10.

[145] Zünde nur die Opferflamme

Immer höher, heller an;

Was an mir von Erden stamme,

Daß ich's ganz dir opfern kann!


Du ein Blitz aus Himmelslichte,

Glanz von reinerer Natur,

Strahl von Gottes Angesichte,

Und ich bin von Staube nur.


O wie kniet in tiefer Kleinheit

Meine Liebe neben dir,

Wie in hoher Engelsreinheit

Schwebst du lächelnd über mir.


Hebe mich auf deine Flügel,

Löse meinen dumpfen Traum,

Nimm mir ab die schweren Zügel,

Die mich niederziehn zum Raum.


Hauche doch die Sinnumdüstrung

Mir vom Seelenspiegel fort,

Brich mir doch die Wahnumflüstrung,

Brich sie durch dein klares Wort.


Ird'sches Feuer in den Adern,

In den Blicken trübe Glut,

In der Brust verworrnes Hadern –

Mache, daß der Aufruhr ruht!


Mache, daß mein Ich mir schwinde,

Das mich mit mir selbst entzweit,[145]

Daß ich Gott und dich empfinde,

Und die Welt in Einigkeit.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 145-146.
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