Drey und Sechzigstes Kapitel.

[202] Wie Pantagruel bey dem Eiland Chaneph einschlief; und die Problemen, die man bey seinem Erwachen sich aufgab.


Des andern Tags kamen wir unter allerley kleinen Gesprächen weiter segelnd ans Eiland Chaneph, woselbst das Schiff Pantagruels nicht landen konnte, weil stille See war und uns der Wind ausging. Wir konnten nichts thun als nach den Toppenants rojen und das Ruder bald Stürbord Backbord, bald Backbord Stürbord halten, obschon man die Bonnetten an die Segel angereiht: und sassen all in tiefen Gedanken, ganz verdrossen, muckisch, mogrich und niedergeschlagen: es sprach kein Mensch zum Andern ein Wort. Pantagruel war auf einer Hangmatt hinten bey den Luken, mit einem griechischen Heliodor in der Hand,[202] fest eingeschlafen; denn das war so sein' Art daß er weit besser vom Blatt denn aus dem Kopf schlief. Epistemon lugt' durch sein Astrolabium noch der Pol-Höh. Bruder Jahn war in die Küch spazirt, und sah allda an Ascension der Bratenwender und Horoskop der Tunken nach, welche Zeit am Tag es etwann seyn möcht.

Panurg, mit einem Trichterlein von Pantagruelion am Mund, macht' im Wasser Blasen und Gulkern. Gymnastes spitzt' Zahnstocher aus Mastix. Ponokrates träumt', dämmert', zwickt' sich selber zum Lachen und kraut' sich im Kopf mit Einem Finger. Karpalim schnitzt' aus einer Wallnuß-Schaal ein schön, klein, lustig, harmonisch Windmühlchen mit Flügeln aus vier saubern Spähnlein von einem ellernen Teller. Eusthenes spielt' mit den Fingern auf einer langen Feldschlang, wie auf einem Trunscheid. Rhizotomus macht' aus der Schaal einer Horst-Schildkröt ein samtenes Täschlein. Xenomanes flickt' eine alte Latern mit einem Sperber-Geschüh. Der Steuermann zog seinen Matrosen die Würm aus der Nasen –

Als Bruder Jahn itzt aus der Cojen wieder kam, und Pantagruelen ermuntert fand. Brach also flugs dieß störrige Schweigen mit lauter Stimm und frug ganz fröhlig: Wie heben wir's Wetter bey stiller See? – Panurg secundirt ihm auf der Stell und frug deßgleichen: Wie vertreiben wir uns den Griesgram? – Epistemon terzirt' darauf, frug wohlgemuth: Wie kann man brunzen wenns einem nicht noth thut? – Gymnastes sprang mit gleichen Beinen in die Höh und frug: Was hilft fürs Augen-Flirren? – Ponokrates rieb sich die Stirn ein wenig, schüttelt' die Ohren, frug: Wie erwehrt man sich des Hundsschlafs? –

Nur gemach! sprach Pantagruel; die klugen Peripatetiker lehren daß alle Problemata, alle Fragen, alle erhobene Zweifel klar, verständlich und bestimmt seyn müssen. Was heißt ihr einen Hundsschlaf? – Hundsschlaf, antwortet'[203] ihm Ponokrates, ist ein Hunger-Schlaf in hoher Sonnen, wie ihn die Hund thun.

Rhizotomus, der auf dem Walgang kautzt' erhub itzt das Haupt und gähnt' tief auf, so tief, daß er all seine Kameraden aus natürlicher Sympathi zum Mit-Gähnen zwang; so frug er: Was hilft wider Gähnen und Maulsperr? Xenomanes, in seine Latern schier wie ganz verlaternt, frug: Wie erhält man den Magen-Dudelsack in der Balanz und Gleichgewicht, daß er weder zur einen noch zur andern Seit kippt? – Karpalim, mit seiner Drehmühl spielend, frug: Wieviele Motus in Natura müssen voraufgehn bis der Mensch kann sagen daß er Hunger hat? – Karpalim, der den Lärmen hört', kam auf's Verdeck gelaufen, schrie und frug schon von dem Gangspill her: Warum ist ein nüchterner Mensch, den eine nüchterne Schlang gebissen, in grösserer Todesgefahr als wenn sie allebeyd satt sind, die Schlang und der Mensch? Warum ist nüchterner Menschen Speichel allen Schlangen und giftigen Thieren giftig?

Lieben Freund', antwortet' Pantagruel, allen euern Zweifeln und aufgeworfnen Fragen dienet ein einiger Bescheid; und allen solchen Zufällen und Symptomen eine einige Arzeney. Die Antwort soll euch unverzüglich, und zwar nicht erst durch lange Umschweif und Redensarten gegeben werden. Der hungrige Magen hat keine Ohren; er ist stocktaub. Durch Wink und Zeichen, ja durch die That sollt ihr vergnügt und überall nach euern Wünschen belehret werden; wie ehemals in Rom Tarquinius der Stolze, letzter Römerkönig (hiemit zog Pantagruel an der Schnur des Glöckleins; Bruder Jahn schoß eilends in die Küch) durch Zeichen seinem Sohne Sextus Tarquinius, der in der Stadt der Gabiner war, antwortet'; denn er hätt ihm einen expressen Boten zugeschickt anfragend, wie er die Gabiner gar unterjochen und zu festem Gehorsam bringen möcht. Der König sein Vater aber, der dem Boten nicht traun mocht, gab ihm keine Antwort, sondern führt' in blos in seinen geheimen Garten, hieb allda im Beyseyn und vor Augen des Boten mit seinem Fochtel die höchsten[204] Mohnköpf, die in dem Garten stunden, ab. Wie nun der Bot ohn Antwort wieder zum Sohn kam und ihm meldete was er seinem Vater verüben sehen, konnt er aus solchen Zeichen leicht merken daß er ihm riet den edelsten und angesehensten Leuten der Stadt die Köpf vom Rumpf zu schlagen, weil er alsdann den Rest des niedern Volkes desto besser in Dienstbarkeit und blindem Gehorsam erhalten würde.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 202-205.
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