Die Geschichte vom Staufel mit den sieben Krankheiten.

[65] Als vor sehr vielen Jahren eines Tages ein Schafhirte in die Holzknechthütte des Heschelwaldes trat, kam er just zurecht, wie der Kristenstausel anfing zu sterben.

Der Kristenstausel, ein Holzknecht im Heschelwalde, war eine Stunde früher noch dagestanden stramm und starr wie die Wettertanne vor der Hütte. Ein etwa fünfunddreißigjähriger Mann mit brauner Haut, schwarzem Schnurrbartbuschen und dunkeln, brennenden Augen, die – wie man sagte – nicht ins Pulverhorn gucken durften, ohne daß ein Unglück geschah. Holzknecht war er nur zur Hälfte, zur andern Hälfte war er Wildschütz. Die beiden Hälften hätten vielleicht einen ganzen Kerl gegeben, wenn der Staufel nicht alleweil so arg krank gewesen wäre. Er hatte nämlich ein »saures Geblüt« und den »Knochenschimpet« und die »Lungelsucht« und die »Abzehrung« und das »Magengromeln« und den »Herzdampf« und die »Schlagelsucht«. Sieben schwere Krankheiten, das war kein Spaß! Schon eine allein bringt die Leut' um; aber es war vielleicht gerade gut, daß ihrer mehrere waren, so nagte eine an der andern und ließen den Staufel in Ruh'. Wenn aber sechse in ihren Nestern schliefen und etwa nur der Herzdampf munter war oder das Magengromeln, da konnte es der Kranke oft schier nicht aushalten, da lag er zu allerlängs hingeworfen[66] auf der Holzbank und ächzte und vermachte sein Gewand den Kameraden. Aber schon nach kurzer Zeit mußten sie das Gewand wieder zurückgeben, weil er es selber anzog und in den Holzschlag ging.

Ein Hirtenmädel war in demselbigen Walde, das hatte Gott dem Staufel zum Ärger erschaffen. Das kam öfters in die Hütte und trällerte den Holzknechten in einem Atem folgende Sache vor: »Springt da Hirsch übern Boch tritt ma mei zwiedopplts driedopplts Brombirlab Blättablott oh is schon a hüscha Mon der ma mei zwiedopplts driedopplts Brombirlab Blättablott in oan Othn nena kon der wird mei Mon.« – Der Stausel konnte nicht ihr Mann sein, denn mit seinem kurzen Atem brachte er es nur bis zum ersten »Brombirlab Blättablott«; dermachte er es noch bis zum »hüsche Mon«, da war schon nicht mehr so viel Luft in seiner »Lungel«, daß davor ein Streichholzflämmchen auch nur hätte zucken können, und das war die Folge des »Herzdampfes«.

»Das »Magengromeln« (Knurren im Magen) plagte ihn alle Tage; nahm er etwas dagegen ein, so bekam er das »saure Geblüt«, welches sich besonders durch »Sengen« (Sodbrennen) kundgab. Nahm er nichts ein, so drohte die »Schlagelsucht«, da kam ein Zustand über ihn, den der Stausel selbst am besten zu schildern wußte: »Just souviel schricki bin ih. Wans himlazt (blitzt) oder dunnert, do schreckts mih, wans sist wou an Rumpla mocht, do schrecks mih, wan gach a Schuß sollt, do schrecks mih ah! Da sollt ma 's Geblüat van Koupf owi, ganz owi und wird ma blow vor n Augnan.« Wenn der baumstarke Holzknecht und Wildschütz mit kläglicher Fistelstimme[67] solches sagte, da war es ordentlich zum Weinen, falls man nicht hätte lachen müssen.

Manchmal hatte er, besonders nach Anstrengungen, ein krebsrotes Gesicht, aber das kam nur vom »sauern Geblüt«; oft mußte er, besonders im Sommer, arg schwitzen, das kam aber nicht von der Hitze, sondern vom »sauren Geblüt«. Ein Bauernarzt hatte ihm geraten, recht viele Süßwurzeln zu essen, es half aber nichts. Zucker aß er in ganzen Stücken, die er mit den Zähnen zerknackte. Honig aß er löffelweise, es half nichts, das Geblüt wurde alleweil noch saurer. »Es steht oh,« sagte er mit ergebener Miene. »Däs is holt a sou, wia ba da Milch, in da großn Hitz oder in an schlechtn Gschirr wirds saur, zageht, wird Wosser und Toupfn – astn kon mas weckschüttn. Mit mein Geblüat is s akrat a sou. Da Bruggnthomerl (das war der Winkelarzt) hot gsogg, sa long nouh an oanzigs guats Bluatströpfl in mir war, wurds as holtn, wiar oba s leßti Tröpfl saur is, astn is s gor.« – Wiederholt hatte der Kristenstausel sich Egel setzen lassen, aber die waren auch nicht so dumm, als sie aussahen, das süße Blut sogen sie ihm aus, das saure ließen sie ihm drinnen.

Fast noch schlimmer als das »saure Geblüt« war der »Knochenschimpel«. Bei den Zähnen hatte er angefangen, die wurden braun und morschten ab, so viel er auch Tabak kauen mochte, was dagegen das beste Mittel ist. Dann kam's in die Fuß- und Handknochen, dort zwickte und zwackte es, bohrte und »bremselte« (juckte), und das war der »Knochenschimpel«. – »Die Boan«,« sagte er, »wern ma schimpel (schimmelig), wiar a Stuck Brot in an Keller. Zerst, moant da Bruggnthomerl,[68] wurdns rauch wiar a Budlhaubn, astn wia die Knouchn über und üba rauch sein, astn frißt sih da Schimpel einwendi eini, astn wirds Geboan morb wiar a Mouder und astn bricht da Mensch zsom wiar a faula Bam.«

Gegen diesen fatalen »Knochenschimpel« gab es nur ein Mittel, des Abbeten. Die alte Holzmieslin, eine in wunderwirkenden Dingen erfahrene Frau, strich ihm mit dem Daumen kreuzweise über Arme und Beine: »Menschenhand (oder Fuß), ich streich dich, Menschenhand, ich bekreuz' dich, mit unseres Herrn Jesu Kreuz und Pein soll dein Fleisch und Bein gesegnet sein, heilig, heilig, heilig sei der Herr Sabaoth in alle Ewigkeit, Amen.« – Als auch das nicht anschlagen wollte, sagte die Holzmieslin: »'s is ols zspot, da Schimpel hat sih scha z'weit einigfräissn.«

Also wurde es mit dem Stausel immer schlechter und auch die »Schlagelsucht« trat immer drohender hervor. »Mitn Schagel (Schlag) däs is a sou,« belehrte uns der Stausel über seinen Zustand: »An iada Mensch hot in sein Koupf drei Bluatstroupfn, de henkn in Hirn, as wia die Tautroupfn af an Grosholm. Wan da rechti Bluatstroupfn owifollt, seln straft (streift) in Menschn s Schlagl af da rechtn Seitn; wan da linggi Troupfn owifollt, selm strafts n af da linggn Seitn, und wan da mitteri Bluatstroupfn owifollt, selm trifftn s Schlagl ban Herzn und da Mensch is hin.«

Also war es eines Tages nachdem das »Magengromeln« und das »saure Geblüt« schlimme Ausdehnung gewonnen hatten und nur mehr ein einziger guter Tropfen im Hirne hing, daß der Stausel unter dem »Knochenschimpel« plötzlich zusammenbrach und zu gleicher[69] Zeit, wahrscheinlich durch die Erschütterung, der Blutstropfen herabfiel. Und gerade zur selben Stunde trat ich, der Schafhirte, in die Holzknechthütte des Heschelwaldes.

»Peda!« röchelte der Sterbende und hob ein wenig seine Hände mit den ausgespreiteten Fingern, »mit mir is s vabei. Mih hot s Schlagel trouffn, s Herzschlagel hot mih trouffn. – Bist mar ollaweil liab gwen, Peda, sullst ah an Ondenkn va mir hobn, lous zua. In mein Gwondtrühel findst a blows Schachterl, däs ghört dein, schütts nit aus. Frouschaugn. Jh hons amol von an oltn Zigeuner kriagg für a Trum Speck und a Pfeifn Tabak. Er hot de Frouschaugn nit brauchn kina, weil er ka Suntakind is gwen; ih hons ah nit brauchn kina, weil ih ah koans bin. Du bist a Suntakind, du konnst as brauchn. Ollamol, wans Manscha vul is (bei Vollmond), nimst a Frouschäugl ein und konnst da dabei wos wünschn.«

Soweit sprach er, da war wieder der Herzkrampf da, der sogar durch das »Schlagel« nicht umzubringen gewesen. Ich nahm die blaue Schachtel aus der Gewandtruhe, wünschte ihm »baldige Gesundheit«, obzwar er schon so viel als tot war, und ging meinen Schafen nach.

Kurze Zeit darauf bin ich in eine andere Gegend verschlagen worden. Die geerbten Froschaugen waren erbsengroße, grünlich-graue Kügelchen. So oft Vollmond war, schloß ich mich in meine Kammer und bei verriegelter Tür und bei vernageltem Fenster und Kopf zerrieb ich mit einem Stein und großer Feierlichkeit ein Froschauge, nahm das Pulver auf die Zunge, und während ich mir einen Wunsch dachte, war es verschluckt. Die Wünsche gingen fast allemal in Erfüllung, nur manchmal etwas ungeschickt. So zum Beispiel wünschte ich mir gleich[70] beim ersten Vollmond eine Tabakspfeife und richtig, schon am nächsten Tag, als mir die Schafe auf das Kornfeld gekommen waren, schmiß mir der Großknecht aus Zorn die seine an den Kopf. Der Wunsch nach einem »lieben Dirndel« wurde vom Vollmonde so verstanden, daß ich ein junges Schwesterlein bekam, das sechste Geschwister, welches mir die Milch wegtrank, die ich sonst des Morgens von der Mutter erhalten hatte. Am redlichsten erfüll ward der Wunsch nach einem Schnurrbart, nur daß der zehn Jahre nachher kam. Im ganzen beklagte ich mich über die schlechten Froschaugen und meinte, sie würden eben schon zu alt und abgestanden sein, um noch zu wirken. Eines Besseren belehrte mich jedoch der Meßnerhansel, der erinnerte daran, daß solche Froschaugen nur bei einem Sonntagskinde angriffen, ich aber als eins von einem (wahrscheinlich blauen) Montag im Kirchenbuch stünde. Schlau wie ein Advokat fragte mich der siebenspannige Schuster (so geheißen, weil er sieben Gesellen hatte), wie der Wortlaut gewesen sei, mit welchem der selige Kristenstausel mir die Froschaugen vermacht habe. »Ja,« meinte ich, »er hat halt gesagt, daß ich sie am Vollmond einnehmen soll und mir dabei was wünschen könnte.« Da hielt der Siebenspannige mir einen alten zerrissenen Stiefel hin und sprach: »In der Thomasnacht um zwölfe schrei in diesen Stiefel hinein: sali en dami! Dann stecke ihn rasch an den linken Fuß, und dabei kannst du dir auch was wünschen. Wohlgemerkt, wünschen kannst du dir, was du willst – ob's in Erfüllung gehen wird, weiß ich nit. Der Stausel wird's auch nit gewußt haben. – Sali en dami! Jetzt war ich um ein ganzes Streichholzköpfchen klüger.[71]

Dann waren die vielen Jahre vergangen und nun kam das Weitere. Als Student durchwanderte ich wieder einmal jene Gegend. Da wurde ich eines Tages vom Gewitter überrascht. In einer schief in den Grund gesunkenen Waldhütte nahm ich Zuflucht. An der Tür stand ein braunes knochiges Weib, das hatte Haare auf den Gesichtswarzen und auf den Zähnen und rief, als sie mich sah, mit einem kurzen Gekreisch ihre Brut herbei. Diese kam aus den dunkeln Tiefen des Nestes hervor und bestand aus drei jungen, stattlichen Dirnen, die mich anglotzten. Mit zottigen Mähnen (eine hatte aber das Haar kurzgeschnitten) kamen sie auf breiten Pfoten langsam herangestapft. Sie hatten alle Männerjacken an und eine nebelte aus der Tabakspfeife. In wehrhafter Stellung standen sie mit ihren plumpen Gliedern da, während ich unter Sturm und Regen mit der Alten verhandelte, ob man eintreten dürfe. Endlich standen die Dirnen ein wenig beiseite, so daß ich mich an ihren strammgestemmten Ellbogen vorüber knapp in die Hütte zwängen konnte. Da drin war's schier finster und dumpfig. Es roch nach modrigem Holz, altem Leder und feuchtem Gewand. Als die Augen sich ein wenig zurechtfanden, sah ich im Winkel des Kachelofens einen großen Mann sitzen. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen aufs Knie und tat nicht viel desgleichen. Auf dem Kopfe hatte er eine schwarze Zipfelmütze tief über die Ohren herabgezogen, ein schwarzer Bartwisch stand ihm unter der Nase hervor. So oft es blitzte oder donnerte, zuckte er zusammen und dabei zog er die Zipfelmütze immer noch krampfhafter über Ohren und Augen herab. Ich fragte das Weib, ob er ihr Mann[72] sei; sie hatte darauf gar keine Antwort, sondern rief auf ihn hin: »Olta Norr, Stausel, 's tuat jo nix, 's is schon übri hintern Berg und wird wieda liachta.«

Nun erkannte ich einen alten Bekannten, den Kristenstausel, der vor so vielen Jahren an Knochenschimpel, Herzschlagel und noch an mehreren andern Krankheiten gestorben war. Daß er jetzt noch lebte, war lediglich dem Umstand zu verdanken, daß damals die reißenden Krankheiten sich gegenseitig selber auffraßen und den Kranken glücklicherweise verschonten. Das erzählte er mir bald, denn mir wurden sofort miteinander gesprächig. Auch erinnerte er sich noch des einstigen Schafhirten, von dem er gehört, daß er seitdem ein Graf geworden sei, was ihn gar nicht Wunder genommen, weil selbiger ja die Froschaugen gehabt hätte. – Als es dazumal mit dem Sterben nichts gewesen war, hatte er's mit jener Geißhirtin versucht und es mit vieler Übung richtig so weit gebracht, das Stücklein vom »Hirsch übern Boch« in einem Atem hersagen zu können. Darauf nahm sie ihn und erzeugte mit ihm etliche Hünenkinder, von welchen sich sogar die Dirnen derartig entwickelten, daß von den Leuten ihre Dirnenhaftigkeit angezweifelt wurde. Burschen, welche Versuche machten, darüber ins klare zu kommen, wurden durchgeprügelt und hinausgeschmissen.

Mit dem Stausel stand's doch immer noch armselig. Zur Zeit war er lahm, gichtbrüchig und hatte nebst Schwindsucht, Milzbrand, Wassersucht und andern schrecklichen Krankheiten den Zapfelfall, den Hirnschwund und den Leberkrebs. Seit etlichen Tagen war er heiser. »Jo,« hauchte er, »'s Zapfel is mar ohigfolln. Die Kuhlerliesel kunts wieder auffaziachn, is oba hiaz z'Fischboch entn.«[73]

Hat nämlich, um dir, lieber Leser, seine weiteren Ausführungen zu verdeutlichen, jeder Mensch in der Kehle ein Fleischzäpfchen; wenn du in den Spiegel schaust, kannst es sogar an dir selber sehen. Nun, dieses Zäpfchen fällt dem Menschen manchmal hinab in den Magen und dann ist er heiser und kann kein lautes Wort sprechen. Oben mitten auf dem Scheitel hat der Mensch ein bestimmtes Haar, und wenn man daran zieht, so kann man wie durch eine Schnur das hinabgefallene Zäpfchen wieder herausziehen in die Kehle. Aber die wenigsten finden unter den tausend Haaren das rechte auf dem Scheitel, diese Geschicklichkeit muß angeboren sein. Die Köhlerliesel kann es, aber solches Weibsbild war jetzt in Fischbach drüben und so mußte der arme Stausel sein Zapfel im Magen liegen lassen, bis sie zurückkehrt. Ja, wenn er sich nach Fischbach hinübertragen lassen könnte! Gehen kann er nicht einen einzigen Schritt, vor lauter Knochenschimpel.

Viel schlimmer war der Hirnschwund. »Mitn Hirn is 's a sou,« unterrichtete mich der Stausel, »wan da Mensch olt wird, aftn geht eahms Hoar aus. Wan eahm 's Hoar ausgeht, aftn schlogg d' Sunhitz durchn Koupf und aftn hebb' 's Hirn on zan zagehn (zum schmelzen) wiar a Speck oder a Buda zageht ba da Hitz. Und mei Hirn zageht mar ah, destwegn bin ih imeramol souviel damasch und wirfli (schwindelig), daß ih go nit dastehn mog. Bis 's leßt Batzl Hirn zagongen is, sogg die Kuhlerliesel, aftn wirds gor mitn Menschn. Derawegn, mei Koppn, mei Koppn!« – Also hatte seine Kappe dreifachen Zweck, die Augen vor dem Blitz, die Ohren vor dem Knall und das Hirn vor dem Sonnenstrahl zu bewahren.

Die weitaus schlimmste und schrecklichste Krankheit[74] des Stausel jedoch war der Leberkrebs. Mit bewundernswerter Gelassenheit erzählte er mir, daß er schon über dreißig Jahre lang an diesem Übel leide. Bei einem unvorsichtigen Wassertrunk hatte er wahrscheinlich ein junges, ganz kleines Krebslein mitverschluckt. Das fiel ihm erst auf, als er immer Magenzwicken hatte, natürlich, als das Tier im Magen größer ward, hub es an, seine Scheren zu gebrauchen. Der Bruggenthomerl war schon lange tot, so ging der Stausel zum Kofelschneider nach Stanz, der aber verstand es nicht. Der Kofelschneider gab eine Medizin, die das Vieh abwärts treiben sollte, ohne zu bedenken, daß ein Krebs nicht vorwärts, sondern rückwärts geht. Und so war er richtig statt in den Bauch hinab in die Leber heraufgestiegen. »Hät d' Medrizin,« sagte der Stausel ganz richtig, »h er aufgloadt, gstott hino, so war 's longschinkad Mistviach zrugg owi und untasih aus. Hiazt hot sa sih in da Leba festgsetzt, und do zwickts und grobbs und beißts und frißts und ka Mensch bringgs mehr außa. Und däs is a sou: Bis da Krebs d' Leber aufgfressn hot, is 's gor mit an Menschn.«

Während der alte Stausel mir sein ungeheueres Elend also vorstellte, hub seine Heiserkeit wesentlich an zu schwinden, als ob das »Zapfel« gar nicht warten wollte auf die Köhlerliesel, sondern ganz aus eigener Kraft sachte heraufstiege an seinen angestammten Platz. Das Gewitter hatte sich auch verzogen, und so konnte der Stausel guten Muts fortfahren, mir von den unzähligen merkwürdigen Krankheiten zu berichten, die in seinem Körper seit länger als fünfzig Jahren daran arbeiteten, ihn umzubringen. Er wurde dabei völlig munter und[75] stopfte sich langsam eine Pfeife an. Während er mit verzerrtem Gesichte den Rauch mühsam aus dem Rohre sog und ausspuckte, jammerte er seinem Weibe vor, daß es ach! wohl schon ganz mit ihm zu Ende sei, weil ihm der Tabak so gar nicht mehr schmecke. Sie brachte ihm zu Trost einen großen Topf mit Kaffee. Die Hünenbrut des alten Stausel ernährte ihn reichlich im Walde, versorgte ihn mit allem andern, damit er sich ganz seinen merkwürdigen Krankheiten widmen konnte. Während der Stausel den Kaffee mit einem großen Holzlöffel bedachtsam ausschaufelte, schwieg er und gab sich mit Feierlichkeit dem Genusse hin. Als die braune Suppe alle war, wischte der Alte den Löffel mit der Zunge ab, steckte ihn an ein Seitenhenkelchen seiner Lederhose, wo er vorher gesteckt hatte, und begann wieder, sein Elend zu betrachten. Alle andern Krankheiten zusammen, meinte er, fürchte er noch immer nicht so sehr, als die eine, das »Pfnausen«. Was das wäre? fragte ich; da legte er die Spitzen zweier Finger an seine Stirn, schloß die Augen, tat den Mund auf und nieste. »Helf uns Goud!« rief das Weib. »Orma Stausl, muaßt scha wieda sou viel pfnausn!« – »Däs is die ollagfahrlicherst Kronkhat!« seufzte der Stausel, »ba koaner ondern Kronkhat wird da Mensch so viel Helf uns Goud sogn wia ban Pfnausn. Däs bringg mih um, werds as scha sechn, meini Leut, 's Pfuausn bringg mih um.« Als er merkte, daß ich ungläubig war, fuhr er fort: »Däs is holt a sou: an iada Mensch muaß pfnausn. Koana pfnaust öfter, as wos er Hoor am Leib hot. Hot da Mensch sar ouft pfnaust, nochha tuat er in letztn Pfnauser und pfnaust sei Seel aus, und aftn is 's gor.«[76]

Um die Zeit, da ich so ganz zufällig in die Behausung des todkranken Stausel geraten war, zählte der Mann fünfundachtzig Jahre. Und siehe, dieser Mensch, der schon vor einem halben Jahrhundert von sich und andern aufgegeben war, ist nun wenige Wochen nach meiner Begegnung – geheilt worden.

Das ging so zu. Der Stausel hatte einen alten Kugelstutzen, eine sichere Hand und ein scharfes Auge. Aug' und Hand, meinte er oft, sei an ihm noch das beste, alles andere wäre dem Juden zu schlecht. Da mußten seine Töchter den lahmen Mann manchmal, wenn der grausam strenge Jäger Martin weit weg war, hinaustragen in den Wald, wo er hernach zwischen Jung) wachs kauerte und auf das Reh oder den Hirschen wartete. Und an diesem Tage nun kam anstatt des Hirschen der Jäger Martin, und als er den Wildschützen sah, riß er sein Gewehr von der Schulter, um ihn anzuschießen. Heisa, wie jetzt der Stausel aufsprang und durch das Dickicht lief, hinab gegen die Hütte! Als seine Leute ihn so über die Maßen flink dahereilen sahen, meinten sie heilig nichts anderes, als der Stausel habe den Tod in die Hütte gehen sehen und spute sich nun, ihn nicht zu versäumen.

Allerdings fiel er, hier unter sicherer Hut, sofort wieder in sein schweres Siechtum, aber ich dächte doch, man sollte dort, wo das Wunder geschah, eine Votivsäule errichten und darauf schreiben: »Hier ist ein lahmer Mann gehend worden, heiliger Jäger Martin, dir sei Lob' und Ehr'!«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 65-77.
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