Sechster Auftritt

[202] Frau Kreuzin. Jungfer Fröhlichin. Ernst Gotthart. Dr. Muskat. Heinrich, der ein großes Brett voller Arzneigläser bringt und es auf den Kaffeetisch setzt.


DR. MUSKAT. Soso! mein Freund. Setzt es nur hieher. Er rückt sich einen Stuhl an den Tisch und setzt sich nieder. Nun, meine liebe Frau Kreuzin, nun klagen Sie mir Ihre Not! Was fehlt Ihnen denn eigentlich? Er nimmt ein großes leeres Tropfenglas in die Hand.

FRAU KREUZIN stöhnend. Ach! mein lieber Herr Doktor, das entsetzliche Magendrücken!

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt eins von den Tropfengläsern, macht es auf und schmeckt; macht aber ein garstig Gesicht und speit aus und gießt etwas in das große Glas hinein. Nun? worüber klagen Sie noch mehr?

FRAU KREUZIN stöhnend. Ich habe gar keinen Appetit zum Essen.

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas, macht's auf, kostet, macht ein garstig Gesicht, speit aus und gießt ein. Was fehlt Ihnen denn noch mehr?

FRAU KREUZIN. Ach! ich habe eine so große Beängstigung auf der Brust!

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas, macht's auf, kostet's, macht ein garstig Gesicht, speiet aus und gießt ein. Was fehlt Ihnen weiter?

FRAU KREUZIN. Ich habe solche üble Nächte!

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas und macht es wie vorhin. Was fehlt Ihnen mehr?

FRAU KREUZIN. Ach, die heftigen Kopfschmerzen!

DR. MUSKAT. Für die Kopfschmerzen wollen wir ein Pülverchen nehmen. Er macht ein Päckchen Pulver auf, kostet's, speit aus und schüttet eins hinein. Was fehlt Ihnen mehr?

FRAU KREUZIN. Ich habe zuweilen solch Herzpochen!

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas mit Tropfen und macht es wie vorhin. Was fehlt Ihnen denn noch sonst?

FRAU KREUZIN. Ei, mein lieber Herr Doktor, die Verstopfungen! die Verstopfungen![203]

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein ander Glas und machet es wie zuvor.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Schütten Sie für die Verstopfungen nicht eine Handvoll Pillen hinein?

DR. MUSKAT. Ach nein. Was fehlt Ihnen denn sonst noch?

FRAU KREUZIN. Ach! mein lieber Herr Doktor, ich muß mich immer mit solchen seltsamen Gedanken plagen. Bald bilde ich mir ein, daß mir eine Ader gesprungen ist.

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen und tut wie zuvor. Was bilden Sie sich mehr ein?

FRAU KREUZIN. Neulich dachte ich, daß ich im Sarge läge, und daß man mich nicht nach meinem Sinne gekleidet hätte.

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht.

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen und tut wie zuvor. Haben Sie noch sonst was?

FRAU KREUZIN ängstlich. Der junge Herr Gotthart erzählte vorhin, daß er sich eingebildet, er hätte Basiliskenaugen. Das geht mir nun im Kopfe herum. Wenn es nun wahr wäre, was könnte ich hier nicht für ein Unglück haben!

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht sehr.

DR. MUSKAT. Gut, gut! Er nimmt ein Glas mit Tropfen, macht es wie vorhin und gießt damit sein Glas voll. Herr Gotthart, Sie möchten immer was einnehmen für Ihre Basiliskenaugen.

ERNST GOTTHART. Von Herzen gern.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ei, Possen! Herr Vetter! Ihre Basiliskenaugen nehme ich über mich, zu kurieren.

DR. MUSKAT. Ja, meine liebe Frau Kreuzin, nunmehr muß Ihnen nichts mehr fehlen! Mein Glas ist ganz voll. Er bindet es zu.

FRAU KREUZIN. Ach! wenn es mir nur für alles das hilft, was ich Ihnen geklagt habe, so will ich gern zufrieden sein.

DR. MUSKAT gibt ihr das Glas. Nun, da haben Sie dies, nehmen Sie davon fünfzig bis sechzig Tropfen ein, so oft Ihnen was vorkömmt, und haben Sie einen guten fröhlichen Mut und ein gelassenes Gemüt dabei.

JUNGFER FRÖHLICHIN. Ja, mich dünkt auch, wenn der fröhliche Mut in dem Glase wäre, so könnte das andere alles daraus gegossen werden.

DR. MUSKAT zur Jungfer Fröhlichin. Spotten Sie nur nicht! Ich[204] habe wohl eher solche lustige Schmetterlinge gekannt, die auf ihr Alter die ärgsten Hypochondriaci geworden sind.

JUNGFER FRÖHLICHIN lacht.

DR. MUSKAT. Ja, ich muß noch zu einer Wöchnerin gehen. Leben Sie wohl, Frau Kreuzin! ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise.

FRAU KREUZIN. Ihre Dienerin, Herr Doktor. Ich bin Ihnen für Ihren guten Rat verbunden. Sie will ihm Geld geben.

DR. MUSKAT. Ei, Frau Kreuzin! ich kann es nicht nehmen. Es sind ja des Herren Gottharts Arzeneien.

FRAU KREUZIN. Ei, es ist auch nur eine kleine Erkenntlichkeit für Ihren guten Rat.

DR. MUSKAT nimmt's. Nun, so danke ich sehr schön. Herr Gotthart, weil Sie itzt Gesellschaft haben, so besuche ich Sie schon ein andermal. Er geht ab.

ERNST GOTTHART. Ihr Diener, mein Herr Doktor! nehmen Sie doch das Geleite mit sich.


Quelle:
Die bürgerliche Gemeinschaftskultur der vierziger Jahre. Herausgegeben von Prof. Dr. Brüggemann, Leipzig 1933, S. 202-205.
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