Ich suchte und wußte nicht was.

[280] Ich war innerlich sehr unstet geworden. Die wenigen freien Tage, die ein Handwerker hat – ich wußte kaum, wie ich sie verleben sollte, daß etwas in mir zur Befriedigung kam.

Ich sing nun an, ins Hochgebirge hinaufzusteigen, um von oben in die Welt hinauszuschauen. Dabei sind mir mitunter Abenteuerchen zugestoßen, wovon ich auch einige erzählen muß, weil sie in meine Lehrjahre gehören.

Einmal stieg ich dem Hochschwab zu, dem höchsten Berge, der im Gau steht.

Als ich von der ersten Höhe niederschaute in das Tal, wo auf Feld und Straßen winzige Menschlein mit ihren Haustieren krabbelten, fiel mir das Wort eines Sonderlings ein: »Der Laster (die Menge) Ungeziefer auf der Weltkugel! Wie mit den Insekten, es ist kein Austilgen, je kleiner sie sind. Der ganze Planet ist zernagt über und über.«

In Thörl bei Aflenz trank ich ein Schöppel, dann geriet ich ins Gestein. Ich kam zum hintersten Dorfe, auf welches die Alpenwildnis niederschaut, starr und finster, als wäre sie mit unsereinem nicht gut Freund. Die Kirche dieses Dörfchens ist ganz im Sinne des Waldlebens gedacht; es wohnen darin der heilige Jäger Eustachus und der heilige Hirschkuhmann Ägidius. Die drei Kronleuchter, welche vom Emporium niederhängen, sind[281] aus Hirschgeweihen zusammengesetzt. Was wird das in dieser Kirche bei den Wildschützen für eine Andacht sein!

Hinter dem Dorfe kniete ein Knab' am Wege, mit bittenden Händen eine Gabe heischend. Leutselige Wanderer müssen ihm schon manchen Heller in den Hut geworfen haben, denn er bat ziemlich dreist. Aber ich habe feindseligen Gemütes dem lieben Kleinen die Freude nicht machen mögen.

»Was? Ein so frischer, hübscher Bursche und betteln?!« sagte ich. Das Wort war keck für einen Handwerksburschen.

Sogleich war der Knabe auf den Füßen und blickte munter drein.

»So, Kleiner, und jetzt wollen wir Freund sein. Du bist so gut und sagst mir, ob da weiter drin in den Felsen auch noch ein Haus steht?«

»Ja!« Und mit flinker Hand strich er sich die lichten Locken aus der Stirne. »Ganz drin ist eins, sie haben gestern unser Kalb hineingetrieben.«

»Gut, Bub, nun hast du dir was verdient.«

Ich gab ihm den Kreuzer. Mit Befremden sah er drein; jetzt hatte er gar nicht gebettelt und wußte kaum, war die Gabe für das hinterste Haus oder für das Kalb.

Der Weg zieht zwischen den Wänden. Das schmale Tal mit den Wiesen und den verkümmerten Bäumen ist so eben, daß der Bach auf weißem Kalkgrunde kaum hörbar rieselt. Der glatte, feinsandige Weg ist so sauber, wie in einem Parke. Hie und da eine wilde Schutthalde läßt den Jähzorn spüren, mit dem solche Gebirge behaftet sind. Selten geschieht's, aber wenn dieser Zorn losbricht, dann gnade Gott dem Tale![282]

Links ruhen die noch ziemlich zahmen Ausläufer der Meßnerin, rechts das Zerbeneck und der zerhackte Reidelstein. Im Hintergrunde, grau vor dem Schatten des Abends, ragt wie eine Stütze des Himmels das Gewände des Hochschwab. Seine Häupter, er hat deren sieben, wie das Ungeheuer in der Offenbarung Johannes, sind in Wolken gehüllt. – Dort oben zu ruhen am höchsten Fels, umwallt von zwiefachem Schleier der Nacht und des Nebels zu träumen – und träumend Jakobsleitern zu bauen!

Doch, so ist's zumeist: wo Seele und Körper uneins sind, dort behält letzterer Recht. Im Meierhofe, welcher den Herren des Stiftes Lambrecht gehört, aß ich, ruhte ich die kürzeste Nacht des Jahres. Im Morgenrote führte der Steig zu den wilden Herrlichkeiten der Trawiesen hinan. Im Tale noch Dunkelheit, hoch oben Alpenglühen. In allem, was wir ersinnen und ersehen: hoch über unseren Wegen lodert das Licht – wir haben kaum den Widerschein. Der moderne Drang der Menschen, hohe Berge zu erklimmen, vielleicht hängt er mit der neuerwachten Sehnsucht nach Licht und Hoheit zusammen.

Bin doch ein rechter Träumer gewesen, und mit solchen Morgengedanken hätte ich mich an diesem Tage gewiß in den lebensgefährlichsten Unsinn verstiegen – da war's meine alte, kleine Sackuhr – sie ist nicht fünf Gulden wert –, die mich wieder auf irdischen Boden rief.

Als sie mir die vierte Stunde wies und ich sie veranlassen wollte, auf weitere vierundzwanzig Stunden ihren Dienst zu tun, da ergab es sich, daß ich keinen Uhrschlüssel im Sacke hatte.

Zwei Stunden wird sie's noch treiben, dann geht der Termin aus. Und ohne Uhr im Gebirge wandern, auf[283] fremden Wegen, in eingefallenem Nebel keine Zeit kennen? Unratsam. Wie ist einer Sackuhr die nötige Spannung beizubringen?

Am Waldrande schritt ein hinkender, abgezehrter Mann dahin. Er wich mir aus. Ich eilte auf ihn zu und rief: »He, habt Ihr eine Uhr?«

Er erschrak.

»So um vieri herum wird's sein,« war die Antwort.

»Nicht um die Zeit, sondern um die Uhr frage ich, weil –«

Er wollte fliehen, da verließen ihn die Füße, er hob die Arme und gurgelte: »Nur nit zur Halbscheid', um Gottes willen! lieber gleich ganz umbringen.«

Als ich sah, daß mich der Alte für einen Raubmörder hielt, erschrak ich selber und eilte weiter.

Bald darauf entdeckte ich die Holzknechthütte des Sackwaldes. Die Leute kochten ihr Frühstück, schärften Beile und Sägen und rüsteten sich zur Arbeit. Auch zu diesen zog's ihn hin, der heute ausging, die Menschen zu meiden. Fürs erste erzählte ich ihnen das kleine Abenteuer mit dem Alten. Die Männer lachten und sagten: der Geizhals! er hätte zusammengelegtes Silbergeld, fürchte sich stets vor dem Beraubtwerden und traue niemandem.

In Sachen meiner Angelegenheit kam nun jeder mit seinem »Knödel«, wie sie die Taschenuhren nannten, und stellte mir den daran hängenden Uhrschlüssel zur Verfügung. Die meisten viel zu groß, ein paar zu klein – und passend keiner.

Gerade wollte ein Braunbart sein Zeug wieder in die Tasche stecken, als ihm ein junges Blaßgesicht über die Achsel glotzte und die Frage gab: »Was hast denn du für eine Uhr?«[284]

Nach einer Pause entgegnete der andere: »Geht's wen was an?«

»Ja!« rief das Blaßgesicht, »mich geht's was an. Das ist dieselbig' Uhr, die ich vor Wochen der Waberl hab' gegeben.«

»Der Zirmwaberl?«

»Ja, der Zirmwaberl. Hast ihr's leicht abgeschwatzt?! – Her damit!«

Wilden Griffes riß er dem anderen die Uhr aus dem Sacke, und mit einem Fluche schleuderte er sie in die Herdglut.

Eine Sekunde lang stand der Braunbart da, starr wie ein Baumstamm, dann warf er sich auf das Blaßgesicht. Zwischen beiden begann ein Ringen, fest aneinander geklemmt fuhren sie in der Hütte herum, prallten an Wand und Pfosten; einen Moment bekam das Blaßgesicht seine Hand frei, um nach seinem Messer zu haschen. Die übrigen Männer hatten anfangs den Ringenden zugejohlt; jetzt erhob sich ein Gemurmel, welches von dem Poltern und Schnaufen der Streitenden übertönt wurde. Als der Braunbart in der Hand seines Gegners das Messer sah, übte er einen Stoß, und das Blaßgesicht taumelte zur Uhr auf das Herdfeuer hin, daß die Funken stoben.

»Gefehlt wär's! Das wär' gefehlt!« riefen nun die anderen und warfen sich zwischen die Kämpfenden. Nach vieler Mühe ließen diese voneinander ab und sanken erschöpft und blutend in die Winkel.

»Jetzt habt ihr gleich in aller Herrgottsfrüh einen Raufhandel gesehen,« sagte einer der Holzarbeiter zu mir, »der Teufel hol' die eifersüchtigen Leut'!«

Und das war die Moral. Ich trachtete wieder hinauszukommen[285] in die »Herrgottsfrüh«, wie der Mann so schön gesagt.

Da hatte ich wollen über den Menschen sein, und zum Trotz führte mich die Sackuhr mitten unter die leidenschaftlichsten hinein. Aufwärts stieg ich und beschloß, keinen mehr um den Uhrschlüssel zu fragen.

Nach zwei Stunden war ich auf der Sackwiesen, am stillen Hochsee. Pyramiden von verwitterten Fichten umstehen wie struppige Brauen das Wasserauge, in welchem sich die Tafeln des Hochstein spiegeln. Als ich oben über die glitzernden Schneemulden der Speikböden hinschritt, war es die achte Stunde – meine Uhr ging immer noch, gleichsam, als wirke auch auf sie das Naturgesetz, daß man auf hohen Bergen nicht leicht ermüdet.

Und endlich saß ich auf der Warte, hoch über einer Wüste von Gestein und Schnee. Nicht Rundschau hielt ich, sondern Rückschau und Vorschau, auf das, was war und was kommen soll...

Als ich wieder erwachte zur Gegenwart, da war der weite Kreis der Berge um mich versunken. Nebel hüllte mich ein, und die Uhr stand still.

Noch war's der Nordwind – den ich an seiner Schärfe erkannte –, der mir die Richtung deutete. Daraus erklügelte ich den Westen, gegen den ich niederstieg. Bald war unter mir wieder das Grüne, über mir die Sonne. Im Moos schreckte ich Gemsen auf; sie eilten in das Gefelse des Ebenstein empor. Ich wendete mich den Sonnschinhütten zu. Diese waren noch winterlich verschlossen, erst unten in den Bribitzhütten fand ich Milch und Brot und Schwaigerin. Bevor ich mich erquickt hatte, merkte ich nichts, aber als ich insoweit gesättigt war, sah ich[286] am Busen der jungen Sennin ein rotes Bändchen. Auf Almen darf man wohl naturforschen, und so hielt ich mich an die Spur dessen, was ich suchte. Jede Almerin muß ihre Uhr und jede Uhr ihren Schlüssel haben. Wir löseten die Dingelchen nicht erst gegenseitig los, wir standen zusammen. – Der Schlüssel hat gepaßt.

Und so ist frisches Leben gekommen in die Nachbarin meines Herzens, sie zeigte mir darauf vierundzwanzig gute Stunden.

Im Reigen der Neuberger Alpen erhebt sich ein Gebirgsstock, der oft sein Haupt in den Schleier der Wolken birgt, auch wenn auf den Wäldern und Felstafeln der niedrigen Nachbarberge Sonnenblick ruht.

Ich war damals ein Unhold, und gerade die unwirtlichsten Berge mochte ich – leicht an Gewicht – am liebsten erklimmen, besonders wenn ich wußte, daß oben hinter den bedrohlichen Felszinnen weiche Hochmatten waren und Sennhütten.

So war es an einem Sommertage, daß ich den Gebirgsstock emporstieg. Als ich sah, daß ein kecker Windzug oben den Schleier in tausend Fetzen zerrissen hatte, wollte ich aufjauchzen und hüpfen, wie das nachbarliche Gemslein, aber ich hielt weislich ein und hielt haus mit meiner Lunge und der Kraft meiner Beine. Der Tannenwald ging nicht mehr weit mit mir empor, und bald hatte ich es mit den kahlen, heißen Schroffen zu tun. Die Sonne verteidigte die Veste wacker, sie warf alle ihre glühenden Speere nach mir, aber ich kletterte still und langsam weiter.

Schon war ich so hoch, daß ich von einer unten im Tale losgehenden Flinte nur den weißen Rauchstrahl sah,[287] kaum aber den Knall hörte. Da setzte ich mich in die Spalte eines Felsens, wie sie allmählich das Eis gegraben hatte und ruhte ein wenig. So kauert das Insekt in der Mauerritze, wie ich in der Spalte des Gewändes saß, und ich vermeinte, zu dieser Stunde eine Verwandtschaft zu spüren zwischen mir und der graugefleckten Eidechse, die an meinen Füßen vorüberhuschte. Nach Sauerklee spähte ich umher, um meinen durstigen Gaumen zu atzen, aber zwischen den schattenlosen Wänden wächst kein Sauerklee, nur Zirmgenadel und Moos.

Wie ich so lugte, sah ich einen Menschen am Gewände quer gegen mich niedersteigen. Der Schäfer von der Schauerheide war's, wie ich nachher erfuhr, ein junger, stramm gewachsener Bursche, der keinen Fehltritt tat, so kühne Sprünge er auch machte von einer Kante auf die andere. Er mußte seiner Sache sicher sein.

Er rückte schier vornehm sein graues Hütchen, als er mich sah.

»Ist's noch weit hinauf?« fragte ich.

»Ja,« sagte er, »da ist's freilich noch weit! Wenn der Herr etwan durstig wird und Er ist von da noch drei Büchsenschuß gegangen, so ruck Er ein wenig links vom Wege ab – da wird das Kaiserbründl sein, ein rechtschaffen frisch Wasser.«

Da hat es in mir ordentlich zu kochen angefangen aus lauter Dankbarkeit, und ich habe nach seiner Hand gefahndet, daß ich sie recht drücken konnte. Darauf ist der Bursche rot geworden und hat gestottert: »Geh', wegen so ein Wasser da – hat leicht sein können – wird wohl noch für alle auslangen« – und ist davongelaufen.

Jetzt erhob ich mich aus meiner Felsenklemme, um[288] den Wasserquell zu suchen. Aber – drei Büchsenschuß? Fünf- oder sechshundert Schritte stieg ich langsam an, da hörte ich das Kaiserbründl rieseln. Es rieselte im Schatten einer Felskluft und war so klar, daß jedes Sandkörnlein funkelte im Becken. Ich habe mich zu ihm hingelegt und getrunken.

Wäre ich dieses einzigen Trunkes wegen emporgeklettert in das Gewände, der Mühe wäre Lohn genug gewesen. Dann ging ich fürbaß, und zwei Stunden später stand ich auf dem Felsendiadem und hatte das weite, zackige Gebirgsrund zu meinen Füßen und liebäugelte ein wenig mit dem Herrgott im nahen Himmel.

Nachher aber fielen mir die Sennhütten ein, sie liegen in einem weiten grünen Kessel unterhalb eines Kares; aus dem Bretterdache einer einzigen stieg dünner Rauch auf.

Vor der Hütte plätscherte ein Brunnen in einen weiten, tiefen Trog, in welchem ein See des hellsten, reinsten Wassers lag. Und die sinkende Sonne schien hinein. Voll Schweißes und Staubes, wie ich war, kamen mir Badegelüste. Ich vergaß ihrer einen Moment, als ich die Sennin sah. Ihr Leute, das war eine Sennin! – Einer ordentlichen Schönheit tue ich nie die Schmach an, sie zu besingen. Ich fragte die Sennin, wie sie heiße. Sie sagte, sie heiße Zili und lachte dabei.

Sie gestand mir gern die Nachtherberge zu und kam mit Milch und Brot und Butter. Ich aber fand mich in der Hitze nicht behaglich, und das Wasser plätscherte so wohlig – auf den Bergen wohnt die Freiheit.

»Zili!« sagte ich.

»Ja?« sagte sie.

»Weißt du, was ich möchte?«[289]

»Nein,« sagte sie.

»Ich möchte mich da in den Brunnentrog hineinlegen.«

»Uh Jesses!« rief sie aus und lachte, »da wird eins ja waschelnaß!«

»Freilich,« sagte ich, »und das meine ich ja, und wenn du's erlaubst?«

Da lachte sie noch mehr: »Meinetweg kann Er sich einilegen.«

»Und wirst etwan dieweilen ein wenig beiseite gehen?« fragte ich natürlich nicht ohne einige Befangenheit.

»Mein Lebertag!« rief sie, »meint Er, ich hätt' noch keinen im Wasser gesehen? Gewiß nicht, daß ich mich drum scher', ich geh' in meinen Stall,« setzte sie bei und ging davon.

So entledigte ich mich meiner Hüllen, warf sie auf den Kopf des Troges, und bald lag ich versenkt im lauigen Wasser.

Und jetzt kamen die Kühe und Ziegenherden von ihren Weiden heran und dem Brunnentroge zu. Anfangs erschraken sie baß, als sie im Wasser das Ungetüm sahen, aber die kühneren und durstigsten wagten sich doch heran und tranken. Eine der Ziegen, wie diese Tiere schon vorwitzig sind, hub mit meinen Haaren Händel an, und als sie diese nicht genießbar fand, nagte sie an meinen Kleidern herum und zerrte einen Teil derselben in das Wasser hinein. Jetzt verließ mich der Humor, und ich sprang auf, daß alle Tiere in der Runde weit zurückfuhren. Wer konnte nun so in die durchnäßten Kleider schlüpfen. Ich tauchte wieder zurück in das Wasser und rief nach der Sennin um ein trocken Hemd.

»Du meiner Tag, mein Lebertag!« lachte diese im[290] Stalle. »Wo nähm' eins jetzund a Hemat! – Ja, und haben muß Er doch eins, selb' seh' ich wohl ein. Ist seines pritschnaß, da wird Er mir zuletzt gar marod. Du meiner Tag, ist das a G'scher mit so Leuten!«

Nicht lange nachher brachte sie mir ein frisches Hemd. Sie brachte es selber herbei. »Ich werd' mich nicht an seiner Statt a Weil' schämen,« sagte sie, »und jetzt geh' Er was essen!«

Eine Stunde später trockneten meine durchnäßten Kleider an der Wandstange, und ich lag, noch eine Weile das Herumtrippeln der Sennin behorchend, auf dem übergeschoß in weichem Federgrasheu. An allen Ecken und Enden verspürte ich das rauhe Hemd der Sennin, – mir wurde heiß darin.

– – Heiß, wie die Sonne niederbrennt auf den Acker, auf dem das halberwachsene Mädchen den Flachs jätet und ausrupft. Dieser Flachs, ein drei Geviertklafter großes Fleckchen, ist des Mädchens einzig Erbteil von den verstorbenen Eltern – es will sich ein Kleid daraus bereiten. Es ist ein heißer Sonntagnachmittag, die anderen Dienstleute des Großbauern ruhen im Schatten oder sitzen im Wirtshause – das Mädchen aber erntet den Flachs – der Sonntag ist seine einzige freie Zeit dazu. Der Kuhhirt, ein stillheiterer Junge, kommt des Weges; der hat heute auch freie Zeit, solange den Rindern auf der Weide noch die Hitze zu groß ist. Der Junge steht eine Weile still und sieht dem Mädchen zu. »Ich will dir helfen, Cäcilie,« sagt er dann, und nun rupfen sie zusammen emsig an dem Flachs.

Da die Regentage des Herbstes kommen, liegt der Flachs zur Bleiche auf dem Heideland. Jedem Stämmchen[291] ist der Kopf weggerissen mit der Riffel; das hat Friedel, der Kuhhirt, getan.

Zur späten Abendstunde der Adventzeit höre ich in der Scheune das Brechelscheit klappern. Cäcilie bricht den gebleichten und nun auch gedörrten Flachs; neben ihr auf Garben sitzt der Kuhhirt und ist traurig, daß er nicht helfen kann. Sie lacht ihn aus, daß er so dasitzt und nicht schlafen geht. Da sagt er: »Cäcilie, ich mag nicht schlafen: es muß mir den Kopfpolster wer verhext haben, ich heb' mannigmal im Schlafe an, ihn zu halfen.« – »Geh', du und dein Kopfpolster, ihr seid mir auch die rechten,« lacht das Mädchen, »einer ist um kein Haar besser wie der andere.« Da steht der Friedel auf und geht davon.

In einer Nacht des Eismonats, da alles im Hofe längst schon schläft, sitzt Cäcilie in der kalten Kammer und spinnt. Der Faden wird stellenweise bauchig und stellenweise dünn zum Brechen: ihre Finger sind so ungelenk; den ganzen Tag über haben sie im Walde beim Holz und auf der Tenne beim Stroh gearbeitet. Die anderen Leute stärken sich jetzt für das morgige Tagwerk im Schlafe; sie stärkt sich beim Spinnen. Und sie ist glücklich im Gedanken: aus der Erbschaft ihrer Eltern bereitet sie sich eine neue saubere Pfaid. Da klopft plötzlich ein Unhold aus Fensterchen. Der Friedel ist's. »Muß ich dir das Radel treiben, Cäcilie?« lispelt er herein. – »Nicht vonnöten,« flüstert das Mädchen, »aber wenn du mir die Türe willst gehen zumachen, sie ist in Angeln offen.« Er geht die Türe zumachen, aber so, daß er innerhalb derselben zu stehen kommt. Dann sitzt er eine Weile neben der Spinnerin, und als diese das letzte Haar vom Rocken hat, geht sie und macht die Türe wieder auf. »So[292] ein Zumachen hat wenig geholfen,« sagt der Bursche verdrießlich und schleicht davon.

Als den langen Winter über für den Kuhhirten wenig zu tun war, hat er sich in der Stallkammer einen alten Webstuhl zusammengestellt und aus sich selbst das Webern gelernt. Dann sagt er eines Tages halblaut zur Cäcilie: »Gib her deine Spulen.« – Er webert ihr die Leinwand. Sie sitzt daneben und kann's mit ihren Augen kaum verfolgen, wie das Schiffchen fliegt von einem Ende zum andern. »Du bist schon gar ein guter Weber,« lacht sie. Er gibt keine Antwort, er webert. Ihr Herz ist sehr voll, fast schwer, da lacht sie, bis es leichter wird. Und als der Endfaden durch die Randfransen zuckt und das Stück gewebert ist, sagt der Friedel: »Cäcilie, da hast deine Leinwand. Sie ist wohl hübsch steif, aber ist die Pfaid fertig, dann helfe ich dir sie weich walken.« – »Und dieweilen sag' ich: Vergelt's Gott!« lacht das Mädchen.

Und als sie an einem Sonntagnachmittag wieder beisammensitzen unter dem Schatten des blühenden Kirschbaumes, da näht Cäcilie an dem Hemde. »Heirat' ich denn in dieser Pfaid drin, daß sich der Faden so knüpft?« lacht sie und streift den Zwirn in die Länge. – »Jetzt weiß ich's schon, was es mit meinem Kopfpolster ist,« sagt der Bursche, »es ist ein lebendiges Haar drin, oder so was.« – »Geh', z'weg nicht etwan gar!« schreit das Mädchen. – »Das ist gewiß, und willst meiner Red' nit glauben, so geh' mit und probier's. So, just so nehm' ich den Polster allemal im Schlaf – so!« Da nimmt er sie um den Hals, und ein Kuß schnalzt, und ein paar schneeweiße Kirschbaumblüten tänzeln nieder auf die zwei jungen Leute.[293]

Wie dann der Hochsommer kommt, muß der Friedel dem Mädchen die Kühe überlassen, und Cäcilie zieht mit denselben hinan auf die hohe Alm. Da denkt der Friedel bei sich: Darf ich schon mit den Kühen nicht, auf die Alm will ich dennoch fahren! – und wird Schäfer.

Da ist es heiß, und da blüht das rote Kohlröschen mit seinem honigsüßen Hauch, und da reist der Alpenrose wiegende Knospe, und da ist ein Tag, an welchem es der Sennin beikommt: Heut' kunnt sie die neue Pfaid probieren. Der Schäferfriedel – –

Da hat mich ein heller Juchschrei aus dem Traume geweckt. Ich steckte sofort meinen Kopf zur Dachluke hinaus. Es ist ein reiner lichter Morgen, und von der Hütte hinweg über die tauige Hochmatte hüpft jauchzend und jodelnd der Schäfer von der Schauerheide, der mir gestern unten im Gehänge den Wasserquell gewiesen hatte.

Und wenn mein wunderlicher Traum im neuen Hemde der Sennin nicht ganz eitel Schaum war, so ist euch der Lotter nächtlicherweil' in der Hütte gewesen, um die steife Pfaid zu suchen. Und fand nur die Maid.

Ich bin niedergestiegen in das Tal, und um das Haupt des Gebirgsstockes war der Nebel.

Er hat recht; arkadisches Hirtenglück will sorgsam verhüllt sein. Ich hätte auch geschwiegen, aber ich habe mir aus dem Hemde der Glücklichen, das mich eine einzige Nacht umfangen hat, ein Fädchen gezupft, und das möchte ich gern dehnen und weiterspinnen um die ganze Welt, auf daß mit mir und dir und allen die Freude sei.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 280-294.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Waldheimat. Erzählungen aus der Jugendzeit
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit - Zweiter Band [Reprint der Originalausgabe von 1914]
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon