Sechs und Dreyssigstes Kapitel.

[116] Wie Gargantua das Schloß am Furth Vede zerstört', und wie sie über den Furth gingen.


Als er ankam, erzählt' er wie er die Feind getroffen hätt, und den an ihrer ganzen Schaar von ihm allein vollführten[116] Streich: betheuert' es wären eitel Dieb, Strauchhähn und Räuber, die gar nichts verstünden vom Kriegshandwerk, und sollten sich nur frisch an sie machen, denn es würd ihnen ein leichtes seyn, sie wie das liebe Vieh zu schlachten. Demnach beschritt Gargantua, in Begleitung seiner obigen Freund, die große Mär, und unterwegens traf er einen gewaltigen hohen Baum an, den man gewöhnlich Sankt Martins-Baum nannt, weil er aus einem Pilgerstab also erwachsen war, den vor Zeiten der heilige Martin dorthin gepflanzet. Da sprach er: Siehe da was mir fehlt! Dieser Baum soll mir zum Spieß und Pilgerstecken dienen. Damit riß er ihn leichtfertig aus der Erden, streift' die Aest herunter und putzet' ihn zu seinem Vergnügen. Unterdessen stallt' seine Mär', sich die Blaas zu lehren, solches aber so überflüssig, daß auf sieben Meilen ein Fluth draus ward und aller Brunzt in den Furth von Wede lief. Den schwemmt' es so gewaltsam wider den Strom an, daß des Feinds Geschwader mit Mann und Maus elendiglich daselbst ersoffen, ohn Etliche, die ihren Weg links über den Berg genommen hatten.

Als Gargantua vor dem Forst von Vede ankam, warnt' ihn Eudämon, daß im Schloß noch etliche Feind verborgen lägen. Welchs zu erfahren Gargantua so laut er konnt rief: Seyd ihr drinnen oder nicht? Wenn ihr drinnen seyd, so seyds gewesen! Seyd ihr nicht drinn, darfs nicht der Wort. Ein Bengel aber von Schützenmeister hinter der Schuß-Schart richtet eine Kanon auf ihn, und traf ihn grausam an die rechte Schläf'; es thät ihm aber nicht weher als wenn er ihn mit einer Zwetschen geworfen hätt. Was ist dieß? sprach Gargantua, werft ihr uns hie mit Traubenkernen? der Herbst soll euch noch theuer kommen: denn er meint' nicht anders, die Stückkugel wär ein Traubenkern gewesen. – Diejenigen, die sich im Schloß mit dem Rapiamus erlustirten, liefen, als sie den Lärmen hörten, auf Thürn und Bollwerk und thäten aus Falkonetten und Büchsen mehr denn neuntausend fünfundzwanzig Schüss auf ihn, zielten ihm all nach dem Kopf, und hagelten so hageldicht, daß er ausrief: Ponokrates, mein Freund! die Fliegen da blenden mich: o lang mir doch einen Zweig von diesen Weiden her, sie zu verscheuchen! denn er sah die bleyernen Schusser und die Stein[117] aus dem Wurfgeschütz für Kühfliegen an. Ponokrates bedeutet ihn aber, daß es die Fliegen aus den Kanonen im Schlosse wären, die man ihm zuschöß. Da rannt er mit seinem großen Baum wider das Schloß an, zermalmt' mit schweren Stössen Thürn und Bollwerk, und schleift' es alles dem Boden gleich, dergestalt, daß Alle darinnen zerschmettert und erschlagen wurden.

Von da weiter kamen sie an die Mühlenbruck und fanden dort den ganzen Furth so gehauft voll Leichen, daß sie den Mühlgang verstaueten. Dieß war aber eben die in der Mär-Harnfluth Ersoffenen. Gingen also zu Rath wie sie drüber kämen, in Betracht der Stämmung dieser Cadaverum. Gymnastes aber sprach: Sind die Teufel hinüber kommen, will ich auch wohl hinüber. – Die Teufel, sagt Eudämon, sind 'nüber kommen als sie die verdammten Seelen hohlten. – Nun beym Sankt Trinian! rief Ponokrates, so muß er nothwendig auch hinüber. Ey! sprach Gymnast, das mein ich auch, oder will unterwegen bleiben. Gab damit seinem Pferd die Sporen und setzt' risch über, ohn daß das Pferd einmal vor den Todten gescheuet hätt. Denn er hätt es nach Aeliani Lehr gewöhnt, weder Seelen noch Leichnam zu fürchten: nicht daß er die Leut (wie Diomedes die Thrazier) umbracht, oder wie Ulysses, nach Homers Bericht, die Leiber seiner Feind den Pferden unter die Füß warf: sondern er legt' ihm ein Gespenst in sein Heu, und ließ es gewöhnlich darüber traben, wann er ihm seinen Haber gab. Die andern Dreye folgten ihm ohn Anstoß nach, bis auf Eudämon, dessen Pferd mit dem rechten Fuß einem grossen feisten Schelmen, der da rücklings ersoffen war, bis ans Knie in den Wanst einbrach, und ihn nicht wieder herausziehn konnte. Mußt auch so lang drinn stecken bleiben bis Gargantua mit seinem Stab die übrigen Kutteln des Schelmen vollends in Grund bohrt': da dann das Pferd den Schenkel 'raus renkt'. Und (was wunderbar in der Hippiatri zu merken) so war dieß Pferd von einem Ueberbein, das es an selbigem Fuß hätt, blos durch die Anrührung der Gedärm dieses groben Schliffels geheilt, und aus dem Grund curiret worden.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 116-118.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel