Drittes Kapitel.

[345] Wie Panurg die Schuldner und Borger lobt.


Wann aber, frug Pantagruel, werdet ihr ausser Schulden seyn? – Im griech'schen Neumond, antwort Panurg, wann alle Welt vergnügt seyn wird, und jeder sein eigner Leibeserbe. Gott woll nicht daß ich je herauskäm! Dann fänd ich ja keinen Menschen mehr, der mir auch nur einen Heller lieh. Wer abends kein Hefen im Trog behält, dem bleibt sein Teig früh sitzen. Habt ihr fein allezeit einen Gläubiger, wird er ohn Unterlaß Gott für euch um Glück und Segen und langes Leben, aus Furcht sein Geld zu verlieren, bitten; wird immerdar in Gesellschaft von euch nur lauter Liebes und Gutes reden, euch immer neue Gläubiger werben, damit ihr an ihnen Versuram macht, und ihm sein Loch mit fremdem Zeug stopft. Als weiland, nach der Druiden Satzung in Gallien, die Sklaven, Knecht und Dienstleut beym Leichenbegängniß und Exequien ihrer Herrn und Meister lebendig verbrennet wurden, schwebten sie da nicht in stattlicher Furcht vor dem Tod ihrer Herrn und Meister? denn es half nichts, sie mußten mit ihnen sterben. Riefen sie nicht in einem fort ihren grossen Gott Mercurius und Dis den Batzen-Vater an, daß er sie lang gesund woll erhalten? Waren sie nicht in ihrem Dienst voll Eifers sie aufs best zu warten und zu verpflegen? denn leben mochten sie miteinander, zum mindesten bis an den Tod. Dieß glaubet nur: mit desto heisserer Andacht werden euere Gläubiger Gott für euch um Leben bitten, vor euerm Tod erzittern, als ihnen der Aermel näher denn der Arm, der Beutel lieber denn Leben ist. Nach Art der Wuchrer im Roth-Gau, die sich unlängst erhenkten, weil sie sahen, daß der Wein und das Getraid im Preis abschlüg, und gute Zeit ward. –

Als hierauf Pantagruel keine Antwort gab, fuhr Panurg fort: Potz Heinz! ihr macht mich, wenn ich mirs recht bedenk, fürwahr ganz rappelich mit euerm Tadel meiner[346] Schulden und Gläubiger. Hum! just in diesem Punkt allein hielt ich mich herrlich, hoch und hehr, daß ich, nach aller Weisen Meinung, (welche lehren: aus nichts wird nichts) da wo ich nichts, kein erste Substanz hätt, ein Schöpfer und Macher worden bin. Was schaff ich? So viel schöne und gute Gläubiger. Gläubiger, (ich behaupts bis zum Feuer, exclusive) sind schöne, gute, fromme Geschöpf. Wer aber nichts herleiht, das ist ein häßlich, ein erzbös Geschöpf, ein Geschöpf des leidigen Höllen-Teukers.

Was mach ich? Schulden. O rare Sach! o edles Kleinod! Schulden, sag ich, an Zahl die Sylben übersteigend die aus Verbindung der Vocales mit allen Consonanten entstehn, vorlängst berechnet und ausgezählet durch den edlen Xenokrates. Schätzt ihr der Schuldner Vollkommenheit nach der Meng ihrer Gläubiger, könnt ihr in praktischer Arithmetik nicht irre gehn. Oder meint ihr nicht, daß mir sauwohl wird, wenn jeden Morgen ich diese so demüthigen, dienstbaren Gläubiger voller Kratzfüß um mich versammelt seh', und wenn ich den einen ein wenig freundlicher anschau, ihn etwas besser tractir als die Andern, der Fratz gleich denkt er werd sein Saldo zuerst erhalten, der Erst am Bret seyn, und mein Lächeln für baar Geld nimmt? Dann ist mirs als wenn ich noch in der Passion von Saulmur den Gott Vater spielt', umgeben von allen seinen Engeln und Cherubim. Dieß sind meine Clienten, Parasiten, Candidaten, Mützenschwenker, Helfgottrufer, meine beständigen Parakleten. Und mein in Wahrheit, aus Schulden bestünd der heroische Tugend-Berg beschrieben durch Hesiodum, darauf ich den obersten Doctorgrad erstiegen, darnach die Sterblichen all zu ringen und zu rennen scheinen, wenn ihrer gleich nicht viel hinkommen, weil der Weg fast schwierig ist und heutzutag, wie man wohl sieht, die ganze Welt nach neuen Schulden und Gläubigern lechzet. Aber nicht jeder wer will, gelangt zu Schulden, nicht jeder find Gläubiger, der Lust hat. Und dieß Sonntagsglück wollt ihr mir rauben? und ihr fragt mich, wann ich würd ausser[347] Schulden seyn? Ja was noch ärger! denn so helf mir Sanct Babolin der Gottesmann, wo ich nicht all mein Lebtag Schulden für eine Kett und Bindebruck Himmels und Erden gehalten hab, für den alleinigen Nahrungsquell der Menschenraß, (ohn welchen, sag ich, wir Menschen samt und sonders bald verkommen müßten.) Sind sie nicht etwann die grosse Weltseel selbst, wodurch, nach der Akademiker Lehr, ein jedes Ding sein Leben hat? Zum Beweise, stellt euch einmal in klarem Geist die Idee und Form einer Welt für – nehmet, wenn ihr wollt, die dreyssigste derer die Metrodorus der Philosoph ersonnen hat, meintwegen auch die achtundsiebzigst des Pretonius – eine Welt ohn Schulden! da werden die Gestirn aus allen ihren Gleisen weichen. Nichts wie Verwirrung. Jupiter, weil er Saturnen nichts mehr schuldet, wird ihn aus seiner Sphär entsetzen, und alle Intelligenzen, Götter, Himmel, Dämonen, Heroen, Genien, Teufel, Erd, Meer, all Element an seiner homerischen Kett erhenken. Saturn wird sich mit Mars verbinden und die Welt oberst zu unterst kehren. Merkur wird nicht den Andern mehr dienen, nicht ferner ihr Camill seyn wollen, wie er in der Hetrusker Sprach hieß, denn er ist ihnen nichts schuldig. Venus wird nicht mehr venerirt seyn, denn sie hat nichts geliehen. Der Mond wird blutigroth und finster bleiben; wofür sollt ihm die Sonn ihr Licht leihn? war sie doch nicht verbunden dazu. Die Sonn wird nicht mehr scheinen auf Erden, die Stern nicht mehr mit gutem Einfluß herunterleuchten, denn die Erd hinterhielt ihnen ihrer Dünst und Nebel Nahrung, von denen, wie Heraklitus lehrt, die Stoiker darthun und Cicero meldet, die Stern veralimentiret werden. Unter den Elementen wird kein Verkehr, Tausch noch Gemeinschaft mehr seyn, denn es wird sich keines dem andern verpflichtet achten; es hätt ihm nichts zuvor geliehn. Aus Erden wird kein Wasser werden, das Wasser nicht in Luft sich wandeln, aus Luft kein Feuer entstehn, das Feuer die Erd' nicht wärmen. Die[348] Erd wird nichts als Ungeheuer, Titanen, Alloiden, Riesen zum Fürschein bringen, kein Regen wird fallen, kein Licht wird scheinen, kein Wind wird wehn, wird weder Sommer noch Herbst mehr seyn. Lucifer bricht sein Kett entzwei und schießt mit allen Furien, Strafen und gehörnten Teufeln herauf aus dem Abgrund die Götter samt und sonders, grosser und kleiner Völker, wie Vöglein aus ihren Himmeln zu krebsen. Es wird ein wahrer Hundskrieg seyn, diese Welt die nichts leiht noch borgt, eine Kabal enormer als des Parisischen Rectors, ein Teufelsspuk, toller als auf dem Fasching zu Doué. Unter den Menschen wird keiner dem andern mehr beystehn, wie laut er auch um Hülf, Mord, Feuer, Wasser, und Zeter schrie; niemand wird kommen: warum? er hätt nichts hergeliehen, man war ihm nichts schuldig, niemand hat Schaden von seinem Brand, von seinem Schiffbruch, Tod und Verderben. Dafür auch lieh er nichts, dafür auch leihet man ihm nun wieder nichts. Kurz, Glauben, Lieb und Hoffnung werden aus dieser Welt verbannet seyn; denn die Menschen sind geboren einander zu helfen und beyzustehn. An deren Statt vielmehr wird einziehn Verachtung, Mistraun, Hader, Haß, nebst aller Uebel, aller Plagen, aller Verwünschungen Heeresschwarm. Ihr dächtet eigentlich, Pandora hätt dort ihr Fläschlein ausgeleert. Die Menschen werden Mannwölf seyn, Wärwölf und Kobolt wie Lykaon, Bellerophon, Nebukadnezar; Räuber, Strauchdieb, Meuchelmörder, Giftmischer, Missethäter, Neider, voll Tück und Arglist Einer auf All und All auf Einen, wie Ismael, wie Metabus, wie der Athenische Timon, der darum Misanthropos hieß. Denn es wär der Natur viel leichter die Fisch in Lüften zu futtern, oder den Hirsch zu weiden am Meeresgrund, als diese unleihfertige[349] Schlaraffenwelt zu erhalten. Ich bin ihr, mein Treu! ganz gram. Und stellt ihr euch itzt nach dem Muster dieser verdroßnen, dickschnutigen, nichts leihenden Welt, die andre kleine Welt für, welches der Mensch ist, da werd ihr einmal erst einen schönen Krakeel drinn finden. Das Haupt wird seiner Augen Licht zu Leitung der Händ und Füß nicht herleihn: die Füß es sich zu tragen weigern; die Händ ihm ihren Dienst versagen. Das Herz, so vieler Pulsschläg müd, die Glieder nicht bewegen, ihnen nichts weiter leihen. Die Lung wird ihm das Darlehn ihres Othems entziehn; die Leber ihm zu seinem Bedarf kein Blut mehr schicken, die Blas nicht mehr in der Nieren Schuld seyn wollen, der Harn gesperret seyn. Das Gehirn, in Obacht solchen Unfugs, wird träumerig werden, und weder denen Nerven Empfindung, noch auch den Mäuslein Nahrung reichen. Summa, ihr werd in dieser vertrackten weder Leiher- noch Borgerwelt eine schmähligere Verschwörung als in Aesopi Mährlein sehen. Auch wird sie zweifelsohn zu Grund gehn, und das in Bälden, wenn ihr gleich der Arzneygott Aeskulapius selbst helfen wollt, der Leib müßt stracks in Fäulniß, und die Seel erbost gradaus zu allen Teufeln fahren, meinem Geld nach.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 345-350.
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