17.

[148] Gestern sprach der Mond zu mir,

Als ich von der Liebsten ging,

Wie er hell in stiller Zier

Über dunklen Wolken hing:


Hat der Freund so manches Mal

Sonst doch nach mir aufgeschaut,

Und es hat mein feuchter Strahl

Wehmut ihm ins Herz getaut.


Bin ich dir nicht mehr vertraut?

Blickst du nicht nach mir einmal?

In Gedanken deine Braut,

Merkst du gar nicht meinen Strahl.
[148]

Streu' ich doch auf deinen Weg

Meine schönsten Schimmer gern;

Dir zu zeigen Weg und Steg,

Eifr' ich mit dem Abendstern.


Himmel schaut in deine Lust,

Teilst du gleich sie nicht ihm mit;

Und es lenken unbewußt

Seine Lichter deinen Schritt.


In der Morgensonne Glanz

Gingest heut zu deinem Glück;

Und die Nacht im Sternenkranz

Führt im Dunkel dich zurück.


Mond und Sonne siehst du nicht,

Doch dich sehen Sonn' und Mond

Und erquicken sich am Licht,

Das in deinem Herzen wohnt.


Schau nun doch mich an einmal,

Birg es meinen Blicken nicht,

Wie der Liebe Gottesstrahl

Klärt ein Menschenangesicht!


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 148-149.
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