Ueber Psalm 77, Vers 4 und 7

[280] Brich, o Morgensonne,

Lieblich doch herfür!

Gott, ich wil mit Wonne

Kindlich danken dir;

Denn du hast beschützet

Mich die ganze Nacht,

Daß mich nicht beschmitzet

Satans List und Macht.

Geht herfür, ihr Sterne,

Bleicher Mond, brich an,

Leuchtet uns von ferne,

Daß mein Mund doch kan[280]

Jetzt sein Opfer bringen

Und mit süßem Ton

Unserm Gott lobsingen

Für dem Gnadenthron!

Komt, ihr Gotteskinder,

Laßt des Höchsten Wort

Wohnen auch nicht minder

Unter uns hinfort;

Hebt die Freudenpalmen

Jauchzend himmelan,

Singt die schönsten Psalmen,

Die man finden kan.

Lasset itz erschallen

Manchen Lobgesang,

Ist doch auch ein Lallen,

Das ohn allen Zwang

Aus dem Herzen gehet,

Gott sehr lieb und wert,

Gott, der das erhöhet,

Was nur ihn begehrt.

Laßt vor allen Dingen,

O ihr Christenleut,

Eure Stimm' erklingen,

Gottes Herlichkeit

Tag und Nacht zu preisen;

Laßt Herz, Sinn und Mut

Ehr' und Dank erweisen

Gott, dem höchsten Gut.

O du Geist von oben,

O du süßes Licht,

Laß uns, Gott zu loben,

Doch ermüden nicht;

Unser Herz kan spüren

Deine Gegenwart,

Wo das Modulieren

Niemals wird gespart.

Unser Herz sol heißen,

Herr, dein Psalterspiel,[281]

Das sich wird befleißen,

Dich ohn' End und Ziel

In der Welt zu loben;

Auch mein Geist, allein

Stets zu dir erhoben,

Sol dein' Harfe sein.

Herr, es sol da singen

Nicht der bloße Mund,

Noch ein Lied erklingen

Ohn' des Herzen Grund:

Nein, es sol mit Thränen

Aus der Seelen gehn,

Die sich stets wird sehnen,

Dich mit Lust zu sehn.

Bald so wil ich beten,

Herr, aus ganzer Macht,

Bald so wil ich treten

Voller Glaubenspracht

Für den Thron der Gnaden,

Wenn ein großer Schmerz

Schwerlich hat beladen

Mein betrübtes Herz.

Bald so wil ich schreien,

Wenn der Feinde Schar

Nah' ist, nach dem Dräuen

Mich zu würgen gar;

Bald so wil ich bitten,

Wenn ich Armer steh

Gleichsam in der Mitten

Und mein Grab anseh.

Bald so wil ich loben,

Wenn zur argen Zeit

Für der Feinde Toben

Du mich hast befreit,

Ja, mich aus der Höllen

Gleichsam hast gebracht,

Wil ich dann bestellen

Deinen Ruhm mit Macht.[282]

Herr, dein Lob ausbreiten

Ist der Engel Lust,

Drüm sol dieß bei Zeiten

Mir auch sein bewust;

Ja, die kleine Kinder

Sollen früh und spat

Rühmen, Herr, nicht minder

Deine Majestat.

Laß im ganzen Leben

Mich, o Gott, nur dich

Und dein Thun erheben,

Laß mich würdiglich

Dich mit süßen Weisen

Rühmen in der Welt,

Bis ich werde preisen

Dich im Himmelszelt.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 280-283.
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