendig gefangen und dem Kaiser zugeschickt, sich auch damit so wohl verdient, daß ihm und seinem Nachkommen der ganze Strich und Ort Landes, darauf der Hirsch gefangen, auf etliche Meil Weges breit und lang, verehret, und er mit einem schwarzen Hirsch im Wappen zu führen begnadiget, auch zum Grafen und römischen Judice der Gegend eingesetzt und bestätiget worden. Müßte also schon dazumal gebräuchlich gewesen sein, die Wappen an gewisse Familien zu binden. Sollen aber, so viel man aus Spangenbergen und einem alten raren Msto.[194] hat, die Landesherren zu Stolberg unter die sächsischen Richter gezählet, und nach P. Albini's Bericht sächsischen Ursprungs sein, so sind sie älter als Otto de columna, und haben die Ehre, daß sie unter den 12 Edlen Vierfürsten des sächsischen Reichs stehen, aus welchen zur Kriegszeit Herzöge und Könige erwählt worden.« Mit dieser Nachricht stimmt nun ganz vorzüglich die Myth. S. 100 ausgehobene Stelle Witechinds von Corvei, wonach die Sachsen nach ihrem Siege über die Thüringer um 530 an der Burg Schidungen »ad orientalem portam ponunt aquilam, aramque victoriae construentes, secundum errorem paternum, sacra sua propria veneratione venerati sunt, nomine Martem, effigie columnarum imitantes Herculem« u.s.w. –

Wir wenden uns jetzt wieder zu der mündlich auf uns gekommenen Ueberlieferung. Es wird erzählt:

An der untersten Eiche bei der Pulvermühle, auf der Herrenwiese, nach Rottleberode zu, dicht an der Dywa soll der Hirsch geschossen sein durch Otto von der Säule, ersten Kammerdiener Kaiser Friedrich's. Als er zu Barbarossa zurückkam, sprach der: »Nun ziehe hin und baue Dich an, wo drei Gewässer (Luda, Wilda und noch ein anderes Wasser) zusammenfließen. Die Stadt hieß zuerst Stuhlberg, dann Stollenberg.«

Ferner: Den schwarzen Hirsch fing ein Stolberger zur Zeit Kaiser Friedrich's am »alten Stolberg«, welchen Namen noch jetzt eine stattliche Bergwand bei Rottleberode führt.

Ferner: Graf Botho fing den Hirsch im Zwilsberge, führte ihn dem Kaiser vor und ward der erste Graf zu Stolberg.

Ferner: Im »alten Stolberg« bei Rottleberode sagte ein Geist: man sollte Stolberg dahin bauen, wo es jetzt steht, und wo der schwarze Hirsch stände, sollte man den Markt hin bauen. Daher das Wappen.

Ferner: Ein weißer Hirsch blieb auf dem jetzigen Stolberger Markte stehen. Der Hirsch sagte: Hier auf dem Markte sollten sie Stolberg bauen. Ein Jahr darauf wurde »im 7jährigen Kriege« Stolberg eingeschossen und auf der jetzigen Stelle wieder erbaut.[195]

Der schwarze Hirsch (erzählen Andre, immer in Stolberg selbst), zeigt sich bei Stolberg am Hainfeldsberg, ist ein Abstamm von Rolandi und Hun, nämlich eine verwünschte Tochter von Hun. Sie vergrub ein schweres Vermögen diesseit dem Hainfelde zwischen Stolberg und dem Hanifelde. (Hier greifen die oben mitgetheilten Sagen von Eruna ein). Man findet dort eine Telle (d.i. eine Senkung im Erdboden. Bei dieser Telle zeigt sich die Riesenjungfrau als Hirsch, Bär und auch als Mensch. Viele sind dort gesteinigt und ist ihnen die Mütze genommen.

Nun sagt zwar Läncher S. 20-22 Folgendes: »Das Stolberg'sche Wappen ist ehemals nicht ein schwarzer Hirsch, sondern eine umgekehrte Hand, bisweilen auch ein getheilter Schild. Hieraus schon ergibt sich, daß die Erzählung von dem schwarzen Hirsche, welchen Otto de Colonna auf dem alten Stahlberge gefangen und dem damals zu Scheidungen gewesenen byzantinischen Kaiser Justin II, 566-578, als ein rares Wildbrät verehrt habe, worauf ihm dieser die Würde eines Grafen zu Stolberg und zum Wappen einen schwarzen Hirsch in goldenem Felde ertheilet, ein Märchen ist. Das Bild stammt im Gegentheil aus viel späterer Zeit, kommt jedoch schon vor 1347 in Urkunden vor.« Indessen verbürgen ohne Zweifel alle diese Sagen dem Stolbergischen Hirsch seinen heidnischen Ursprung, auch wenn er erst in einer verhältnißmäßig etwas späten Zeit in das Wappen aufgenommen ist, was dann wohl eben auf Grund der vorhandenen Sagen geschehen sein würde, wie ja auch auf Grund der Sagen das Bild der weißen Dame von Stolberg gemalt ist, das jetzt im Ahnensaale hängt.

Der würdige Prof. Günther Förstemann führt in seinen kleinen Schriften, Nordhausen 1855, Heft 1 an, daß auch die fränkischen Stalberge einen Hirsch mit ausgereckter Zunge im Wappen haben und nimmt dies als Verstärkung der Wahrscheinlichkeit dafür an, daß die harzischen Stolberge aus der Maingegend stammen. Dies wird, wie gesagt, nach unsren Sagen höchst unwahrscheinlich, denn es ist zu vermuthen, daß diese, vielleicht in einer weit älteren Form, die Aufnahme des Hirsches in das stolbergische Wappen veranlaßt haben, wenn gleich es auch möglich bliebe, daß die in Stolberg vorhandenen heidnischen Hirschsagen sich nur um[196] den etwa fremd hergekommenen Wappenhirsch gesammelt hätten.

Was die eigentliche mythologische Ausbeute dieser Untersuchung betrifft, so stellt sich die mit dem Hirsch in Verbindung stehende Jungfrau von Stolberg, auch die in eine Zigeunerin entstellte, mit dem Hirsch in Verbindung stehende Frau von Ilsenburg, wo sich ein Marienhof befindet, durch den Hirsch ungefähr zur Genovefa, über welche wir auf Zachers Artikel in Ersch' und Grubers Encyclopädie, 1. Sect., herausgegeben von M.H.E. Meier, 58. Theil, S. 219 bis 223 verweisen, worin es unter Anderm heißt: »Leo (der Genovefa aus dem Keltischen, durch Frau der Höhle8 erklärt) und Müllenhoff sehen in der Genovefengeschichte Bruchstücke jener weit verbreiteten Sage, welche, bei mehren deutschen Völkerstämmen wiederkehrend, bei Angelsachsen, Franken, Langobarden, Schwaben an die Namen der Stammherren, Sceaf, Offa, Schwanritter, Siegfried, Welf sich anknüpft, und über diese hinaus weist auf den gemeinsamen göttlichen Ahnherrn, auf Wuotan, aus dessen Verbindung mit einer Walkyrie jene Stammesherren entsprossen gedacht würden. Wir werden ihnen zustimmen, ja wir werden auf Grund einiger charakteristischer Züge, die sich merkwürdiger Weise in und mit der Legende erhalten haben, noch einen Schritt weiter gehen und in Genovefa nicht blos eine Walkyrie vermuthen dürfen, sondern die Herrin der Walkyrien selbst, die große Göttin der Zwölften, Frouwa.« Hiermit ist im Allgemeinen auch die Göttin bestimmt, auf welche der Hirsch im stolbergschen Wappen weist, wenn gleich die stolbergschen Sagen vom Hirsch und von der Jungfrau uns zur nähern Bestimmung dieser Göttin selbst noch manches Licht geben dürften.

Ueber die Säule im stolbergschen Wappen kann auch meine Abhandlung de nominibus montis Bructeri et de fabulis quae ad eum mortem pertinent (Wernigerodae 1855) p. 36 et 37 verglichen werden. Was wir so eben S. 194 u. 195 beigebracht haben, zeigt deutlich, daß die Wappensäule[197] die sächsische Irmensäule ist. Interessant ist bei dem nahen Zusammenhange von Irmen- und Rolandsäulen No. 415 die Sage von Rolandi. Ob aber der nahe Zusammenhang zwischen Säule und Hirsch im Wappen ein bloß äußerlicher ist, oder möglicher Weise tiefer liegen könnte, darüber hier Untersuchungen anzustellen, würde uns, so wichtig es wäre, weit über die Grenzen, welche diese Abhandlung sich gesteckt hat, hinausführen. Jedenfalls steht die »Riesenjungfrau« auch zur Säule in Beziehung, das zeigt S. 196 oben.

Nachschrift. Herr J. Zacher hat die Güte gehabt, mir brieflich mitzutheilen, wie eine von ihm neuerdings noch angestellte etymologische Untersuchung über den Hirsch dahin geführt hat, daß das Hirschgeschlecht, einschließlich des Elennthieres, dem Vanencultus zugehört. Er wird Mehreres zur Vanenmythologie beibringen und kann den Beweis liefern, daß die taciteische Isis einen echt deutschen Namen hat. – Das Beste über den deutschen Hirsch überhaupt steht bis jetzt in Simrocks Bertha die Spinnerin. – Bei Kuhn und Schwartz S. 187 steht folgende Sage: »Weißer Hirsch verweist die Bergleute. Am Herzberge bei Goslar hat man einmal einen Schacht anlegen wollen, weil man vermuthet, daß dort noch viel Erze verborgen seien; da ist plötzlich ein weißer Hirsch erschienen und hat zu aller Staunen vernehmlich gesprochen, sie sollten abstehen von ihrem Bemühen, denn so lange noch das Erz im Rammelsberg unerschöpft sei, so lange würde ihr Unternehmen fruchtlos sein; und darauf ist er plötzlich, wie er gekommen, wieder verschwunden.« Diese Sage zeigt wieder entschiedenen Zusammenhang des Hirsches mit Erzgewinn. Herzberg ist Hirschberg und dieser Oft, die Wiege des englisch-hannöverschen Königshauses, soll nach Harzsagen S. 181 einem Hirsch seinen Ursprung verdanken. In: Die Chorographie der Grafschaft Wernigerode, enthaltend Reden und Gedichte, welche bei dem 50jährigen Regierungsjubiläum des Grafen Christian Ernst 1760 den 11. December im Lyceum gehalten wurden, findet sich ein Gespräch von der Blasonirung des gräflichen Wappens, welches jedoch, obgleich jedenfalls unter Anleitung des bekannten Rectors Schütze verfaßt, für diese Abhandlung keine Ausbeute gibt.

Fußnoten

1 In Schierke sagt man: Der Jäger lag in Venedig vor einem Wassertrog.


2 Vergl. Harzsagen S. 242 und 243. Die Geschichte von den Venedigern, die Schlangen verzehren, wird in Braunlage vom Brocken erzählt.


3 Sagen vom Morgenbrodsthal s. oben S. 127-128, Nr. 328-330.


4 Ganz wie die Helden, z.B. Heinrich der Löwe, entrückt werden.


5 Der Stahl.


6 Vergl. Harzsagen, Vorwort S. XXIX.


7 In der Grafschaft Wernigerode findet man den goldnen und den weißen Hirsch als Namen für Wirthshäuser, beides ist mit dem schwarzen Hirsch ganz gleich bedeutend.


8 Also eine Hel. Der schwarze stolbergische Hirsch wird natürlich ganz besonders auf die Unterwelt weisen.


Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 186-198.
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