An meinen Freund Prandstetter

[183] Wien im Brachmond 1785.


Gerne hätt' ich Hymens Flitterwochen,

Wo, o Freund! sich Freud' an Freude drängt,

Und der Himmel voller Geigen hängt,

Hie und da ein Stündchen abgebrochen,

Gerne manchen spröden Reim gehascht,

Und dich für dein stattlich Hochzeitkarmen

Plötzlich durch ein Danklied überrascht.

Aber konnt' ich aus geliebten Armen

Stoisch fliehn, dem Zaubernetz der Lust

Trotzig mich entwinden, und durch Reimen,[184]

Kalt an einer jungen Gattinn Brust,

Hymens süssen Opferdienst versäumen?

Lieber! solch ein Kriminalvergehn

Würde mir, der nun in seinem neuen

Ämtchen wünscht mit Ehren zu bestehn,

Mein geliebtes Weibchen nie verzeihen.


Wenn dein Freund nun noch dich sträflich däucht,

So bedenk', es machte wohl vielleicht

Eines Weibes Kuss auch dich zum Sünder.

Drum vergieb, mein Bester! Spät erscheint

Zwar mein Dank: doch ist er drum nicht minder

Liebevoll, nicht minder gut gemeint.

Herzlich grüss' ich dich in meinem, Freund!

Und in meiner trauten Gattinn Namen.

Freudig las ich ihr dein Liedchen vor:

Sieh! sie horchte mit entzücktem Ohr,

Und als wir zur Katastrophe kamen,

Die den wonniglichen Wunsch enthält,

Dass ein Sohn, erzeugt aus meinem Samen,

Mir erwachse, den die Afterwelt[185]

Einst den Biedermännern zugesellt,

Fiel sie um den Hals mir, und rief: Amen!


Nun wohlan! ihr Wille soll geschehn!

Ungeschwächt von Amors Dienst, durch den

Junge Schwelger vor der Zeit zu schlaffen

Greisen werden, will ich wohlgemuth

Eine kleine Welt um mich erschaffen,

Und, in meinem frohen Lilliput

Eingebannt, mich meines Lebens freuen.

Wie ein Schiff, das in dem Hafen ruht,

Trotz' ich sorglos dann des ungetreuen

Glückes wandelbarer Ebb' und Flut,

Und hat einst auf ihrem schnellen Rädchen

Klotho mir das letzte Lebensfädchen

Abgesponnen, rafft mit kalter Hand

Mich der Tod von meiner Gattinn Seite

Hin nach jenem ew'gen Otaheite,

Das bisher kein kühner Cook noch fand,

Und kein Mann, wie Forster, je beschrieben,[186]

O so drücke meiner guten lieben

Kinder Erstling mir die Augen zu!

Ein bewährter treuer Freund, wie du,

Folge meinem stillen Leichenzuge,

Und es schall' an meinem Aschenkruge

Laut das Zeugniss: dieser Leichenstein

Decket eines braven Manns Gebein!

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 183-187.
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