9.

[756] Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der entbehrlichen Folter

und daß das Eisen nicht länger an Hälsen sperrt.

Keins ist gesteigert, kein Herz –, weil ein gewollter

Krampf der Milde euch zarter verzerrt.


Was es durch Zeiten bekam, das schenkt das Schafott

wieder zurück, wie Kinder ihr Spielzeug vom vorig

alten Geburtstag. Ins reine, ins hohe, ins thorig

offene Herz träte er anders, der Gott


wirklicher Milde. Er käme gewaltig und griffe

strahlender um sich, wie Göttliche sind.

Mehr als ein Wind für die großen gesicherten Schiffe.


Weniger nicht, als die heimliche leise Gewahrung,

die uns im Innern schweigend gewinnt

wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 756.
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