11.

[158] Blaue Blüten, die zur Gabe

Er beim Abschied mir gebrochen,

Die ich nun bewahret habe

Sorgsam über Tag und Wochen!


Wenn der Abend mild gefächelt,

Tränk' ich euch aus frischem Bronnen;

Und ich hab' euch angelächelt,

Wann die Luft nicht wollte sonnen


Hier in euren Augen stehn

Seh' ich meine Perlentropfen.

Wie ich still euch angesehn,

Fühlet ihr mein Herz nicht klopfen?


Meiner Hoffnung Wassergarten,

Blühe, blühe, blühe doch!

Meinen Liebsten zu erwarten,

Daure, daure, daure noch!


Fallen sah ich doch mit Schaudern

Eine Blüte nach der andern.

Will der Liebste länger zaudern,

Müßt ihr aus dem Fenster wandern.


Zu der Mutter sprach ich heute:

Wenn der Freund mir heut nicht kommt,

Welken meine Wiesenbräute,

Daß nicht mehr die Pflege frommt.


Und ich sah die Blumen an,

Und es klopfte stark am Thor.

Als die Mutter aufgethan,

Trat mein Liebster rasch hervor.


Laßt euch nun zum Abschied grüßen,

Welke Blumen, geht hinaus!

Dieser bringt mir mit von Küssen

Einen frisch erblühten Strauß.

Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 158-159.
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