Zugabe

[135] Die Locke der Begrabenen.


Eh' ihr sie ins Grab müßt senken,

Gebet mir die Locke nur!

Gönnet meinem Angedenken

Diese einz'ge dunkle Spur!


Dunkle Locke, du von ihren

Reizen einst der Schatten bloß;

Da sie all ihr Licht verlieren,

O wie scheint uns deins so groß!


Von des Todes Bann gefodert

Alle müssen in die Gruft,

Du allein darfst unvermodert

Spielen in des Himmels Luft.


Du allein bist nun geblieben,

Einst so schwach, nun stark genug,

Um zu tragen all mein Lieben,

Das ein ganzer Himmel trug.


Denn wie einst an dir, o Locke,

All die süße Schönheit hing,

So zum Trotz der Sterbeglocke

Hängt sie noch an diesem Ring.


Wie den Ring ich magisch drehe,

Zieht er sie vom Grab empor

Vor mein Antlitz, und ich sehe,

Daß mein Herz sie nicht verlor.

Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 135-136.
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