8. Kapitel
Wieder eingefangen

[99] Ich suchte mir mein neues Heim recht behaglich einzurichten. Meine wenigen Habseligkeiten hatte ich ausgepackt und die nassen Kleider zum Trocknen auf eine Leine gehängt. Dann unterhielt ich mich mit den beiden Jungen meines Wirtes und einigen anderen schwarzen und gelben Bengels, die sich bei mir eingestellt hatten. Sie staunten, als sie hörten, daß eine Ananas, die hier auf dem Markt für fünf Cents verkauft wurde, in Deutschland ein bis zwei Dollar kostete.

Ich forderte die Kinder auf, mir Schlangen, Muscheln und so weiter zu bringen, und ließ mir für mein letztes Geld Brot und Käse, Tinte, Feder, Notizbuch und einen breitkrempigen Strohhut für zwanzig Cents holen, so wie man ihn allgemein dort trug.

Die Jungen waren freundlich zu mir und brachten mir Ananas in solcher Fülle, daß ich mir gar nicht mehr die Mühe nahm, sie abzuschälen, sondern einfach einen viereckigen Würfel herausschnitt und das übrige wegwarf.

In meinem Salon stand ein alter Schreibtisch. An diesem saß ich nun so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben und trug in mein Notizbuch die Begebenheiten der letzten Tage ein.

Ich war mir klar darüber, daß ich, wenn mich die Polizei[99] erwischte, auf die »Elli« zurückgebracht würde und mich dann ohne Gehalt nach Deutschland zurückarbeiten müßte. Außerdem hatte ich auch Strafe und auf jeden Fall eine noch schlechtere Behandlung als zuvor zu erwarten.

Aber ich war sehr mutig geworden und getraute mich sogar, nur mit Hemd und Hose, wie ein Eingeborener gekleidet, auf die Straße. Der Kreole und ein altes Monstrum, das ich zuerst für einen Mann hielt, das aber eine alte Frau und anscheinend die Mutter meines Wirtes war, erwiesen sich als überaus gut zu mir.

Ich bekam morgens einen herrlichen Kaffee mit Milch und Honig gemischt und zu Mittag einen Teller mit Reis, Gemüse und Fleisch. Dann wurde ich von der Mutter des alten Klark – so hieß mein Wohltäter – gerufen, um ein wenig mit ihr zu plaudern. Die alte, ziemlich beleibte Dame saß auf einem Schaukelstuhl in einem reinlichen Zimmer, dessen Jalousien heruntergelassen waren. Mit einer feinen, weichen Stimme, die im Kontrast zu der Erscheinung stand, forderte sie mich auf, neben ihr Platz zu nehmen. Ich bemerkte dabei, daß sie blind war.

Sie befragte mich nach Woher und Wohin, und ich erzählte ihr von meiner Heimat, von meinen Eltern, meinem Schiff, meiner Flucht, und dann sagte ich ihr, wie es mir in ihrem Hause so gut gefiele.

Dabei hatte ich Gelegenheit, das Zimmer und seine Einrichtung zu mustern. Das Haus war auf Pfählen erbaut. Eine hölzerne Treppe führte über eine Veranda in zwei hohe Räume, mit denen sich die ganze Familie begnügen mußte. Wir saßen im vordersten Zimmer, dessen Fußboden weiß gescheuert war. Die gestrichenen Wände und die grünen Jalousien vor den Fenstern machten den Eindruck wohltuender Sauberkeit. Sonst befanden sich nur zwei mit Moskitonetzen verhängte Betten, ein Diwan, ein Tisch und an den Wänden mehrere Druckbilder in dem Zimmer.

Auf dem Hof stand eine große Wassertonne, wohin das Regenwasser vom Dach geleitet wurde.

Den zoologischen Bestand dieser idyllischen Farm bildeten ein Pferd, eine Kuh und mehrere Hühner.

Im übrigen standen im Garten und vor dem Haus noch Kokospalmen und andere, mir aber unbekannte Bäume.

Ich beobachtete zwei schöne Kreolinnen, die etwa im Alter von 15–20 Jahren sein mochten. Sie trugen weiße, weiche Kleider, die ihnen reizend standen. Fleiß schien allerdings nicht ihre Haupttugend[100] zu sein, denn ich sah sie nie anders als sich kämmend oder lesend. Klarks freundliches Anerbieten, mit bei ihm oben zu wohnen, schlug ich aus. Meine romantische Holzbude gefiel mir ausgezeichnet.

Der ältere der beiden Jungen hatte mich vor Dieben und anderem Gesindel gewarnt, das sich nächtlicherweise umhertreiben sollte. Er sagte mir, wenn ich nachts jemand kommen hörte, sollte ich dreimal fragen: »What do you want?« Wenn dann keine Antwort erfolge, könne ich ohne weiteres jeden, den ich erwische, totschießen oder totstechen. Er stellte mir auch für alle Fälle eine Blendlaterne zur Verfügung.

In der ersten Nacht, nachdem ich diese Instruktion erhalten hatte, erwachte ich von einem Geräusch an meiner Tür. Ich richtete mich in meiner Hängematte auf. Meine Lampe hatte ich brennen lassen. Ganz deutlich hörte ich etwas an meiner Tür poltern. »What do you want?« rief ich, der erhaltenen Anweisung eingedenk, während ich mein langes Messer aus dem Kokosballen zog. – Keine Antwort, aber das Geräusch dauerte fort. »What do you want?« fragte ich zum zweiten und dann zum dritten Male, aber niemand antwortete, und das unheimliche Rumoren wurde nicht unterbrochen. Es klang, als ob jemand mit einem Instrument sich an meiner Tür zu schaffen machte. Mein Messer bereit haltend, wartete ich nun ab, was weiter geschehen würde. Ein Mahagonistock, den mir ein Negerjunge geschenkt hatte und den ich gegen die Tür gelehnt hatte, fiel plötzlich polternd zu Boden, und dann zeigte sich die Ursache der nächtlichen Störung.

In der Tür befand sich unten über der Schwelle ein etwa eigroßes Loch. Durch diese Öffnung arbeitete sich auf fast unerklärliche, aber höchst geräuschvolle Weise ein riesiger Taschenkrebs durch, der mit ausgestreckten Beinen von tellergroßem Umfang war. Das Tier krabbelte langsam an den Wänden entlang einmal im Kreis durch mein Zimmer und verschwand dann wieder durch dasselbe Loch. Ich aber streckte mich beruhigt wieder in meinem Schaukelbette aus.

Ich hatte dem alten Klark mitgeteilt, daß ich gern irgendeine Stellung annehmen würde, einesteils, weil ich nicht ganz müßig bleiben, und andernteils, weil ich meinem gütigen Wirt doch eine Entschädigung zahlen wollte. Die Frau hatte mir gesagt, Herr Klark würde sich nach einer Beschäftigung für mich umsehen, und wenn ich dann wolle, könne ich ihnen einen Penny von meinem[101] Verdienst abgeben. Im übrigen, hatte sie hinzugefügt, solle ich sie wie eine Mutter betrachten.

Eines Morgens nach dem Tee forderte mich der Kreole auf, mit ihm zu gehen. Sehr erfreut machte ich mich auf den Weg, erschrak aber sehr, als mein Führer seine Schritte nach dem Laden von Winzerling lenkte. Er dachte in seiner Gutmütigkeit natürlich, daß mich mein Landsmann am ehesten annehmen würde. Ich schämte mich, ihm zu sagen, wie widerlich mir dieser deutsche Jude erschien. Klark stellte mich also Herrn Winzerling vor und fragte, ob er mich nicht anstellen könne. Der Jude zuckte mit scheinheiligem Bedauern die Achseln und sagte: »Ich kann Ihnen keine Arbeit geben. Meine Leute wissen selbst nicht, was sie tun sollen. Es ist schwer, jetzt in Belize Arbeit zu finden.«

Wir versuchten nun in verschiedenen anderen, englischen Läden unser Heil, aber überall wies man mich ab, hauptsächlich deswegen, weil ich die englische Sprache und die englischen Gewichtsmaße nicht beherrschte. Zuletzt traten wir in ein großes Warenhaus ein, an dem der Name »James Brody« stand.

Im Kontor standen eine Menge Schreiber an hohen Pulten. Während Mr. Klark mit dem ihm befreundeten Brody unterhandelte, hatte ich Muße, das Treiben in dem Geschäft zu betrachten.

Ein alter Neger forderte mit weinerlicher Stimme Geld für irgend etwas. Da er sich nicht abweisen ließ, drückte ihm einer der Herren, anscheinend ein höherer Angestellter, eine Papierrolle in die Hand. Der Neger öffnete das Papier und fand unter dem Gelächter der umsitzenden Kommis zwei Zwirnrollen darin.

Das machte eigentlich keinen günstigen Eindruck auf mich, ich war aber doch froh, als man mir mitteilte, daß ich hierbleiben könne. Man wies mich gleich an, mit Mr. Steen einen zweiräderigen Wagen zu besteigen, der von einem Maulesel gezogen und von John, einem jungen Negerburschen, gelenkt wurde. Wir fuhren durch die Stadt nach einem Schuppen, wo wir mit gelben Arbeitern zusammen schwere Kisten aufluden, die wir nach einem anderen Schuppen fuhren.

Bei der schweren Arbeit in dem ungewohnten Klima rann mir der Schweiß wie Wasser von der Stirn, aber ich gab mir alle Mühe, meine Erschöpfung nicht merken zu lassen. Die gelben Arbeiter amüsierten sich dabei über mein gebrochenes Englisch.

Als wir inzwischen einmal nach dem Warenhaus zurückkehrten, erblickte ich dort jenen Engländer, der Kapitän Pommer einmal[102] auf der »Elli« besucht hatte. Er kannte mich aber anscheinend nicht mehr.

Gegen Mittag, als die Glut ihren Höhepunkt erreichte, überfiel mich während der Arbeit eine Ohnmacht, doch kam ich bald wieder zu mir. Neben dem Schuppen befand sich eine ganz moderne Eismaschine. Von dort brachte man mir etwas künstlichen Schnee und Eiswasser. Das war eine Erfrischung in der Tropenhitze.

Nicht minder gut schmeckte mir das Frühstück, das ich mit John gemeinsam einnahm. Es bestand aus einem Teller turtle mit Reis. Nachdem wir dann noch in einem Laden bei einem Glas Bier politisiert hatten – John war als ehemaliger englischer Soldat für, ich gegen England –, gingen wir wieder an unsere Arbeit.

Es galt Kisten in verschiedene Häuser zu fahren. Im Galopp rasselte unser ungefederter Karren durch die Straßen.

Um ein Uhr erhielt ich von Mr. Brody 25 Cents.

Am Nachmittag sah ich, wie zwei Polizisten einen Negerjungen abführten. John erklärte mir, daß der kleine Schwarze ein Mörder sei, nach dem man schon lange gefahndet habe. Er solle am nächsten Tage gehenkt werden. John fügte hinzu, daß dergleichen Fälle in Belize nichts Außergewöhnliches seien. – Es gab nun nicht mehr viel zu tun. Um nicht ganz unbeschäftigt dazustehen, half ich John beim Ausfegen des Pferdestalles, hob einige umherliegende Papiere auf und war eigentlich mit meinem Tagewerk fertig, als ich noch den Auftrag bekam, mit John ein Faß Abfälle an den Strand zu fahren.

Als wir aus dem Hof von Brody bogen, gewahrte ich dicht vor mir meine ehemaligen Schiffskollegen Gustav und Willy. Wahrscheinlich hatten sie wie gewöhnlich den Kapitän an Land gebracht und waren nun auf dem Ausguck nach einer Kneipe. Ich duckte mich erschreckt hinter die große Tonne und kam auch ungesehen an den beiden vorüber.

Im Strandwasser wimmelte es von Kattfischen, welche die Abfälle, die wir aus dem Faß schütteten, gierig verschlangen.

Bevor ich nach Hause ging, trank ich mit John eine Limonade und einen Rum. Ein Arbeiter versprach, mir am nächsten Montag einige Schlangen und Skorpione mitzubringen. In Brodys Hof hatte ich auch einen Gürteltierpanzer und ein Haifischgebiß erbeutet. Alles für meinen Bruder.

Da ich zu Geschäftsschluß außerdem noch zwei Schillinge[103] erhielt, glaubte ich mir etwas Besonderes leisten zu können. Ich erstand Seife, Ananas, sehr gute Zigarren (drei Stück für 5 Cents) sowie ein weißes Hemd für 40 Cents.

In meiner Villa angekommen, wurde ich zum alten Klark gerufen. Ich sollte mich mit ihm und der Frau ein wenig unterhalten. Wir sprachen über den Burenkrieg. Auch Klark war englischer Soldat gewesen und nahm daher selbstverständlich für seine Fahne Partei, während ich mit Feuer für die Buren sprach.

Ein alter, weißhaariger Engländer gesellte sich dazu und mischte sich in das Gespräch ein. Er schien von guter Bildung zu sein. Er berichtete dem unbelesenen Klark von Krügers Reise nach Europa und sprach sehr klar und verständnisvoll über Lord Roberts und Kitchener.

Der alte Graukopf schüttelte mir während des Gesprächs mehrmals die Hand und sagte, er freue sich, daß ich so warm für meine Stammverwandten eintrete. Ich ging mit Klarks Jungen zum Baden an den Strand und später in den Busch.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Da ich nicht ins Geschäft mußte, trieb ich mich den ganzen Tag am Strand herum. Dort standen einige Bäume, die kokosnußähnliche Früchte trugen. Ich kletterte auf solch eine Palme, um mir von den vermeintlichen Nüssen zu holen, und merkte dann erst den Irrtum. Die Nüsse hatten eine weiche Schale und weißes Fleisch von bitterem Geschmack. Ihren Namen erfuhr ich nicht. Große schwarze Geier hockten am Wasser und blieben ruhig sitzen, als wir näher kamen. Sie waren in Belize als Abfallsvertilger gern gesehen und beschützt.

Auch eine Art Schwimmbassin befand sich dort. Man hatte ziemlich weit draußen im Meer durch Pfähle ein kreisförmiges Stück abgesteckt. Ein Brettersteg führte vom Land aus nach dieser Badestelle. Badehosen waren unbekannt.

Man hatte mich davor gewarnt, beim Baden den Pfählen zu nahe zu kommen, da dieselben ziemlich weit auseinander standen und es schon vorgekommen war, daß Haifische durch die Zwischenräume Badende gepackt hatten.

Ach, herrlich war es in dem Wasser! Dann und wann streckte ich mich wieder ein wenig in den Sand und ließ mich von der Sonne anbrüten, um mich dann wieder in den frischen, ziemlich bewegten Wellen zu tummeln.

So schwelgte ich den ganzen Tag über in süßem Nichtstun. Durch das lange Baden waren meine Kräfte zuletzt so erschöpft,[104] daß ich mich kaum bis zu meiner Wohnung schleppen konnte und dort dann wie ein Toter schlief.

Am Montagmorgen, als ich bei James Brody mit dem Ausladen von Kuhhäuten beschäftigt war, fragte mich Mr. Steen, ob ich Lust hätte, auf ein mexikanisches Kriegsschiff zu gehen. Als ich bejahte, wurde ich dem Kommandanten des Schiffes vorgestellt, der mit Brody befreundet schien. Er war eine höchst interessante, graziöse und aristokratische Erscheinung. Da er nur Spanisch verstand, vermittelte Mr. Brody das Gespräch zwischen uns beiden. Ich wurde zunächst gefragt, was ich zuletzt für Heuer erhalten hätte. Fünfzehn Mark, log ich und bedauerte gleich darauf, daß ich nicht noch mehr gesagt hatte.

Ob ich mit acht Dollar den Monat zufrieden wäre.

Ich sagte zu. Dann sollte ich meine Sachen holen und um neun Uhr wieder zurück sein.

Ich lief in sehr glücklicher Stimmung nach Hause. Das mexikanische Schiff hatte ich schon von der »Elli« aus oft beobachtet. Es lag mit zwei Schwesterschiffen in unserer Nähe. Seiner Bestimmung nach war es ein Transportschiff und fuhr regelmäßig zwischen New Orleans und Belize. Die Aussicht auf das interessante Leben unter den temperamentvollen Mexikanern und die hohe Heuer freuten mich so sehr, daß ich die ganze Welt hätte umarmen können. Da ich aber zunächst nur eine junge, hübsche Negerfrau unterwegs traf, umarmte ich die. Die schwarze Schöne ging auf meinen Scherz ein und fragte mich, ob ich sie nicht mitnehmen wolle. Ich versprach ihr, daß ich sie heiraten werde, wenn ich von New Orleans zurückkäme.

Die guten Klarks nahmen an meiner Freude aufrichtigen Anteil. Der Abschied von ihnen fiel mir schwer. Ich packte meine Siebensachen wieder in den Bananensack, dankte den braven Kreolen herzlich für alle erwiesenen Freundlichkeiten, schüttelte jedem die Hand und zog grüßend ab.

Auf halbem Weg zu James Brody – das Geschäft lag ziemlich weit ab – bemerkte ich plötzlich, daß ich mein Tagebuch im Schreibtisch hatte liegen lassen. Ich kehrte um und holte das Buch, das die beiden Kreolenjungen inzwischen gefunden hatten und neugierig durchblätterten.

Der mexikanische Kapitän wartete bereits auf mich. In seiner Begleitung befanden sich zwei nachlässig gekleidete Mexikaner, von denen der eine der Zimmermann und Dolmetscher, der andere[105] ein bildschöner, aber sehr zerlumpter Bursche war, der mit mir angemustert werden sollte. Man fragte mich, auf wie lange Zeit ich mich auf das Schiff verpflichten wollte. – Sechs Monate. – Das erschien dem Kommandanten zu wenig. Ein Jahr. Auch noch zu wenig. Ob ich mit zwei Jahren einverstanden wäre. Ich sagte zu, aber mir stiegen dabei doch Bedenken auf. Zwei Jahre waren eine lange Zeit, und die sollte ich nun unter den wilden, jähzornigen Mexikanern zubringen. Ich faßte wenigstens den Mut zu der Erklärung, daß für diese lange Zeit acht Dollar Heuer zu wenig seien. Der Zimmermann bedeutete mir daraufhin, daß ich mit der Zeit avancieren würde. Als er mich beruhigt sah, zog er vier lange Verträge in spanischer Sprache hervor, in die er meinen und meiner Eltern Namen, Heimat, Geburtsdaten usw. eintrug.

Die Verträge enthielten eine Reihe von Vorschriften und Bedingungen, die mir der Zimmermann in gebrochenem Englisch so schnell vorlas, daß ich auch keine drei Worte davon verstand. Dann unterzeichnete ich die vier Bogen mit meinem Namen.

Ich war jetzt mexikanischer Soldat und freute mich über diese neue Epoche in meinem Leben. Auch der schöne, zerlumpte Mexikaner hatte inzwischen derartige Verträge unterzeichnet.

Ich verabschiedete mich nun von James Brody. Er drückte mir fest die Hand, und dann wandte er sich zu dem Kommandanten und sagte auf mich deutend: »Er ist ein guter Junge. Mach' einen guten Mexikaner aus ihm!«

Der Kapitän nahm den Mexikaner und mich mit nach seiner Landwohnung und von da aus nach dem Hafen. Dort befahl er uns zu warten, bis er zurückkäme, und entfernte sich. Wir lagerten uns auf der Plattform des großen Krans.

Das war die Stelle, wo das Boot der »Elli« anzulegen pflegte, und o Schreck, was sah ich: Auch jetzt lag es dort. Willy und Gustav saßen darin. Da ich die Tracht der Eingeborenen trug und der große Hut mein Gesicht verbarg, erkannten sie mich nicht.

Es dauerte gar nicht lange, so näherte sich auch Kapitän Pommer, von dem Gouvernementsgebäude herkommend. Neben ihm schritt der Papenburger Kapitän, mit dem er in ein sehr lebhaftes Gespräch verwickelt war.

Ich preßte die Stirn fest auf die Plattform, während es mir wie Elektrizität durch alle Glieder fuhr. Die beiden Seeleute schritten aber ahnungslos an mir vorüber und stiegen ins Boot. Ich war gerettet.[106]

Mein Gefährte neben mir hatte meine Erregung bemerkt. Ich suchte ihm die Situation zu erklären, und er kapierte auch sehr leicht.

Weder der Kommandant noch ein Boot vom Mexikaner ließen sich sehen. Ich beobachtete das um die Mittagszeit sehr rege Treiben auf dem Platz, als mich plötzlich mein Nebenmann anstieß und mit dem Finger auf den Strand wies. Dort stiegen soeben Kapitän Pommer, Jahn und August abermals aus dem Boot. Hatten sie mich vorher erkannt und kamen nun mich holen?

Im ersten Schreck kroch ich unter den Kran, und darauf legte ich mich wieder auf die Plattform und vergrub das Gesicht in meinen Kleidersack. Der Strohhut verdeckte meinen Kopf, und so lag ich da und hielt den Atem an; denn die beiden deutschen Matrosen hatten sich neben mich auf den Kran gesetzt, so dicht, daß ich sie hätte mit der Hand fassen können. Ich hörte sie von einem kranken Steuermann sprechen; aber da sie sehr undeutlich sprachen, oder vielleicht auch aus Aufregung, verstand ich nichts Näheres.

Gerade als ich die Stimme des mexikanischen Kommandanten von weitem hörte und mit Schrecken daran dachte, daß ich jetzt aufstehen müßte und mich die Deutschen dann entdecken würden, entfernten sich diese.

Mir fiel ein großer Stein vom Herzen.

Der Kommandant erschien mit dem Zimmermann und war sehr aufgebracht darüber, daß sein Boot noch nicht da war. Er wandte sich nun an ein in der Nähe liegendes Leichterboot wegen der Überfahrt. Die Kerle schienen aber zu hoch zu fordern, denn die Verhandlung dauerte ziemlich lange und wurde sehr lebhaft. Zu dieser Stunde ging es überhaupt sehr laut in dem Hafen zu. Eine Menge Menschen war um uns herum beschäftigt, Schwarze, Gelbe, Weiße – fluchend, schreiend, schwatzend –, ein buntes Bild.

Endlich war der Kommandant mit den Kreolen einig und rief uns zu, einzusteigen. Er selbst und der Zimmermann stiegen zuerst in den Leichter, dann folgte der schöne Mexikaner, und eben wollte ich auch hinüberklettern und hatte bereits einen Fuß auf den Rand des Bootes gesetzt, als mich jemand auf die Schulter klopfte und mit durchdringender Stimme fragte: »What ship you belong to?«

Ein englischer Geheimpolizist – ich kannte sie – stand hinter mir. »I belong to the Mexican ship!« entgegnete ich.

»Gut, komm mit, der Mexikaner ist dort!« meinte der andere und deutete nach der Polizeistation.[107]

Ich stellte mich, als ob ich nicht verstände, aber es half nichts. Ich mußte ihm folgen. Ich war ganz verzweifelt. Nun war alles aus. Das wußte ich. Nachdem ich jeder Entdeckung bisher entgangen, sollte ich jetzt im letzten Moment alles verlieren, was mir das Glück geboten hatte.

Eine steinerne Treppe führte zu einer offenen Vorhalle der Wache. An den Seitenwänden dieses Raumes standen Bänke, auf denen schwarze und weiße Polizisten herumfaulenzten. Hierhin mußte ich dem Detektiv folgen.

Man fragte mich nochmals, zu welchem Schiff ich gehöre. Ich blieb dabei: zum Mexikaner. Ob ich das beschwören könne. Ich hob die Hand in die Höhe. Darauf mußte ich mich auf die Bank zwischen zwei Polizisten setzen, von denen der eine, ein langer Kerl mit einem niederträchtig heimtückischen Gesicht, sich in ein Gespräch mit mir einließ. Er fragte, ob ich Französisch spreche, zeigte mir ein Bilderbuch und war überhaupt scheinheilig freundlich um mich bemüht.

Unterdessen hatte man den Zimmermann auf die Wache geholt. Ich bemerkte, als er vorüberging, daß er die vier von mir unterschriebenen Kontrakte in der Hand trug.

Während ich nun mit gekünstelter Gleichgültigkeit auf die Straße sah und mit den Beinen baumelte, wartete ich mit innerem Fieber der Dinge, die da kommen sollten.

Nach kurzer Zeit trat der Zimmermann wieder aus der Polizeistube. Die Kontrakte hatte er nicht mehr in der Hand, und er warf mir im Weggehen einen mitleidigen Blick zu. Vielleicht dachte er, ich hätte ein schlimmes Verbrechen begangen.

Aber immer noch hatte ich einen Schimmer Hoffnung.

Plötzlich sah ich Jahn und August auf der Straße vorübergehen. Mich erkennend, blieben beide stehen, und Jahn rief mir lachend zu: »Na, hast du dich wirklich kitschen lassen?«

Ich winkte ihnen bittend zu, weiterzugehen, aber August wandte sich nun mit wichtigem Ton direkt an die Polizisten und erklärte ihnen, daß ich ein entlaufener Schiffsjunge und von der deutschen Bark »Elli« sei.

Da erschien Kapitän Pommer auf der Bildfläche. Er trat auf mich zu, ohne eine Miene zu verziehen, und fragte, wo ich meine Sachen hätte. Ich zeigte auf den Bananensack. Ob das alles wäre? »Ja, das andere habe ich an Bord zurückgelassen.«

»Was willst du nun tun? Willst du solange in die Tretmühle hier,[108] bis das Schiff abfährt, oder willst du mit an Bord fahren? Fort kommst du nicht.«

Ich schwieg. Der Alte wiederholte seine Frage.

Ich bat ihn, mich doch freizulassen. Ich könne es auf der »Elli« nicht aushalten. Aber der hartköpfige Ostfriese blieb unerbittlich. Er erklärte, ich käme auf jeden Fall an Bord. Seinetwegen könne ich mich ja dann ersaufen. Nach diesen Worten befahl er Jahn und August, mich an Bord zu rudern.

Die Polizisten begleiteten mich bis ans Boot. »O, you are a bad boy!« sagte der mit dem heimtückischen Gesicht, worauf ich ihm ein Leckmich zurief. Im Boot mußte ich mich dann zwischen Jahn und August setzen. Der Alte blieb an Land. Sämtliche Polizisten standen am Ufer, als wir abstießen. Ebenso eine neugierige Menschenmenge, und alle schwenkten die Hüte. Die Policemen riefen mir: »Good bye, young mexican«, »Auf Wiedersehen!« und ähnliche ironische Bemerkungen nach. Ich schwieg verbittert.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 6: Mein Leben bis zum Kriege, Zürich 1994, S. 99-109.
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