1.

[488] König, hörst du, wie mein Saitenspiel

Fernen wirft, durch die wir uns bewegen:

Sterne treiben uns verwirrt entgegen,

und wir fallen endlich wie ein Regen,

und es blüht, wo dieser Regen fiel.


Mädchen blühen, die du noch erkannt,

die jetzt Frauen sind und mich verführen;

den Geruch der Jungfraun kannst du spüren,

und die Knaben stehen, angespannt

schlank und atmend, an verschwiegnen Türen.


Daß mein Klang dir alles wiederbrächte.

Aber trunken taumelt mein Getön:

Deine Nächte, König, deine Nächte –,

und wie waren, die dein Schaffen schwächte,

o wie waren alle Leiber schön.


Dein Erinnern glaub ich zu begleiten,

weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten

greif ich dir ihr dunkles Lustgestöhn? –

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 488.
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Neue Gedichte - Der Neuen Gedichte anderer Teil.
Insel Taschenbücher, Nr.49, Neue Gedichte