Dreyssigstes Kapitel.

[318] Wie wir auf das Atlaß-Eiland kamen.


Vergnügt den neuen Brummer-Orden gesehn zu haben, fuhren wir zween Tag. Am dritten entdeckt' der Steuermann ein sehr schönes, köstliches Eiland wie keins zuvor; man hieß es das Fries-Eiland; denn die Wege waren von Fries. Auf selbigem war auch das Atlaß-Ländlein, das den Hof-Pagen so gefällt, wo nimmer noch von Baum und Kraut Blum oder Blatt gefallen ist, weil alles von geblümtem Sammt und Dammast war. Auch Thier und Vögel waren von Tapetenwerk. Da sahn wir eine Menge Thier, und Vögel auf den Bäumen, ganz so wie bey uns gestaltet und gefärbt, von gleicher Größ und Umfang; nur frassens nicht noch sangen; bissen auch niemand wie die unsrigen. Auch mehrere, die wir zuvor noch nicht gesehen, unter andern diverse Elephanten sahen wir, in sehr diversen Posituren. Vor allen traf ich unter diesen sechs Männlein und sechs Weiblein an, dieselben die ihr Wärter weiland zu Rom im Circo produzirt' zu den Zeiten Germanici, Kaiser Tiberii Neffen, sehr gelehrte Elephanten in Musik, Philosophi und Tanzkunst, Pavanenhopser, Lendrer; sassen bey[318] Tisch in schönster Ordnung, und assen und tranken feyerlich wie fromme Patres im Rebender. Ihre Schnauz ist zwey Schuh lang, heißt Proboszis, damit schöpfen sie Wasser zum Trinken, pflücken Palmen, Pflaumen und hohlen alle Arten Lebensmittel; gebrauchen ihn zu Schutz und Trutz wie eine Hand; im Treffen werfen sie ihren Mann hoch in die Luft, daß er, wenn er herunter kommt, für Lachen birst. Wohl haben sie Gelenk' und Zehen an den Füssen: und wer dieß leugnet, hat sie nur gemalt gesehn. Sie haben zwischen den Zähnen ein Paar grosse Hörner, wie's Juba nennt. Pausanias sagt 's wären Hörner und keine Zähn; Philostratus spricht 's wären Zähn und keine Hörner: ist mir all eins, wo ihr nur merkt daß dieß das wahre Elfenbein ist: drey bis vier Schuh seyns lang und sitzen im obern Kiefer, nicht im untern.

Wenn ihr auf Die hört die hievon das Gegentheil sagen, kommt ihr schief an, und wärs Aelian das Lügenmaul. Wo sonst als hier hat Plinius sie nach den Cymbeln funambuliren, auf Seilen gehn, ja über die Tafeln schreiten sehn bei vollem Schmaus, ohn allen Schaden der Becher noch der Bechernden?

Ich sah da ein Rhinozeros, demjenigen ganz ähnlich welches mir einmal Heinrich Clerberg wies, und war von einem Eberschwein das ich einst in Limoges gesehn hab, nicht sehr verschieden; ausser daß es ein spitzig Horn am Rüssel hätt, schuhlang, womit es sich im Streit an einen Elephanten wagt', ihm in den Unterleib (als welches der Elephanten kitzlichster und schwächster Theil ist,) bohrt' und so ihn todt zu Boden streckt'. Einhörner sah ich da zweyunddreyssig: dieß ist ein grausam wüthigs Thier und einem schönen Roß ganz ähnlich, ohn daß der Kopf dem Elephanten, der Schwanz dem Eber gleicht, und es ein spitzigs, schwarzes, sechs bis sieben Fuß langes Horn an der Stirn hat, das ihm gewöhnlich schlaff herabhängt gleichwie der Kamm eines welschen Hahnen, es aber wenn es streiten oder sich dessen sonst gebrauchen will, starr in die Höh reckt. Eins derselben sah ich, von einem ganzen Troß verschiedner wilden Thier umringt, mit seinem Horn einen Brunnen fegen. Da sprach Panurg zu mir, sein Dietrich[319] glich diesem Einhorn, wenn auch nicht ganz in der Läng, so doch an Tugend und Eigenschaft; denn wie dieß Thier das Wasser der Teich und Brunnen von Koth und jedem Gift das drinn wär, säubert', und diese vielen Thier nach ihm ganz unbedenklich zu saufen kämen, so könnt man auch hinter ihm getrost und sonder Furcht vor Schanker, Tripper, Kernschlieren, Syphilis und solchen kleinen Profeten mehr, pomfideln; denn wenn im Müffloch was unrechts wär, das fegt' Er alles mit seinem nervigten Horn heraus. – Wenn ihr, sprach Bruder Jahn, eine Frau habt, wolln wirs an Der probiren, topp! in Gottes Namen! weil ihr uns so nützliche Cautelen gebt. – Wohl, sprach Panurg, und auf der Stell die schöne Gottes-Aggregativpill aus zweyundzwanzig Cäsars-Dolchen euch in die Wänst? – Ey nicht doch! lieber ein gut Glas kühlen Weins, sprach Jahn.

Dort sah ich auch Jasons güldnes Vließ. Die welche meinen daß es kein Vließ, sondern güldne Aepfel gewesen wären, weil Mila Apfel und Schaaf zugleich heißt, haben das Atlaß-Land schlecht gesehn. Ich sah da ein Chamäleon wie's Aristoteles beschreibt und mir zuweilen ehedem Karl Maris der berühmte Arzt zu Lyon der edlen Rhone-Stadt gezeigt hat: aß auch nichts als Luft, wie jenes.

Ich sah da drey Hydern, wie ich ihrer schon mehr gesehen; dieß sind Schlangen, deren jede sieben verschiedne Köpfe hat. Ich sah vierzehn Phönix, wiewohl ich zwar in mehren Authoren zuvor gelesen daß es ihrer in einem Alter nicht mehr denn Einen auf der Welt geb. Allein nach meinem geringen Ermessen haben Die so davon geschrieben, keine weiter als in Tapeten-Land gesehn; und wärs Lactantius Firmian. Ich sah die Haut von Apuleji güldenem Esel. Ich sah dreyhundert neun Pelikans; sechstausend sechzehn Seleucidische Vögel, die in Reih und Glied spazirten und Heuschrecken vom Getraidig lasen; dann Cynamolgen, Argathylen, Tinnunculn, Kothnotarien, nicht doch! ich[320] wollt sagen Onokrotalen mit grossem Schlingkropf, Caprimulgen, Stymphaliden, Cynocephalen, Harpyen, Pantheren, Dorkaden, Cemaden, Kartazonen, Satyren, Taranden, Uren, Monopen, Pegasen, Cerkopitheken, Cepen, Neaden, Presteren, Bisonten, Musmonen, Byturen, Ophyren, Strygen, Gryphen.

Die Mittfasten sah ich da zu Roß; Blaumontag und Gründonnerstag hielten ihr den Bügel; Währwölf, Centauren, Tyger, Hyänen, Leoparden, Kameloparden, Orygen.

Ich sah eine Remora, ein kleines Fischlein (Echeneis auf Griechisch) bey einem grossen Schiff in offner See, das sich nicht rührt', obschon es alle Segel beysetzt: ich glaub's war des Tyrannen Periander seins, das auch einmal so ein klein Fischlein widern Wind zum Stehn bracht; denn Mutian hats nirgend als hie im Atlaß-Land gesehn.

Dabey belehrt uns Bruder Jahn wie in den Parlamentern weiland zwey Arten Fisch grassiret hätten, die Leib und Seelen aller da Recht Suchenden so groß als kleiner, reicher, armer, adlicher und bürgerlicher in Fäulniß und Verzweiflung trieben. Die Einen wären die April-Fisch oder Makrelen, id est Kuppler und Hurenmäkler; die Andern hiessen Remorae beneficae, das ist verdollmetscht: Prozeß- und Händelewigkeit ohn einen jüngsten Urthelstag.

Ich sah da Sphingen, Raphen, Unzen, Cephen; bey denen waren die Vorderfüß wie Menschenhänd, die hintersten wie Menschenfüß gestaltet. Sah Crokuten und Ealen, die so groß sind als ein Flußpferd, Schwänz wie Elephanten, Kiefern wie die Eber, und bewegliches Geweih wie Eselsohren haben. Die Leukrokuten, ein sehr flinkes behendes[321] Thier, groß wie die Esel von Mirebalays; Hals, Schwanz und Brust wie eines Löwen, Bein wie die Hirschbein, und das Maul bis an die Ohren aufgeschlitzt. Zähn haben sie nicht als einen oben, und einen unten; und reden wie die Menschen, aber damals habens nichts gesagt. Ihr sprecht, es hätt noch nie ein Mensch ein Weihen-Nest mit Augen gesehn: gewiß, dort sah ich ihrer eilf, ihr könnts euch merken. Hellebarden sah ich dabey, die waren links, das hatt ich auch noch nicht gesehn. Sah Mantichoren, sehr närrische Thier; sie haben Leiber wie die Löwen, fuchsrothes Haar, Gesicht und Ohren wie Menschen, und drey Reihen Zähn, die in einander greifen wie wenn ihr die Finger der Händ verschränkt: im Schwanze führen sie Stachel, damit stechen sie wie die Skorpionen; und ihre Stimm ist wunderlieblich. Katoblepen sah ich da, sehr wilde Thier von kleinem Leib, doch habens unförmlich grosse Köpf, und können sie kaum vom Boden erheben. Ihre Augen sind so giftig daß wer sie sieht, gleich sterben muß, wie wer den Basilisken sieht. Ich sah die Thier mit zween Rücken dort, und schienen mir sehr fröhlige geübte Wackelärß zu seyn; ihr Bürzel ging in einem fort, trotz einer Bachstelz auf und nieder. Ich sah da milchene Krebs, die hatt ich auch nimmer noch zuvor gesehn; marschirten in der schönsten Ordnung, und nahmen sich sehr stattlich aus.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 318-322.
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