3.

[176] Liebchen, meine Freunde raten,

Edlem Lehrstand mich zu weihn,

Auszustreuen goldne Saaten

In der Jugend frische Reihn.


Ob in mir ich solche Körner

Heg', ist wenig mir bewußt;

Sie zu säen zwischen Dörner

Hab' ich völlig keine Lust.


Bin ich selb doch in der Wilde

Aufgewachsen ohne Zucht.

Ohne daß ich andre bilde,

Will ich tragen meine Frucht.


Bin geworden, was ich konnte;

Werd' ein jeder, was er kann!

Wie ich mich an keinem sonnte,

Biet' ich Licht auch keinem an.


Sollt' ich ernst gelehrte Sachen

Pred'gen? Mir ein schlechter Spaß,

Oder lehren Verse machen?

Selber kann ein jeder das.
[176]

Liebchen! Ab vom Lehrerstuhle

Wendet sich zu dir mein Sinn.

Wo ich halten soll die Schule,

Mußt du sein die Schülerin.


Meine Weisheit will ich träufen

Dir mit Küssen in die Brust,

Alle Geistesblüten häufen

Um dich her zu Schmuck und Lust.


Warum sollt' ich meine Saaten

Fremden Feldern anvertraun,

Da mich Gott so wohl beraten,

Daß ich darf mein eignes baun?


Pflanzen will ich stets vom frischen

Und mich meiner Ernten freun,

Und kein Fremder soll mir zwischen

Meinen Weizen Unkraut streun.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 176-177.
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