Der Bauernspöttler im Krautaler.

[227] Beim Glowoggenbauer in der Stuben waren wir, auf der Ster, unser drei. Der Meister pfiff das Kaiserlied, der Geselle raunte mir zu, daß er mich bei den Ohren nehmen werde, wenn ich das Bügeleisen so scharf auf den Tisch fallen ließe, und ich dachte: Wollte Gott, ich wäre auch schon Geselle, daß ich einen Lehrjungen beim Schopf nehmen könnte!

Der Meister merkte den Konflikt und sagte zum Gesellen: »Was hast denn mit ihm schon wieder? Scharf auf den Tisch fallen lassen muß er ja das Bügeleisen, sonst wird die Hosen nicht glatt.«

»'s ist ja nicht der Hosen wegen,« antwortete der Geselle, »aber der Lehrjung muß halt bisweilen daran erinnert werden, daß er Lehrjung ist. Hat mich auch mein Lehrmeister alle Tag bei den Ohren gezupft.«

– Darum sind sie so lang geworden! Ich darauf. Gesagt hab' ich's nicht, aus Furcht, ebenso lange zu bekommen.

Zur selbigen Stunde trat die Glowoggenbäuerin in die Stube. Sie kam vom Krautgarten, wo sie eben junge Kohlpflanzen in die Erde gesetzt hatte, denn es war im Frühsommer.

»Jetzt bin ich aber schon suchtig!« sagte sie. »Dieser verdächtige Mensch ist wieder draußen.«[228]

– Was für ein verdächtiger Mensch? dachte ich, denn ein Lehrjunge darf nur denken.

»Was für ein verdächtiger Mensch?« fragte der Meister, denn ein Meister darf auch sprechen.

»Der alleweil so herumsteigt,« berichtete die Bäuerin, »und man weiß nicht, was er will. Aus Graz, sagen sie, ist er, oder aus Wien. Eine Hirschlederhosen hat er an und ist kein Bauer, Glasaugen hat er auf und ist kein Herr. Man kennt sich nicht aus. Die Bäuerei wollt' er studieren, heißt's, und ein Büchel darüber schreiben.«

»Aha, der Salonsteirer,« sagte der Meister. »Der am vorigen Sonntag beim Raberlwirt zu Mürzzuschlag gesungen hat. So Spaßliedeln gesungen und sich über die Bauern lustig gemacht und die Wiener, die da sind gewesen, haben ihm Wein gezahlt dafür und brav gelacht.«

»Das Singen wollt' mir noch nichts machen,« sagte die Bäuerin, »wenn's ihn freut, warum denn nicht! Aber der schlecht' Lotter, der er ist! Beim hellichten Tag geht man nicht sicher vor ihm. Ich hab' ihm's aber gesagt! Der kann sich sein Teil denken.«

Mittlerweile trat auch der Bauer in die Stube. Ein prächtiges Paar, wenn sie so nebeneinander standen allzwei! Er schlug Tabaksfeuer, Funken gab's, und im Augenblick gloste der Schwamm. Während er diesen unter den Pfeifendeckel legte, blickte er schmunzelnd auf sein Weib und fragte, was sie denn so in die Hitze gebracht habe?

»Der kurzhosete Stadtherr ist auf dem Krautgarten gewesen,« antwortete die Bäuerin.[229]

»Nau – und was hat er denn wollen?« fragte der Glowoggenbauer.

»Wie man den kennt, wird's nicht schwer zu erraten sein.«

»So! – Und hast ihn nicht gefoppt?«

Hierauf erzählte die Bäuerin: »Steht auf einmal da und sagt: Guten Morgen, Dirndl! – Sag' ich: Erstens ist nicht guter Morgen, weil's bei uns schon Nachmittag ist, und zweitens bin ich kein Dirndl, weil ich ein Eheweib bin. – Was ich da für Pflanzen tät in die Erde setzen? – Frag' er den Hafen oder den Hirschen, wenn er's wissen will, sage ich. Kraut ist's. – He, wer wollt' denn so viel Kraut essen? sagt er. – Wir Bauersleut', sag' ich, denn das Fleisch, das dazu gehört, essen die Herren. Nachher er darauf: er wär' auch ein Freund von Bauernkost und ob ich ihn nicht ein wenig wollt' mitessen lassen? Und so fangt er an. Ist aber nicht vorwärts gekommen, ich weise ihm den kürzesten Weg in die weite Welt. Steigt er nachher zum Stadl hinab, schaut dem Buben zu, wie der ein Paar Ochsen einspannt und sagt: Was wollt ihr denn alle drei? Auf den vierten warten, wenn ihr Zeit habt! gibt der Bub zur Antwort. Daran f geht er in den Wagenschoppen, spöttelt eine Weil über die Düngerkarren, trottet hinten hinaus zum Krautaler und schnüffelt überall herum.«

»Ja,« sagte nun der Meister, »er tut halt das Bauernwesen studieren, daß er nachher darüber Sachen schreiben, Reden halten und Liedeln dichten kann.«

Der Glowoggenbauer lachte auf: »Ein sauberes Bauernstudieren das, wie es der treibt! Im Wirtshaus,[230] wenn die Leute ihre Schwänk' machen, aufpassen, auf's Papier kratzeln, lachen, dann ums Haus herumschwänzeln, den Arbeitsmenschen frozzeln, mit den Weibsleuten umtun, bis sie ihn rechtschaffen foppen, das nennt so einer Bauernstudieren.«

»Was auf das herauskommt, schaut auch danach aus!« sagte der Meister. »Man versteht's wohl, daß einer den Bauersmenschen nicht immer loben kann, hat auch seine Fehler und manchmal hübsch große noch dazu. Ist jedem gesund, wenn er die Wahrheit hört. Aber so, wie es dieser hergelaufene Mensch treibt, das ist mir schon zu dumm. Hab' letztens schon gemeint, ich müßt' ihm den Kopf waschen, wie er zu Mürzzuschlag vor den Stadtherrischen seine Wissenschaft losläßt. Die dummsten und die schlechtesten und die unsaubersten Gesellen müßten wir Bauersleut' sein, nach dem seiner Auslegung. Der Beste nichts nutz! Er müßt' nur das Maß von sich selber nehmen, sonst wüßt' ich nicht, wie er dazu käme, lauter Spitzbuben, Esel und Teppen (Kretins) aus uns zu machen. Seinen Ochsen, sagt er, hätte der Bauer lieber als seinen Bruder, und mit den Schweinen lebe er in besserem Verhältnisse, als mit –«

»Wir wissen es schon,« unterbrach ihn der Bauer, »es sind die alten Geschichten, die im Spaß weiter erzählt werden, und so ein Halbpelzer für ernst nimmt. Der müßte erst einen Stock Salz essen mit uns Bauern, der uns hinter den Brustfleck schauen wollt', und einer, der uns kennen lernen wollt', wie wir sind aus- und inwendig, der müßt schon einmal ein zwanzig Jahrl mit uns leben, arbeiten und Gutes und Ungutes tragen; nachher, denke ich, möchte ihm sein leichtsinnig Schwatzen[231] schier vergehen. – Wenn dieser Mensch noch lange umschleicht um mein H aus und Hof, und daß er die Fehler und Schäden aufschmecken will, so soll er schon noch etwas recht Bauernmäßiges erfahren, daß er sich's merkt...«

Den Sinn dieser Worte deutete der Glowoggenbauer mit der Faust an. Weiter wurde die Sache nicht besprochen, jedes wendete sich wieder seiner Arbeit zu, der Bauer spaltete Holz, die Bäuerin spann, der Meister schnitt, der Geselle nähte, und ich bügelte.

So ward es Abend. Wir Schneider räumten den Tisch, denn es wurde das Nachtmahl aufgetragen. Milchsuppe, Bohnen mit Kraut, sie würzten es mit frohem Gespräche über dies und das, ich war der Einzige, welcher nicht sprach, sondern fleißig zuhörte und mir meinen Teil dachte. Ich sage dir, Leser, in keinem Lehrsaal später habe ich so viele Lebensklugheit, bei keiner Stadtkurzweil so viel heitere Laune vernommen, als an solchen Bauerntischen. Wenn Handwerker im Hause sind oder auch sonst ein gerngesehener Gast, da zieht des Bauers Seele ihr Sonntagsjöpplein an, und die Unterhaltung ist eine gehobenere als sonst. Auch schneidigen Witz gibt es dabei und warme Herzhaftigkeit – jede Richtung findet ihren Vertreter; kann man sie gleichwohl auswendig voneinander kaum unterscheiden, ist ihr Gehaben für den oberflächlichen Beobachter auch bei einem wie beim anderen, im Grund und Kern sind es doch lauter voneinander verschiedene Menschen, darunter nicht wenige Schelme und Spottvögel und dabei gemütliche Kameraden.

Der Stallbub kam an jenem Abende etwas verspätet[232] in die Stube, er wollte erst die Rinder sattfüttern, bevor er an die eigene Sättigung dachte, denn so ein Stallbub ist nicht minder stolz auf seine Pflicht, als der Soldat und der Beamte. Der Stallbub brachte die Nachricht herein, es stiege ihm heute schon das Haar zu Berge, er habe draußen in der finsteren Nacht ein Gespenst schreien gehört. – Einige am Tische erschraken über diesen Bericht, andere lachten; der Bauer blieb ruhig ernsthaft und sagte: »Du sollst nicht so einfältig daherreden, Bub. Auf dem Glowoggenhof schreien keine Gespenster.«

»Nachher muß es was anderes gewesen sein,« meinte der Stallbub. »Schreien tut halt was. Hinter dem Schoppen draußen schreit's, vom Krautaler her.«

Was denn das sein kunnt? rieten sie herum. Der Krautaler ist ein tiefer Schacht senkrecht in die Erde hinab, etwa eine Klafter weit und vier Klafter tief; er ist mit glatten Holzlatten ringsum verschlagen und dient zur Aufbewahrung des »Grühenkrautes« über den Winter. Die Kohlköpfe werden im Herbste in einem großen Kessel weich gebrüht, in diesen Schacht gelegt, dann mit Brettern zugedeckt und mit großen Steinen beschwert. Auf diese Weise hält sich das Kraut lange Zeit frisch und fault nicht; im Laufe des Jahres wird es allmählich herausgenommen und gekocht. Zur Sommerszeit ist der Aler fast allemal schon leer, und auf seinem Grunde liegt nur die Strohschicht, auf welcher das Kraut gebettet gewesen.

Und von diesem Krautaler her schrie jetzt nach Ansicht des Stallbuben ein Gespenst.

Ein paar Knechte legten die Löffel weg und gingen[233] hinaus, um nach der Ursache des Geschreies zu forschen. Nach einiger Zeit kamen sie zurück und sagten, es wäre nichts weiter. Der Salonsteirer, oder wer er wäre, sei im Krautaler und könne nicht heraus.

»So soll er unten bleiben!« rief die Bäuerin.

»Da hat er Zeit zum Bauernstudieren,« sagte unser Geselle.

»Er wird bei seinem fürwitzigen Umhersteigen hinabgefallen sein,« vermutete der Bauer. »Schreit er kläglich?«

»Hübsch kläglich,« antwortete ein Knecht.

»Bittet und betet er?«

»Nein, er schimpft,« berichtete der Knecht.

»Nachher ist ihm nichts geschehen,« sagte der Bauer. »Stroh hat er eh' unten. Und wir wollen jetzt auch schlafen gehen.«

Lieber Himmel, was war das allemal für eine selige Wendung für mich, als es Nacht ward und Zeit zum Schlafengehen! Ins Bett sank ich und vergaß vor dem Einschlafen sogar die Augen zuzumachen – sie fielen von selber zu. – Peter, steh' auf! mit diesem Rufe erweckte der Meister mich allemal wieder zum Leben, und es war Morgen. – In dieser Nacht jedoch wurden wir früher geweckt.

Der Glowoggenbauer war nicht so schnell eingeschlafen, als wir Schneider. Vielleicht war er in Sorgen; so ein Hauswirt muß des Tages arbeiten und des Nachts denken. Wie ich den Glowoggenbauer kannte, sprang sein Sinnen von eigener Kümmernis auf fremde. – Es gibt Leute, denen es schlechter geht als mir, die Frost leiden müssen, während mir die große Schafschur Sorge macht; die Hunger leiden müssen, derweil ich[234] an die Erweiterung der Vorratskammer denken muß. Ja, Narr, ist so einer nicht etwan in der nächsten Nähe von meinem Haus? Hat's nicht geheißen, der Stadtherr wär' in den Krautaler gefallen? Und kann nicht heraus. Kann sich was brochen haben, und keinen Beistand. Kein Abendbrot, die Nächte sind kalt jetzt, und keine Decke! Schreit um Hilf und kein Mensch geht ihm zu. Noch auslachen statt helfen. Was gibt's denn für Hundsfötter in diesem Glowoggenhof? – So dachte der Bauer in der stillen Nacht. Dann stand er auf, zog sich an und weckte mehrere Leute.

»Was hat's denn?« rief mein Meister zur Kammertür hinaus, als er den Lärm hörte.

»Den Stadtherrn müssen wir aus dem Krautaler tun,« antwortete der Bauer.

»Wärst aber schon nicht gescheit,« redete jetzt rasch aufgemuntert unser Geselle drein. »Weißt ja, wie er sich lustig macht über euch Bauern, im Wirtshaus, und was er vom Stößelhautz umeinanderplauscht: daß der von seinem sterbenden Weib weg zur kalbenden Kuh tät' laufen und so! Und ein solches Lugenmaul willst du aus dem Krautaler ziehen? Geh', laß ihn bei seiner Meinung.«

»Dummer Schneider!« verwies der Glowoggenbauer. »Das tun wir Bauersleut' uns schon nicht an, daß wir so einem Stadtschnackel recht geben, wenn er uns beschimpft. Heraus aus dem Loch muß die Kreatur!«

Also sein Wort, und dann ging er mit einer langen Leiter über den Hof und hinaus hinter die Gebäude. Wir hasteten in die Kleider und eilten ihm nach. Kamen just zurecht, wie der Bauer hinabrief in den Schacht: »Ist er noch unten?«[235]

In der Tiefe wimmerte etwas, also war er noch unten Unser Geselle huschte zum Bauer und zischelte ihm ins Ohr: »Seine Sündenlitanei halt' ihm vor, ehe du ihn heraufziehst. Reim ihm's! Höllisch reim ihm's, daß er sich's merkt!«

»Er wird sich's schon merken,« antwortete der Bauer ganz ruhig und rief hinab: »Achtgeben! Es kommt die Leiter!«

Nicht lange hernach, und der Stadtherr kletterte zähneklappernd vor Frost heraus.

»Nur gleich in die Stuben und eine warme Suppen!« also der Bauer, nahm den Geretteten an der Hand und führte ihn ins Haus. Und nicht ein scharfes Wort!

Eine halbe Stunde später kauerte der Salonsteirer im Bette unter drei schweren Wolldecken und schämte sich. Die ganze Nacht schämte er sich, und am nächsten Morgen schlich er höchst geräuschlos davon.

Ob er nach dieser schönen Nacht noch im Lande umherzog, um in den Wirtshäusern die Bauern schlecht und lächerlich zu machen, das weiß ich nicht. Wenn er klug gewesen wäre, so hätte er die Geschichte vom Krautaler in zierliche Reimlein gebracht und dieselben sich und anderen zu Nutz und Fromm en manchmal zum Besten gegeben.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 227-236.
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