Vier und Zwanzigstes Kapitel.

[419] Wie Panurg vom Epistemon Rath nimmt.


Verliessen also Villaumere, und zogen heim zum Pantagruel. Auf dem Rückweg wandt sich Panurg an Epistemon, und sprach zu ihm: Mein Gevatter und alter Freund, ihr seht die Verwirrung meiner Seelen, ihr wißt so viele gute Mittel: könnt ihr mich nicht berathen? – Da nahm Epistemon das Wort und warnt' Panurgen, wie alle Welt ihr Gespött hätt ob seiner Verkleidung, und rieth ihm dabey, doch etwas weniges Nieswurz zu brauchen, der ihm den bösen Humor vertrieb, und seine gewöhnliche Kleidung wiederum anzulegen. – Gevatter Epistemon, versetzt' Panurg, mein Sinn steht nun einmal aufs Freyen, aber ich fürcht mich vor Hörnern und Hauskreuz in meinem Ehstand. Darum hab ich Sanct Franzen dem Jüngern (zu dem alle Weiber in Plessis les Tours so brünstig beten, weil er die guten Mannsen gestiftet, nach denen sie von Natur gelüstet,) ihm hab ich das Gelübd gethan, so lang die Brill an meiner Mütz, und meine Hos ohn Latz zu tragen, bis mir in dieser meiner Seelen-Angst ein klarer Bescheid zu Theil würd werden.

Fürwahr, antwortet Epistemon, ein feines Gelübd, ein possierlich Gelübd! Es muß mich Wunder an euch nehmen, daß ihr nicht in euch geht und eure Sinnen aus diesem groben Irrwahn nicht wieder in ihre natürliche Ruh und[419] Fassung bringt. Wenn ich euch reden hör, muß ich des grossen Perücken-Gelübds der Argiver gedenken die, als sie im Streit um Thyrea ein Treffen an die Spartaner verloren hatten, kein Haar auf dem Scheitel zu tragen gelobten, bis sie nicht ihr Ehr und Land wieder eingelöset: oder auch an das Gelübd des schnurrigen Spaniers Michel Doris mit seinem Beinschienen-Splitter am Fuß. Und weiß fürwahr nicht welcher von Beyden die grün und gehle Schellenkapp mit Hasenöhrlein mehr zu tragen verdient hätt, ob dieser stolze Kämp, oder Enguerrant, der uns davon den lieben langen, leidigen Bericht macht; aller Art und Kunst wie uns der Samosatensische Weise Geschicht lehrt schreiben, uneingedenk. Denn wenn man dieß lange Geschreib liest, dächt man nicht anders es müßt der Keim und Saamen zu irgend einem schweren Krieg und wichtiger Staatsveränderung seyn; aber am End der Mähr verlacht man sie alle drey, den werthen Kämpen, den Englischen der ihn zum Streit ausfordert', und Enguerrant ihren Archivarium; denn er ist schlabriger als ein Senftopf. Es ist die Poß vom Horazischen Berg, der aus der Maasen schrie und ächzt' gleich einem Weib in Kindesnöthen; auf sein Geschrey und Aechzen raunten die Nachbarn all herbey in Hoffnung einer erschrecklichen Misgeburth, aber am End kam nichts zum Fürschein als eine Maus. –

Ich maus mich drum nicht, sprach Panurg, ihr foppt mir damit mein hären Kleid noch nicht vom Leib. Ich laß die Stummen brummen, und thu nach meinem Gelübd. Ist nun so lang schon daß wir einander Treu und Freundschaft beym Jupiter Φίλλιος (Philios) zugeschworen haben; so gieb mir deinen Rath, sag an: soll ich heyrathen oder nicht? – Fürwahr, antwortet' Epistemon, der Fall ist[420] kitzlich; dieß zu sagen bin ich lang noch nicht klug genug. Und wenn je in der Arzeneykunst das Wort des alten Hippokrates von Lango: Schweres Urtheil, zutraf, so trifft es zu in diesem Fall. Wohl hab ich allerhand Gedanken wie wir uns über eure Zweifel Raths holen möchten; scheinen mir aber nicht augenfällig klar genug: Etliche Platoniker lehren, daß wer seinen Genius sehen könnt, auch sein Schicksal erfahren könnte. Ich versteh nicht viel von ihrer Kunst, und rath euch nicht darauf zu bauen. Es ist viel Dunst darinn; das hab ich an einem gelehrten und eifrigen Junker im Ostringerland wohl eingesehn. Dieß wär der erste Punkt.

Zum andern: wenn die Orakel noch florirten, als: Jupiter in Ammon, Apollo in Lebadien, Delphi, Delos, Cyrrha, Patara, Tegyra, Präneste, Lycien, Kolophon, am Kastalischen Quell, zu Antiochia in Syrien, unter den Branchiden; Bacchus in Dodona; Merkur in Pharä bey Paträ; Apis in Aegypten; Serapis in Kanopus; Faunus in Menalien und Albunea bey Tivoli; Tiresias in Orchomenus; Mopsus in Cilicien; Orpheus in Lesbos; Trophonius in Leukadien: würd ich vielleicht (vielleicht auch nicht) euch rathen daß ihr sie befrüget was sie zu euerm Handel meinten. Aber sie sind, wie ihr wohl wißt, sämmtlich so stumm wie die Fisch geworden seit jenes Herrn und Heilands Ankunft, der allen Orakeln und Propheten ein End und Ziel gesetzet hat: wie wenn die helle Sonn aufgeht, alle Kobolt, Lamien, Lemurn, Währwölf, Irrwisch und Nachtgespenster verschwinden. Und selber wenn sie noch am Leben wären, würd ich euch doch schwerlich rathen ihren Sprüchen Glauben zu schenken: nur zu viel Leut sind schon damit betrogen worden. Entsinn mich auch wie Agrippin' es einst der schönen Lollia Schuld gab, daß sie des Klarischen Phöbus Orakel befragt hätt, zu erfahren ob sie des Kaisers Claudius Gemahlinn würd werden. Wofür sie zuerst ins Elend kam, dann eines schmähligen Todes starb.

Ich weiß ein Beßers, sprach Panurg. Nicht weit vom[421] Hafen Sanct Malo sind die Ogygischen Insuln. Dahin laßt uns eine Fahrt thun, wenn wir zuvor mit unserm König gesprochen haben. Auf einer von den vieren, der am westlichsten gelegenen, sagt man (ich habs aus guten alten Authoren) daß allerley Wahrsager, Seher, und Propheten wohnen sollen. Da soll Saturn in einem Berg von Gold an schönen güldenen Ketten gebunden liegen, mit Ambrosia und Götter-Nektar veralimentiret, welches ihm täglich im Ueberfluß vom Himmel gebracht wird durch, ich weiß nicht was für eine Art von Vögeln: vielleicht sind es dieselben Raben, die in der Wüst den ersten Klausner, Sanct Paul ernährten; und einem Jeden der sein Geschick erforschen will, soll er sein Loos und was ihm bevorsteh klar offenbaren. Denn nichts spinnen die Parzen, nichts bedenkt noch ordnet Jupiter, das nicht der liebe Vater im Schlaf säh. Es könnt uns dieß viel Müh ersparen, wenn wir ihn in diesen meinen Skrupeln ein wenig zu Rathe zögen? – Der Betrug, sprach Epistemon, ist allzu grob; die Fabel allzu fabelhaft. Da geh ich nicht mit.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 419-422.
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