Kriegserklärung

[50] Nein, sie sollen wiederklingen,

wie sie ehemals erklungen,

nein, wir wollen wieder singen,

die wir ehemals gesungen:

Berghinauf und talhernieder,

unbekümmert, unerschrocken,

unsrer Zukunft Osterglocken,

unsrer Freiheit Morgenlieder!


Was wir einsam, gramumdüstert,

nur gedacht mit Herzenspochen,

was wir heimlich nur geflüstert

und vor Gott nur ausgesprochen:

Laßt es nun die Welt erfahren!

Laßt es nun aus jedem Munde,

laßt es nun aus Herzens Grunde

unverhüllt sich offenbaren!


Nun herbei, die Glocken läuten,

und die Fahnen seh' ich wehen:[50]

Nun herbei, ihr Weitzerstreuten,

nun zum Banner laßt uns stehen!

Werdet Männer nun aus Knechten,

werdet Krieger nun aus Hirten:

Das wir trugen unter Myrten,

mit dem Schwert nun laßt uns fechten!


Nun herbei auch ihr zur Stunde,

die ihr Frieden uns geheuchelt

und mit Lächeln auf dem Munde

mitternächtlich uns gemeuchelt:

Nun beiseite eure Schlingen,

eure Netze, eure Fallen!

Denn nur ein Recht gilt uns allen:

und das ist das Recht der Klingen.


Schweigend, in den Lüften droben,

ernste Geister seh' ich sitzen,

eine Hand seh' ich erhoben,

und ein Richtbeil seh' ich blitzen.

Diese Stunde ruft uns beide!

Wagt es nun, die Glut zu dämpfen,

wagt es nun, mit uns zu kämpfen –

und der ew'ge Gott entscheide!


Quelle:
Robert Eduard Prutz: Prosa und Lyrik, Leipzig 1961, S. 50-51.
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Gedichte: Neue Sammlung (German Edition)