Was wir wollen

[27] Und mögen wir auch noch so klar

von dem, was not tut, sagen,

und mögen noch so offenbar

der Freiheit Banner tragen:

Ihr lacht uns doch ins Angesicht

und zählt uns zu den Tollen,

ihr denkt, wir wissen selber nicht,

nicht völlig, was wir wollen.


So merkt denn auf! Das Vaterland

soll fest zusammenhalten,

vom Rhein bis an den Ostseestrand

selbständig, unzerspalten;

stets soll es vorwärts, vorwärts gehn,

und ob die Donner rollen,

auf eignen Füßen soll es stehn –

das ist es, was wir wollen.


Wir wollen Fürsten, habet acht,

die gern dem Volk vertrauen

und die die Säulen ihrer Macht

nur auf dem Recht erbauen;

wir wollen Fürsten, die nicht gleich

um ein paar Verse schmollen,

an Schmeichlern arm, an Liebe reich –

das ist es, was wir wollen.


Wir wollen Völker, kühn und stark,

von keinem Joch gebogen,

genährt von ihrer Vorzeit Mark,

zu Knechten nicht erzogen;

wir wollen Völker, die nicht bloß

stets müssen und stets sollen,

durch Krieg berühmt, durch Frieden groß –

das ist es, was wir wollen.
[28]

Wir wolln Gesetze, kurz und rund,

die klar und deutlich sprechen

und die auch keines Königs Mund

darf biegen oder brechen;

wir wolln Gesetze, die dem Born

des Lebens frisch entquollen,

der Bösen Zaum, der Guten Sporn –

das ist es, was wir wollen.


Wir wolln Minister (merkt's, ihr Herrn!),

mit oder ohne Ahnen,

wenn sie nur dem Jahrhundert gern

weit offne Straßen bahnen!

Doch wem des Volkes Liebe fehlt,

der soll vom Amt sich trollen,

und ob er sechzehn Ahnen zählt –

das ist es, was wir wollen.


Wir wollen freie Wissenschaft,

zu lernen und zu lehren,

und niemand soll des Denkers Kraft

in ihrem Fluge wehren.

Wir wollen, daß man nicht den Geist,

den frischen, lebensvollen,

nur Holz und Wasser tragen heißt –

das ist es, was wir wollen.


Und dann mein ewig A und O,

daß ich es nicht vergesse!

Denn ohne das wird niemand froh –

das ist die freie Presse;

daß wir des Geistes Blüte nicht

bei der Zensur verzollen,

das dünkt uns Recht, das dünkt uns Pflicht –

das ist es, was wir wollen.
[29]

Zuletzt noch eins, das ist ein Ton,

bei dem die Herzen schlagen,

er heißt, er heißt – ihr kennt ihn schon,

ich darf ihn doch nicht sagen.

Wer wagt das Wort? Wer nennt es hier?

Fürwahr, ihr möchtet grollen:

Doch gebt nur das, so haben wir,

wir haben, was wir wollen.


1842


Quelle:
Robert Eduard Prutz: Prosa und Lyrik, Leipzig 1961, S. 27-30.
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