Ueber das Evangelium am 17. Sonntage nach dem Feste der h. Dreifaltigkeit

[249] Luc. 14, 1.


O Welt voll Blind- und Sicherheit,

Wie bringst du doch die liebe Zeit

Am Sabbathtage sonder Ruh'

In aller Sünd' und Bosheit zu!

Ich weiß, daß Gott nach seinem Rat

Sechs Tag' uns nur verordnet hat,

Darin man fleißig wirken sol,

Und drauf am Sabbath ruhen wol.

Merk aber, du solt nicht allein,

Was dich belanget, ruhig sein,

Es gehet auch des Sonntags Recht

Auf Söhn' und Töchter, Mägd' und Knecht.[249]

Durch Ruhe wird ja Mann und Weib

Gestärket, daß ihr schwacher Leib

Gesund und kräftig kan bestehn,

Ja frölich an sein' Arbeit gehn.

Wenn nun der Sabbath kömt heran,

So wiß' alsdenn ein jedermann

Aus Gottes Wort, was recht ein Christ

Zu thun und lassen schuldig ist.

Sobald dir ruft der Glocken Schall,

Des Lehrers Mund, der Sänger Hall,

So freue dich und geh' auch fort

Zu lernen eifrig Gottes Wort.

Sprich: Herr, ich liebe sehr die Statt,

In welcher du mich machest satt

Mit deinem Wort; ach, speise mich,

Daß meine Seel' itz lobe dich.

Am Sabbath sol dein Abendmal

Erquicken mich in derer Zahl,

Die dir, mein Gott, ergeben sind:

So bleib ich stets dein liebes Kind.

Auf, meine Seel', und sei bereit,

Zu danken Gott mit Freudigkeit,

Zu bitten auch, daß seine Güt'

Uns heut und allezeit behüt'.

Am Sabbath wil ich meinen Mund

Eröffnen und von Herzengrund

Erschallen lassen ein Gedicht,

Das unser Gott verschmähet nicht.

Am Sabbath wil ich dankbar sein

Und schenken, aber nicht zum Schein,

Den Armen mit ganz milder Hand,

So würk' ich recht ein Liebesband.

Am Sabbath sol mein ganzes Haus

Die schönste Sprüchlein lesen aus,

Damit sich trösten in der Still'

Und lernen, was Gott haben wil.

Mein bester Sabbath aber sol

Alsdenn recht blicken, wenn ich wol[250]

Und christlich leb' in dieser Zeit,

Stets seufzend nach der Ewigkeit.

Den Sabbath feiret man gewiß,

Wenn durch der Sünden Finsternis

Noch Leib, noch Seel' hier wird beschwert,

Wenn nur der Himmel wird begehrt.

Der hält den Sabbath in der That,

Der Fried und Ruh im Herzen hat,

Ja, glaubet, daß durch Jesum Christ

Des Vaters Zorn gestillet ist.

So kom', o liebste Seel', herzu,

Kom, such' und finde Fried' und Ruh

In Gott, dem höchsten Schatz, allein,

Da wird dein rechter Sabbath sein.

Kein Sabbathtag sei dir bewust

In Hoffart, Ehr' und Fleischeslust,

So lieblich zwar den Sinnen thut,

Und nimt dir doch das höchste Gut.

Bei Gott in jenem Freudenreich,

O liebstes Herz, wird bald zugleich

Versamlen sich der Frommen Schar

Und halten Sabbath immerdar.

Da wird der Instrumenten Klang,

Der Engel Spielen und Gesang,

Der Auserwählten Lobgetön

Den Sabbath machen groß und schön.

Da wird ein prächtigs Ehrenkleid

Bedecken ganz das alte Leid,

Da wird man glänzen wie die Sonn'

In Ewigkeit mit Freud und Wonn'.

O schönster Sabbath, kom doch bald,

Du bist so herlich von Gestalt,

Daß ich mir wünsch' in Gott allein

Ein ewigs Sabbathkind zu sein.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 249-251.
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