Erstes Kapitel.

[228] Wie Pantagruel auf das Läut-Eiland kam, und von dem Lärmen den wir hörten.


Unsers Weges weiter eilend segelten wir drey Tag und sahen nichts. Am vierten entdeckten wir Land, und sagt' uns unser Steuermann, dieß wär das Läut-Eiland: und hörten von weitem einen gellenden, oft wiederhohlten Lärm, und schien uns, dem Schall nach, wie Glockenläuten, grosser, kleiner, mittler durcheinander, wie an hohen Festen zu Paris, Tours, Gergeau, Nantes und anderwärts. Je näher wir kamen, je stärker wir dieß Läuten hörten.

Wir dachten es wäre Dodona mit seinen Kesseln, oder der Tempelvorhof Heptaphonos in Olympien, oder der unaufhörliche Lärm von dem Koloß auf Memnons Grab im Aegyptischen Theben, oder auch das Pauken das in alten Zeiten um ein Grabmal auf Lipara, der Aeolischen Inseln einer, gehört ward. Die Chorographie traf aber nicht zu. Ich glaub schier, sprach Pantagruel, ein Bienenvölklein fängt hie an zu schwärmen, und um sie wieder zu fangen, macht nun die Nachbarschaft dieß Bumbaum mit Pfannen, Kesseln, Becken und korybantischen Cymbeln Cybele's, der grossen Göttermutter. Horcht! – Itzt wie wir näher kamen, war uns als wenn wir unter dem ewigen Geläut der unermüdlichen Glocken auch Stimmen wie von Menschen hörten, die da wohnten. Dieß bewog Pantagruelen, eh wir am Läut-Eiland ankerten, mit unsrer Schlup an einem kleinen Felsen zu landen, bey welchem wir eine Kläusner-Hütt und ein Gärtlein sahen.

Dort fanden wir ein liebes frommes Kläusnerlein namens Hosian, von Glenay bürtig; das erklärt' uns dieß Läuten[229] ausführlich und tractirt' uns auf eine fast besondre Art: denn er ließ uns in Einem Strich vier Tag lang fasten; weil wir sonst, behauptet' er, aufs Läut-Eiland nicht gelassen würden, wo eben das vierstündige Quatember-Fasten wär. Dieß Rätsel, sprach Panurg, ist mir zu spitz; das vierwindige möcht ichs eher heissen: denn wenn wir fasten, werden wir doch nur mit Wind genudelt. Ey was! habt ihr denn gar keinen bessern Spaß hie als Fasten? Mir scheint das eine ziemlich magrer Scherz; so vieler maulfaulen Feyertag entriethen wir gern.

In meinem Donat, sprach Bruder Jahn, find ich nicht mehr als dreyerley Stund und Zeiten: Präsens, Präteritum und Futurum. Hie muß wohl die viert' für's Ferbers Gaul seyn? – Es ist, antwortet' Epistemon, der Aoristus; der kommt her von dem höchst unvollkommenen Präterito der Griechen und Römer, in einer scheckigbunten Zeit angenommen und eingeschwärzet. Nur Geduld! spricht der Grindige. – Es ist fatalisch, sprach der Kläusner, und muß so seyn wie ich gesagt hab. Wer's anders meint, ist Gottes Feind und reif zum Feuer. – Reiflich erwogen, mein Vater! sprach Panurg, so fürcht ich zur See weit mehr die Näß als Hitz, weit mehr das Tauchen als das Rauchen.

Wohlan dann, in des Herren Namen! fasten wir. Allein ich fast fast schon so lang daß mir vom Fasten das Fleisch ganz unterminiret ist, und fürcht mich sehr, die Bastionen meines Leichnams werden endlich zu Falle kommen. Auch hab ich noch ein andre Furcht: mein Fasten wird euch nur verdriessen, weil ich mich nicht darauf versteh: es kleidet mich sehr übel, wie mir alle Leut versichern, und ich glaubs. Ich für mein Theil sag: Fasten kümmert mich hundswenig, denn[230] es ist nichts leichter und wohlfeiler, aber: nicht zu fasten künftighin, darum bekümmr' ich mich, denn da wills Futter für die Mühl, da muß man zu schmieren haben. Nun wohlan, in Gottes Namen! Fastiamus, weil einmal Hunger-Ferien sind: an die dacht ich schon längst nicht mehr.

Und wenns dann, sprach Pantagruel gefastet seyn muß, so ist kein Rath, als daß wir's wie einen bösen Weg ausbaaden. Ich hab ohnhin meine Heft ein wenig revidiren wollen, ob auch die Meeresstudien so gut als die zu Land gehn; weil, wenn Plato einen blöden Tropf und ungelehrten dummen Menschen beschreiben will, er ihn Leuten vergleicht die auf Schiffen im Meer erzogen oder, wie wir sagen würden, die hinterm Ofen groß geworden und nicht weiter als ihre Nas sehn.

Unser Fasten war schauderhaft und schreckbar; denn den ersten Tag fasteten wir auf Hieb und Stoß, den zweyten auf Kling und Spieß, den dritten auf Stumpf und Stiel, den vierten auf Mord und Todtschlag. Also wollten's die Feyen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 228-231.
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