Die Konfirmanden

[386] (Paris, im Mai 1903)


In weißen Schleiern gehn die Konfirmanden

tief in das neue Grün der Gärten ein.

Sie haben ihre Kindheit überstanden,

und was jetzt kommt, wird anders sein.


O kommt es denn! Beginnt jetzt nicht die Pause,

das Warten auf den nächsten Stundenschlag?

Das Fest ist aus, und es wird laut im Hause,

und trauriger vergeht der Nachmittag...


Das war ein Aufstehn zu dem weißen Kleide

und dann durch Gassen ein geschmücktes Gehn

und eine Kirche, innen kühl wie Seide,

und lange Kerzen waren wie Alleen,

und alle Lichter schienen wie Geschmeide,

von feierlichen Augen angesehn.


Und es war still, als der Gesang begann:

Wie Wolken stieg er in der Wölbung an

und wurde hell im Niederfall; und linder

denn Regen fiel er in die weißen Kinder.

Und wie im Wind bewegte sich ihr Weiß,

und wurde leise bunt in seinen Falten

und schien verborgne Blumen zu enthalten –:

Blumen und Vögel, Sterne und Gestalten

aus einem alten fernen Sagenkreis.
[387]

Und draußen war ein Tag aus Blau und Grün

mit einem Ruf von Rot an hellen Stellen.

Der Teich entfernte sich in kleinen Wellen,

und mit dem Winde kam ein fernes Blühn

und sang von Gärten draußen vor der Stadt.


Es war, als ob die Dinge sich bekränzten,

sie standen licht, unendlich leicht besonnt;

ein Fühlen war in jeder Häuserfront,

und viele Fenster gingen auf und glänzten.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 386-388.
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