Scena XXI

[107] Holla, Lysander.


HOLLA. Hört, Freund, wer hat Euch denn hieher berufen, daß Ihr die Abdankungsrede halten sollet?

LORENTZ. Warum?

HOLLA. Es kommt Euch gar nicht zu, daß Ihr Eure närrischen Grillen bei solcher Zeit auslassen wollet. Weg von der Stelle hier, daß der reden kann, dem es aufgetragen ist.

LORENTZ. Ich habe aber nicht anders gedacht, man hat mir das Ding aufgetragen.

HOLLA. Packet Euch nur Eurer Wege.

SCHNÜRTZCHEN. Habe ich dir's nicht gesaget, daß es so ablaufen würde?

LORENTZ. Kann ich doch wohl stille schweigen.

HOLLA. Er beliebe anzufangen.

LYSANDER macht ein Kompliment gegen die Herren Leichbegleiter und redet. Daß der grimmige Tod sowohl an vornehmer und reicher Leute Häuser klopfe als an des geringsten und armseligsten Bettelmanns Türe, hat der vor viel hundert Jahren wohlbekannte Heide Horatius folgendes nicht unrecht gesprochen: Pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas Regumque turres. Und sollte ja jemand, wie ich nicht hoffen will, bei gegenwärtiger hochschätzbaren Trauerversammlung dieses Gedichtes einen Beweistum oder Exempel verlangen, so kann derselbe nur gegenwärtige verdeckte Totenbahre sich zu einem gnugsamen[107] Exempel oder Beweistum dienen lassen, ich meine auf derselben, die weiland wohledele, hoch ehr- und tugendbegabte Frau Schlampampe, gewesene Gastwirtin im Güldenen Maulaffen. War dieselbe nicht vornehmer und ehrlicher Leute Kind? Hatte sie nicht ein stattliches und gutes Auskommen? Führte sie nicht allzeit den Titul einer christlichen und aller Welt bekannten ehrlichen Frauen? Lebte sie nicht mit jedermann in höchster Vertraulichkeit und Freundschaft? War sie nicht eine vortreffliche Zuchtmeisterin ihrer sehr wohlgezogenen Kinder? Wurde dieselbe nicht wegen ihrer allzu großen Verschwiegenheit von jedermann gerühmet und gelobet? Daß auch ein jedweder höchst Verlangen trug, in dero Bekanntschaft zu sein, und mußte gleichwohl (leider) in der schönsten Blüte ihrer Jahren, als wie die elendeste und notleidendste Bettelfrau, dem grimmigen Tode so unverhofft und plötzlich zuteile werden. Als dorten – – – als dorten jener Spanier – Hustet. –, als dorten jener Spanier ... Hält etwas inne.

LORENTZ. Der Herr Präzeptor kömmt bald auf meinen Schlag.

LYSANDER. Als dorten jener Spanier – – – als dorten jener Spanier, Langet das Konzept heraus, blättert darin. als dorten jener Spanier – – –

HOLLA heimlich. Der Herr schließe nur, wenn's nicht gehen will.

LYSANDER. Als dorten jener Spanier – – – als, sage ich, ist mir im Namen der höchst Leidtragenden Ihnen, allerseits hochschätzbare Leichbegleiter, vor so große Bemühung dienstlich gehorsamsten Dank abzustatten befohlen worden. Es wünschen dieselben nichts mehr, als nur Gelegenheit zu haben, jedoch bei fröhlicher Begebenheit ihr dankbares Gemüte hinwiederum sowohl schuldigst als dankbarlich zu erweisen. Gehet mit Holla ab.


Die Sepultur wird bedeckt, und das Volk verläuft sich wieder.


LORENTZ. So mag's doch noch gehen, allein mich deucht, der Herr Präzeptor ließ wohl in der Mitten was außen,[108] denn er blätterte, er blätterte, und wußte nicht, wo er geblieben war.

CLEANDER. Wenn sie Euch nur hätten reden lassen! Ob's gleich im Anfange ein bißchen schwer herginge, wenn's zum Ende wäre gekommen, würde sich's hernach schon geweist haben.

LORENTZ. Ei freilich, ob gleich der Titul und der Anfang nicht wohl fließen wollte, wenn's aber wäre zum Schlusse gekommen, hätte es schon gehen sollen.

FIDELE. Ja, es fehlt manchmal wohl dem Gelehrtsten, daß er mitten in der Rede steckenbleibet.

CAMILLE. Gehen die Herren wieder mit in die Stadt?

EDWARD. Hier werden wir wohl freilich nicht bleiben.

SCHNÜRTZCHEN. Komm, Lorentz, wir wollen auch gehen, damit wir zu Hause die Stühle und Bänke wieder wegschaffen.

LORENTZ. Gleich will ich mitgehen.

EDWARD. Reiset Monsieur Cleander morgen wieder fort?

CLEANDER. Mit dem allerfrühsten.

FIDELE. So kann der Herr Sekretär nun was Neues mit nach Marburg bringen.

CLEANDER. Weil meine Augen offen stehen, werde ich an die ehrliche Frau Schlampampe gedenken.

FIDELE. Es nimmt mich wunder, daß keine Carmina seind gedruckt worden.

CLEANDER. Ja, wo hat es so geschwind sein wollen, in einem Tage, es hätte sich ja unmöglich tun lassen.

EDWARD. Wenn ihre Gedächtnüspredigt wird gehalten werden, dürften sie wohl nachkommen.

CLEANDER. Wenn welche gedruckt werden, so werde ich Monsieur Fidelen bitten, daß er mir solche nach Marburg sendet.

FIDELE. Ganz wohl, mein Herr Sekretär.

CAMILLE. Wollen die Herren mit, so kommen Sie, ich gehe.

CLEANDER. Hier wird doch nun wohl nichts mehr zu sehen sein.[109]

EDWARD. Auf dasmal wohl nicht.

CLEANDER. So lassen Sie uns gehen und der ehrlichen Frauen hier das Geleite geben.

FIDELE. Wie dem Herrn Sekretär beliebet.


Edward, Fidele und Cleander gehen mit Camillen ab.


SCHNÜRTZCHEN. Worauf sollen wir denn warten?

LORENTZ. Gleich will ich mitgehen.

SCHNÜRTZCHEN. Was hast du nun wieder vor Schelmstücke in deinem Kopfe, daß du so drauf dichtest?

LORENTZ. Ich wollte nur dieses sagen, Schnürtzchen, hast du nicht ein bißchen Kreide?

SCHNÜRTZCHEN. Was willst du denn mit der Kreide machen?

LORENTZ. Ich habe was ausgesonnen, das wollte ich dort noch zu Ehren meiner verstorbenen Frau an die Begräbnüstür schreiben. Hast du welche?

SCHNÜRTZCHEN. Ich habe fürwahr keine bei mir.

LORENTZ. Ei, so will ich's auch nun bleiben lassen.


Weil demnach sanfte ruht die ehrliche Schlampampe,

so geht ihr Leute nur fein wiederum zu Haus.

Und wenn der Tod auslöscht uns unsre Lebenslampe,

hernach ist's mit uns auch wie dieses Schauspiel aus.

Ende


Quelle:
Christian Reuter: Werke in einem Band. Weimar 1962, S. 107-110.
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