2. Kapitel
In See

[50] Die Besatzung der »Elli« bestand insgesamt aus fünfzehn Mann.

Da war also erstens Kapitän Pommer, von dessen Tracht nur ein knetbarer Rinaldo-Hut sowie zwei elegante, purpurrote Sammetpantoffeln hervorzuheben sind. Der Steuermann Karstens war erst kürzlich von der Papenburger Steuermannsschule gekommen. Er hatte früher wohl einmal ein Gymnasium gestreift und liebte es, mit gebildeten Brocken um sich zu werfen. Er schlief wie der Kapitän im hinteren Schiff, wo sich auch die Kammer für den Bootsmann befand.

Zu dem Personal gehörte erstens der Koch, ein ehemaliger Matrose von etwa zwanzig bis dreiundzwanzig Jahren. Er stammte, wie er mir bei Gelegenheit etwas verschämt erklärte, aus Sachsen. In dem Bestreben, seinen Heimatdialekt möglichst zu verleugnen, hatte er sich ein höchst lächerliches Gemisch von Platt und Hochdeutsch angewöhnt. Seine Küche, ein Raum von etwa 3 qm, bildete die eine Hälfte eines kleinen, hölzernen Häuschens, das in der Mitte des Schiffes auf Deck stand. Die andere Hälfte diente als Schlafkammer und Wohnung für den Koch und mich. Es befanden sich zwei Kojen darin, die übereinander lagen. Die obere, vorteilhaftere, hatte sich der Koch eingeräumt. Mir wurde die untere zugewiesen.

Vorn im Matrosenraum, oder wie die Seeleute sagen, im Logis, wohnte vorläufig auch der Bootsmann, der seinem Range nach die vermittelnde Stufe zwischen Kapitän oder Steuermann und der Mannschaft repräsentierte. Er war dabei nach oben ebenso schüchtern und devot wie nach unten anmaßend und roh. Im gleichen Range mit ihm stand der Segelmacher, der auch bei den[50] Matrosen »vorn« logierte. Das war ein alter Norweger, der bereits 50 Jahre zur See gefahren war und alle Länder der Welt verschiedene Male gesehen hatte. Gleich den übrigen Matrosen war er kein großer Freund der Arbeit, aber was er tat, das verrichtete er mit großer Sorgfalt und mit der kaltblütigen Ruhe und Geschicklichkeit, die alten, erfahrenen Seeleuten eigen ist. Das harte, unfreundliche Leben, das hinter ihm lag, hatte ihn so griesgrämig gemacht, daß er uns allen höchst unangenehm war. Wenn er lachte, war man nie sicher, ob es Grimm oder Humor war, und mit dem gleichen Lächeln, mit dem er irgendeinen beißenden Witz losließ, warf er jemandem einen Gegenstand, den er gerade in der Hand hielt, an den Kopf. Außerdem soff er mörderlich. Er sprach fertig Norwegisch, Englisch, Deutsch und in betrunkenem Zustand ein aus diesen drei Sprachen zusammengesetztes Ragout.

Unter den Matrosen besaß die meiste Achtung Jahn, weil er sehr stark war, seine Arbeit gut verstand und der Roheste war. Ich glaube, er stammte aus einer Fischerfamilie, so daß ihm das schwere Seeleben etwas ganz Natürliches war. Sein trockener Witz und treffender Spott machten ihn unter den Kollegen gleichzeitig beliebt und gefürchtet. Gustav hieß ein großer, starker Ostpreuße aus der Tilsiter Gegend. Er hatte ein Paar riesenhafte Hände, arbeitete für drei und leistete Erstaunliches im Schlafen. Während unserer Überfahrt auf der »Thérèse et Marie« hatte er fast ununterbrochen geschlafen. Bei seiner ungeheuren Kraft war er doch glücklicherweise sehr gutmütig, und selbst, wenn er sich den Anschein gab, über etwas wütend zu sein, leuchtete ein gutmütiges Lächeln aus seinen runden Schweinsäuglein.

Dann schliefen vorn noch Willy, ein mit dem Kapitän verwandter Ostfriese, Matrose Paul und Hermann Klein, der zarte Leichtmatrose mit dem Mädchengesicht.

In Le Havre kam noch ein kleiner, dicker Franzose von etwa 15 Jahren an Bord, der gleich mir zur See wollte und als Schiffsjunge auf der »Elli« angemustert wurde. Er war aus guter Familie. Seine Mutter brachte ihn selbst an Bord. Ich hatte mich mit dem jungen Mann sehr schnell angefreundet. Er teilte mit mir einen großen Napfkuchen, den er von seiner Mutter mitbekam. Er mochte ihr wohl von unserer Freundschaft erzählt haben, denn die Dame drückte mir, als sie ihn einmal besuchte, freundlich die Hand und sagte, sie wünsche, daß ich ihrem Sohn ein guter Freund bleiben möchte, was ich verstand und worauf ich meinen französischen[51] Kenntnissen durch ein sehr lautes »Oui, monsieur« Luft machte.

Der Kapitän bestimmte mich zunächst zum Kajütsteward. Als solchem fiel mir die Aufgabe zu, die Kajüte und die anstoßenden Kammern in Ordnung zu halten, das Essen aus der Kombüse zu holen und alle möglichen Dienste zu verrichten, die für das Achterschiff in Betracht kamen.

Napoleon, wie der Franzose von unseren Matrosen getauft war, wurde Decksjunge, das heißt, sein Wirkungskreis war das vordere und mittlere Deck und das Logis. Im letzteren hatte er die Backschaft für die Matrosen zu besorgen, Essen zu holen, Geschirr aufzuwaschen, auszufegen und so weiter.

An dem Tag, an welchem ich an Bord der »Elli« kam, erhielt ich abends die Erlaubnis, an Land zu gehen. Es hatte den ganzen Tag Bindfaden geregnet. Der Kai, an dem wir lagen, bot ein trübseliges Bild. Die gewaltigen, eisernen Kräne, nicht minder die schweren, schwarzen Waggons standen öde und verlassen da. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, bis auf einen Zollbeamten, der die Kapuze seines Regenmantels tief ins Gesicht gezogen hatte. Er stand in einer Art Schilderhäuschen wie eine Statue. Ich hatte meinen blauen Seemannsanzug an und den Kernerschen Lederriemen mit dem Scheidemesser um.

So tappte ich schweren Ganges in die Stadt. Zunächst beschloß ich, meinen knurrenden Magen auf eine gute Manier zur Ruhe zu bringen.

Damals wußte ich noch nicht, welchen Ruf die Seeleute in den Hafenstädten genießen, sonst hätte ich wohl nicht in meinem derben Seemannskostüm ein so nobles Restaurant betreten. So aber tat ich das mit der unbefangensten Miene, und erst die zweifelhaften Blicke, mit denen mich Gäste und Kellner empfingen, und der Umstand, daß man mich im voraus das von mir bestellte Souper zu 6 Franken und eine Flasche teuren Weines bezahlen ließ, machte mir die Situation klarer. Als man aber sah, daß ich Geld besaß, bediente man mich sehr freundlich, und die Geschäftsführerin des Lokals knüpfte ein liebenswürdiges Gespräch mit mir an. Leider verstand ich auch nicht ein einziges Wort, aber ich lächelte, wenn sie lächelte, und ich nickte sehr ernst, wenn sie ernst wurde.

Mein Souper bestand aus zwölf Gängen, von denen nur einer meine Billigung fand, weil ich wußte, was er darstellte, Spinat mit[52] Schinken. Aber der Wein war köstlich und brachte mich in vergnügte Stimmung. Ich setzte nun meine Studienreise durch Le Havre fort; da mich aber meine volle Börse zu dem Prinzip verleitete, möglichst wenig im Freien zu studieren, trat ich bald in das »Café Anglais« ein.

Hier schien der Treffpunkt einer höchst bedenklichen Demimonde zu sein, aber es waren sehr hübsche Damen, die ich hier kennenlernte. Schwarzhaarig, lebhaft, mit französischem Schick gekleidet und frisiert. Ich kam sehr bald mit der Gesellschaft ins Gespräch, denn ich war schon in dem Stadium des Benebeltseins angelangt, da man jede Schüchternheit verliert. Die Mädchen lachten über mein furchtbares Scheidemesser, das an meinem Leibriemen hing und auf das ich nicht wenig stolz war. Wir sprachen von Burenpolitik, und dann sangen wir gemeinsam, lachten und waren sehr vergnügt. Eine der Französinnen tauschte ihr Taschentuch mit dem meinen zum Andenken. Ich suchte der vielgerühmten deutschen Trinklust alle Ehre zu machen.

Die Nacht verlief wüst. »Voulez-vous tirer un coup?« hörte ich in den Gassen schreien, nach denen ich mich verschämt hingefragt hatte. Ein Ehemann bot mir mit ergreifender Großmut seine Frau Gemahlin für wenige Franken an, und ich fand in sehr üblen Häusern sehr saubere Zimmer mit sehr hoch geschichteten sauberen Betten.

Als ich um viereinhalb Uhr von irgendeiner polizeilichen Macht geleitet wieder an Bord kam, blutete meine Nase, war alles um mich herum betrunken, und ich wußte ungefähr, daß mir das Geld, welches ich nicht verjubelt hatte, von verschiedenen Seiten gestohlen war.

Um fünf Uhr mußte ich schon wieder meinen Dienst antreten. –

Die Koje, die mir zugewiesen, war so klein, daß ich nur mit eingezogenen Beinen schlafen konnte. Jede Nacht fast bekam ich Beinkrämpfe.

Ich mußte morgens den Kapitän wecken, seine Kammer aufräumen und den Kajütentisch decken, an dem auch der Bootsmann und der Steuermann aßen. Unglaublich schien es mir anfangs, daß die Mannschaft Margarine statt Butter erhielt. Ich half mir heimlich mit Kapitänsbutter über diese Klippe und konnte mich überhaupt nicht über das Essen beklagen.

Meine Aufgabe war es auch, den Tisch abzuräumen, Geschirr[53] aufzuwaschen, Gläser zu putzen, Staub zu wischen; kurz gesagt, ich war für die Kajütsbewohner das Mädchen für alles.

Ich gab mir Mühe, fleißig zu sein, machte aber doch vieles verkehrt und bekam das dann auch ziemlich deutlich zu hören. Es fiel mir sehr schwer, mich an die Demütigungen zu gewöhnen, die ein Schiffsjunge erdulden muß. Obgleich ich mir sagen durfte, daß ich in meiner Allgemeinbildung hoch über den andern stand, mußte ich doch als Achtzehnjähriger mich von allen anderen duzen und schimpfen lassen, während ich den Kapitän sowie den Boots- und Steuermann mit »Sie« anreden mußte. Der Steuermann gefiel mir. Er priemte, spuckte und lachte viel und riet mir davon ab, Seemann zu werden.

Eines Tages rief ich große Bestürzung dadurch hervor, daß ich in der ehrlichsten Absicht den großen Kompaß, welcher unterm Kajütskylight in der sogenannten kardanischen Aufhängung angebracht war, aus den Angeln hob und in die Kajüte trug, um ihn dort mit Putzstein und Öl zu bearbeiten. Der Kapitän traf mich dabei, geriet in furchtbare Wut und schimpfte, ob ich verrückt sei, weil ich ein so empfindliches Instrument wie eine Seekiste herumschleppe. Ich erhielt vom Bootsmann noch Ohrfeigen für die unerhörte Tat, und die ganze Besatzung hatte für ein paar Tage zu lachen.

Wir lagen nun schon über eine Woche in Le Havre und waren inzwischen auf dem deutschen Konsulat feierlichst angemustert, das heißt, wir hatten einen Schiffskontrakt unterschrieben, der uns für die Reise nach Zentralamerika und zurück nach Europa an Bord verpflichtete.

Ich hatte mich herzlich mit dem kleinen Franzosen angefreundet. Er beklagte sich oft darüber, wie schlecht er es im Logis vorn habe und beneidete mich um meinen Kajütsposten.

Eine Katze, die sich an Bord befand, mußte ich über Bord werfen, da sie verrückt geworden war. Der Kapitän hatte mir nahegelegt, ich möchte, um einen Ersatz zu schaffen, einmal versuchen, an Land einen Hund einzufangen. Eines Morgens sah ich denn auch am Kai unter einem Eisenbahnwagen solch ein Tier, das herrenlos herumlungerte und sehr verhungert aussah, eine Art Pinscher. Dieses Tier fing ich und schleppte es mit der einen Hand an Bord, während ich mit der anderen meine Hosen festhalten mußte. Später bereute ich allerdings diesen Fang sehr; denn einesteils mußte ich sehen, wie das arme Tier von der rohen[54] Besatzung, besonders vom Bootsmann ganz schrecklich gequält wurde, andernteils hatte ich selbst an ihm viel Ärger, weil ich ihm immer mit Schaufel und Besen folgen mußte.

»Zigarre an Deck!« war bald ein oft gebrauchtes Kommando des Kapitäns, und dann ging ich Würstchen suchen.

Am 18. April endlich, frühmorgens, verließ die »Elli« Le Havre und stach in See. Sie führte als Ballast Steine mit sich, die in Amerika zu Straßenbauzwecken verkauft werden sollten.

Ich mußte zum erstenmal in den Wanten hoch ins Segelwerk klettern, um ein Segel loszubinden, und tat das mit stolzer Lust, obgleich es sehr anstrengend war.

Das Leben gestaltete sich nun für uns ganz anders.

Zunächst wurde die Mannschaft in zwei Seewachen eingeteilt, welche einander Tag und Nacht alle vier Stunden ablösten.

Als Kajütsjunge wurde ich bei dieser Einteilung nicht berücksichtigt, sondern blieb von acht Uhr abends bis vier Uhr morgens dienstfrei. Statt frischen Brotes gab es von nun an Hartbrot, ein keksartiges Gebäck, das mir anfangs, weil neu, ganz gut schmeckte, obgleich es wahrscheinlich der Hauptsache nach aus Knochenmehl bestand. In Le Havre hatten uns die Straßenjungen oft darum angebettelt, und wir hatten ihnen gern, wenn sie an das Schiff herankamen und unaufhörlich »Bisquit!« – »Bisquit!« riefen, die harten Stücke hinuntergeworfen, um uns dann darüber zu amüsieren, wie sie sich darum balgten. Kapitän und Steuermann durften das aber nicht sehen.

So eine Art Straßenjunge, wenn auch besser erzogen, war unser Napoleon. Ein äußerst verschmitzter, rotbackiger Bengel, der, wenn er irgend etwas verbrochen hatte, eine unbeschreiblich heuchlerische Unschuldsmiene aufsetzen konnte, sonst aber immer lachte. Er war im Grunde temperamentvoll, geschickt und sehr gutmütig und blieb deshalb mein Freund.

Einmal wurde er mit mir ins Zwischendeck geschickt, um Zwiebeln zu sortieren. Das war uns angenehm, denn wir konnten uns dort unbehelligt unterhalten. So saßen wir denn zwischen Bergen von Zwiebeln, und während wir die verfaulten von den guten aussortierten, schütteten wir uns gegenseitig unser Herz aus. Wir klagten, wie hart und schlecht das Leben auf der »Elli« sei, und kamen dann auf die Heimat und unsere Lieben zu sprechen. Auf einmal fing Paul zu weinen an. Auch mir kamen sofort die Tränen in die Augen, und so saßen wir Hand in Hand eine Weile[55] schweigend in den Zwiebeln, bis uns wieder das Komische der Situation zum Bewußtsein kam und wir herzlich lachten.

Ja, es war häßlich, das Leben, das ich führte. Von frühmorgens bis spätabends schwere oder unwürdige Arbeit verrichten zu müssen, vom Steuermann oder Bootsmann geschlagen, von den Matrosen wegen meiner seemännischen Unkenntnis und meines sächsischen Dialektes unausgesetzt verspottet zu werden, das war alles andere, nur nicht ermutigend. Dazu machte ich noch die Erfahrung, daß meine Augen doch nicht so scharf waren, wie sie ein Seemann braucht, und häufig wurde ich von den Matrosen ausgelacht, wenn ich ein Schiff oder bei Nacht ein Feuer am Horizont noch nicht finden konnte, das die anderen längst entdeckt hatten.

Und wie vieles mußte ich lernen, ohne daß man mir die Erklärung oder Anweisung dazu gab! Der Seemann hat eine vollkommen eigene Sprache. Die zahllosen, fremden Ausdrücke für alles an Bord Befindliche gingen mir wie Kraut und Rüben durcheinander. Meine Sachen mußte ich natürlich selbst waschen und flicken, und dazu fehlte es an Material, Platz und Zeit. Manchmal bereute ich, den Seemannsberuf eingeschlagen zu haben, von dem mir ja auch alle abgeraten hatten. Dann dachte ich wieder an die Kosten, die ein Berufswechsel meinem Vater bringen würde, und wie man mich auslachen würde, wenn ich nach der ersten Reise schon die Lust verloren hätte.

Wie schön hatten es doch die an Land! Kaufleute, Maler, Schriftsteller!

Über solchen Gedanken saß ich oft stundenlang des Nachts in meiner Koje wach und wurde so verbittert mit der Zeit, daß ich einige Male ernsthaft erwog, ob es nicht besser sei, meinem, wie mir schien, verfehlten Leben ein schnelles Ende zu bereiten. – – –

Kapitän Pommer fuhr die »Elli« zum erstenmal. Das Schiff hatte vorher unter französischer Flagge gesegelt. Ich fand eines Tages diese Flagge in einem entlegenen Winkel und barg sie unter meinem Keilkissen.

Der Wind nahm an Stärke zu, je weiter wir uns von Europa entfernten. Am 20. April ging die See bereits sehr hoch. Napoleon und der Hund, dessen Name nicht zu ermitteln war und der es auch nie zu einem brachte, waren beide seekrank. Das arme Tier litt auch sehr an Hunger; denn außer mir kümmerte sich niemand um sein Futter, und ich selbst konnte oft wirklich nichts für ihn auftreiben.[56] Dieser Hund führte überhaupt ein elendes, seltsames Dasein. Da er von allen mißhandelt wurde, war er ganz scheu geworden. Selbst vor mir, der ich es wirklich gut mit ihm meinte, hatte er andauernd Angst und lief davon, wenn ich ihn streicheln oder ihm ein Stück Salzfleisch geben wollte. Allerdings gab er auch mir oft Ursache, ihn durchzuprügeln. Er hatte verschiedene, sehr ungehörige Angewohnheiten von Frankreich mitgebracht. In der ersten Zeit pflegte er gegen zehn Uhr morgens höchst eigenmächtig mit der Schnauze die Kajütspindtür zu öffnen und sich aus der Zuckerdose ein Frühstück zu holen. Wurde er dabei überrascht und vertrieben, verkroch er sich unter Kapitän Pommers Bett und nagte dort an dessen rotsamtenen Pantoffeln. Fühlte er ein Bedürfnis, setzte er sich in einen großen Lorbeerzweig, der auf dem Fenstersims in der Kajüte lag und dessen Blätter zur Suppenwürze bestimmt waren. Ich hatte viel Mühe, ihm all dies abzugewöhnen.

Die hohen Wellen warfen die »Elli« wie einen Ball umher. Es war ein Kunststück, die Suppe aus der Küche über Deck und die steile Wendeltreppe nach der Kajüte hinunterzubalancieren. Da fand denn der Bootsmann, der niemals freundlich zu mir war, guten Grund, mich anzufahren, und manchen Puff mußte ich hinnehmen. Auch der Koch behandelte mich schlecht, während er sich andererseits vor dem Kapitän oder Steuermann den Anschein größten Eifers gab und beim Segelbrassen, wenn er sich beobachtet wußte, so wütend an den Tauen riß, daß ihm die Hände bluteten.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 6: Mein Leben bis zum Kriege, Zürich 1994, S. 50-57.
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