19.

[763] Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank

und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener

Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner

wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank.


In den Geschäften entlang ist das Geld wie zuhause

und verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz.[763]

Er, der Schweigende, steht in der Atempause

alles des wach oder schlafend atmenden Gelds.


O wie mag sie sich schließen bei Nacht, diese immer offene Hand.

Morgen holt sie das Schicksal wieder, und täglich

hält es sie hin: hell, elend, unendlich zerstörbar.


Daß doch einer, ein Schauender, endlich ihren langen Bestand

staunend begriffe und rühmte. Nur dem Aufsingenden säglich.

Nur dem Göttlichen hörbar.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 763-764.
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