Neunzehntes Kapitel.

[279] Wie wir ins Reich der Quintessenz oder Entelechia kamen.


Nachdem wir einen halben Tag lang den Wirbel klug umlenßet, schien uns am dritten drauf das Wetter heller als sonst zu seyn, und liefen glücklich im Hafen zu Matäotechnien[279] ein, der vom Palast der Quintessenz nicht weit ist. Bey der Anfurth gleich starrt' uns ein grosser Trupp Hatschierer und Reisigen zu Bart entgegen die da am Zeughaus schilderten, und uns zum Willkomm fast erschreckten; denn sie forderten uns allen die Waffen ab, und fragten barsch: Woher des Lands, Gevattern? – Oheim, wir sind Tourainer Leut, antwort Panurg, und kommen aus Frankreich, voll Sehnsucht der Frau Quintessenz auch unsern Reverenz zu machen und dieß berühmte Königreich Entelechiä zu besehn.

Wie sprecht ihrs? frugen sie; sprecht ihr Entelechia oder aber Endelechia? – Lieben Schwäger, antwort Panurg, wir sind nur schlichte dumme Leut, entschuldigt unsre Pöbelsprach, die Herzen sind drum treu und bieder. – Zwar bedurft es, sprachen sie, bey euch der Frag nicht nach diesem Streit, denn ganze Schaaren eurer Landsleut aus Tourain sind hie durchgekommen; sie sahn zwar ziemlich tölpisch aus, doch sprachens richtig. Aber Kerls, so frech wie Gott weiß, stolz wie Schotten, aus andern Ländern sind hie gewesen, die haben uns zum Willkomm gleich hartnäckig widersprechen wollen. Doch hats man ihnen eingetränkt trotz ihrer Eisenfresser-Mienen. Habt ihr die Zeit denn in eurer Welt so überley, daß ihr nichts klügers zu treiben wißt als über unsre Frau Königinn so hin und her zu schwadroniren, zu zanken und in den Wind zu schmieren? Es thät euch Noth daß Cicero derhalben sein Gemeinewesen im Stiche ließ und sich darein mischt'! und Diogenes Laertius, und Argyropilus, und Bessario und Theodor Gaza, und Politianus, und Budäus, und Laskaris, und[280] ein ganzer Teufel Gelahrter, deren Zahl noch nicht gelangt hätt, wenn sie nicht neulich durch Scaligern, Franz Fleury, Bigot, Chambrier und ich weiß nicht was alls für junge feuchtöhrige Gecken verstärkt wär worden. Ey daß ihnen der böse Klamm doch gleich zu Kehl und Zäpflein schlug! Wir wolln sie ... aber, den Teuker auch, wie ist mir denn! – (Seht doch, wie sie den Teufeln hofiren! murmelt' Panurg hier in den Bart. –) Seyd ihr doch nicht hierher gekommen ihrer Narrheit das Wort zu reden; dazu habt ihr nicht Commission. Und darum also auch von ihnen kein Wort mehr.

Aristoteles, der Primus aller Weltweisheit und Mustermann, das ist der Taufpath unsrer Frau Königinn gewesen. Entelechia nannt Er sie sehr schön und passend. Entelechia, das ist ihr wahrer Nam, und vor die Hund geh wer es anders sagt. Wer's anders sagt, irrt himmelweit. Seyd schön willkommen! – Damit boten sie uns die Accolad; deß waren wir alle froh.

Jetzt nahm Panurg mich auf die Seit und flüstert mir ins Ohr: Kamerad, ist dir nicht angst und bang geworden bey dieser letzten Poß? – Ein wenig, antwort ich ihm. – Mir mehr, sprach er, als allen Söldnern Ephraims, wie sie von den Gileadithern elend ersäuft und erstochen wurden, weil sie statt Schiboleth, Siboleth sprachen. Und in Beauce, daß ich wenig sag, ist nicht ein Bauer der mir nicht mit einem Fuder Heu das Loch gemächlich hätt verstöpseln mögen.

Hierauf führt uns der Hauptmann schweigend und unter grossen Cerimonien nach dem Palast der Königinn. Pantagruel wollt unterwegs ein wenig mit ihm schwatzen, aber weil er so hoch nicht reichen konnt, wünscht' er sich eine Leiter oder fein hohe Stelzen; doch faßt' er sich bald[281] wieder und sprach: Ey schad darauf, wenn unsre Frau Königinn nur wollt, wir wären all so groß wie ihr. Wird auch geschehn wanns ihr beliebt. –

In den äusseren Gallerien fanden wir eine grosse Schaar preßhafter Leut, die nach den Uebeln daran sie litten, dort besonders einquartirt und beherbergt waren; an einem Ort die Räudigen, an einem andern die Giftvergebenen, wo anders die Verpesteten; im ersten Rang die Venerischen, und so weiter alle Andre.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 279-282.
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