IV.

[146] Der Förster begab sich nur höchst selten in den Marktflecken; sein Leiden und die damit verbundene Griesgrämigkeit hinderten ihn daran. Mußte es aber doch hin und wieder aus zwingenden Gründen geschehen, so blieb er auch meistens gleich bis tief in die Nacht hinein unten hängen. Denn er pflegte alsdann das Honoratioren-Wirtshaus aufzusuchen, wo der seltene Gast mit großer Zuvorkommenheit empfangen wurde; das gute böhmische Bier und eine Tarockpartie taten das übrige, um[146] den brummigen Alten auftauen zu lassen, der sich, einmal in Fluß gekommen, als sehr gemütlicher und lustiger Gesellschafter erwies.

Das war auch in dieser Zeit einmal der Fall gewesen. Ich saß noch mit der Försterin, die ihn stets mit einiger Ängstlichkeit erwartete, beim Lampenschein am Tische, als er nach Hause kam. Er sah sehr heiter aus, und während er sich's bequem machte, sagte er: ›Wißt ihr das Neuste? Der ganze Ort ist voll davon. Der Sohn des Bürgermeisters hat eine Liebschaft mit der jungen Kratochwil.‹

›Was du nicht sagst!‹ rief die Försterin verwundert aus.

Ich aber wußte es ja, und zuckte daher nur die Achseln.

›Eine schöne Bescherung für den Herrn Papa‹, fuhr der Alte fort. ›Nun kann er leicht fluchen und wettern und dabei schwören, er wolle die ganze Familie ins Zuchthaus bringen. Daran hätte er früher denken sollen, jetzt ist es zu spät.‹

›Nun, es wird ja nicht so arg sein‹, meinte die Frau.

›Arg ist es, sehr arg. Der schwachköpfige Lali, der schon als Bub' immer hinter den Weibsbildern her war und von ihnen beständig zum Narren gehalten wurde, ist endlich vor die rechte Schmiede gekommen. Das nichtsnutzige Mensch hat ihn natürlich gleich mit offenen Armen empfangen. Und nun er den Braten geschmeckt, heult und flennt er und droht, er werde sich umbringen, wenn man ihm die Maruschka nimmt.‹

›Jesus Maria! Der Schlingel!‹ stieß die Försterin halblaut hervor, indem sie die Hände faltete.

›Tun wird er's freilich nicht, aber ihre liebe Not werden die Eltern mit ihm haben; der verzogene Bursch war ja seit jeher gewohnt, seinen Willen durchzusetzen. Jetzt lassen sie ihn freilich nicht mehr allein über die Straße, sonst aber achteten sie, trotz aller Affenliebe für den einzigen, nicht darauf, daß der Tagdieb unter dem Vorwande, nach den Feldern zu sehen, beständig vom Hause fern war. Man hätte sonst früher dahinter kommen müssen. Merkwürdig ist es überhaupt, daß auch sonst[147] niemand darauf verfiel, obgleich man sich allgemein wunderte, daß die Maruschka ganz schmuck und sauber einherging und ihr Vater aus dem Rausch gar nicht mehr herauskam. Aber wissen Sie, Pernett,‹ fuhr der Förster fort, indem er mich streng anblickte, ›wissen Sie, daß wir eigentlich in die Geschichte mit verwickelt sind? Denn raten Sie einmal, wo das saubere Liebespaar seine Zusammenkünfte gehalten? In unserem Revier – oben beim Heger, der ihnen den Unterschlupf im Walde verstattet. Wahrscheinlich hatte ihm der Junge eine Zeitlang Geld zugesteckt, schließlich aber mochte es dem alten Gauner vorteilhafter geschienen haben, das Geheimnis um eine runde Summe zu verraten. Miserabler Lump! Aber da es nun einmal geschehen ist, habe ich im Grunde doch meine Freude daran.‹

Wir waren noch nicht lange zur Ruhe gegangen, als plötzlich die Hunde in ein wütendes Gebell ausbrachen und die Hausklingel mehrmals hintereinander hastig gezogen wurde. Da ich noch nicht schlief, so war ich bald bei meinem Stubenfenster, das dem Tore zunächst lag, und blickte, einen Flügel öffnend, hinaus. Draußen im Dunkel standen zwei Männer. Es waren Arbeiter, die bei einem Neubau außerhalb des Ortes verwendet wurden und, wie sie sagten, in einem offenen Schuppen genächtigt hatten. Von dort aus hätten sie einen starken Feuerschein bemerkt, der aus dem oberen Teil des Waldes gegen den Himmel aufstieg. Sie wären gekommen, uns davon zu benachrichtigen und sich im Falle der Not zur Verfügung zu stellen.

Kaum hatte der Förster, im Bette halb aufgerichtet, diese Kunde vernommen, als er auch schon mit einem Satze auf dem Boden stand. ›Ein Waldbrand?‹ schrie er, indem er mit ungewohnter Schnelligkeit in seine Kleider fuhr. ›Ein Waldbrand? Aber wie ist denn das möglich?‹ setzte er, sich besinnend, hinzu. ›Bei diesem feuchten Nebelwetter? Auch war die Nacht ganz windstill, als ich heimkehrte.‹[148]

›Das ist sie noch‹, entgegnete ich, neuerdings hinausblickend. ›Meiner Meinung nach könnte höchstens das Hegerhaus brennen.‹

›Sie haben recht; so wird es sein. Und dann hat auch die junge Kratochwil das Feuer gelegt, um sich an dem Manne zu rächen.‹

Mich selbst hatte dieser Gedanke sofort durchzuckt.

›Eilen Sie nur gleich hinauf‹, fuhr der Förster fort, ›und sehen Sie nach. Die Männer können Sie zur Vorsorge mitnehmen; ich folge Ihnen, sobald ich mich wärmer angekleidet habe.‹

›Ich denke, Sie können sich's ganz ersparen‹, sagte ich, mich rasch fertig machend. ›Es kann keine besondere Gefahr dabei sein; das kleine Haus steht ja auf einer ausgedehnten Lichtung. Sie mögen übrigens in Bereitschaft bleiben, und wenn es not tut, sende ich nach Ihnen.‹

Dies leuchtete auch der Försterin ein, die schon die hohen Filzstiefel des Alten hervorgesucht hatte, und dieser stimmte zu, während ich mit den Männern abging. Wir hatten zwei Laternen mitgenommen und schlugen bei Nacht und Nebel gleich den kürzesten, wenn auch beschwerlichsten Weg ein. Es dauerte nicht lange, so verspürten wir bereits leichten Brandgeruch, der immer eindringlicher wurde, und als wir endlich auf die Lichtung hinaustraten, schimmerte uns die rötliche Glut verglimmender Balken, die um das Haus herumlagen, durch die Dunkelheit entgegen. Der Brand war also schon erloschen und keine weitere Gefahr mehr zu besorgen; auch der Schaden erwies sich als nicht sehr bedeutend. Bloß der Dachstuhl war herabgebrannt; die Mauern standen unversehrt; selbst ein kleiner, ganz in der Nähe befindlicher hölzerner Stall war von den Flammen verschont geblieben. Ich fragte die Hegerleute, welche eben beschäftigt waren, einige ins Freie geschaffte Habseligkeiten wieder einzuräumen, auf welche Art das Feuer ausgebrochen sei? Die Frau erwiderte darauf hastig und einigermaßen[149] verwirrt, sie könne nur glauben, daß es böse Menschen gelegt hätten. Es gäbe einige Wilddiebe, die ihrem Manne schon längst Rache geschworen; auch wäre es immerhin möglich – sie blieb plötzlich in ihrer Rede stecken, da ihr der Heger, wie ich bemerkte, einen grimmigen Blick zuwarf. Die Erörterung war ihm offenbar unangenehm, und er sagte jetzt mit einem gewissen Trotz: ›Wir können niemanden anklagen. Die Oktobernächte sind bereits empfindlich kalt, und da haben wir, der Kinder wegen, noch spät am Abend geheizt. Der Ofen aber ist alt und schadhaft – und der trägt wohl die Schuld an dem Brande. Übrigens war der Schrecken, den wir ausgestanden, das Ärgste; alles andere ist kaum der Rede wert. Dachsparren und Schindeln waren ohnehin schon morsch und verwittert, und hätten bald durch neue ersetzt werden müssen.‹

Diese Erklärung, sowie das ganze Benehmen der Leute erschien hinreichend, Maruschka in meinen Augen des Frevels zu entlasten, den ich ihr zugemutet; der Förster jedoch hielt bei meiner Rückkehr mit der ihm eigenen Verbissenheit an seinem Argwohn fest und meinte, der Heger habe wohl seine guten Gründe, die Schuld auf den Ofen zu schieben, damit die Rolle, welche er bei dem Liebeshandel gespielt, nicht weiter zur Sprache käme. Aber nicht bloß der Alte war überzeugt, daß das Mädchen den Brand gelegt: die Kunde verbreitete sich im Orte selbst wie ein Lauffeuer und wurde sofort zur unzweifelhaften Tatsache. Man sprach von nichts anderem und fragte sich entrüstet, wie es denn komme, daß die Verbrecherin noch immer frei und unbehelligt umhergehe. Infolgedessen fand sich auch das Gericht veranlaßt, von der Sache Akt zu nehmen und Maruschka einem strengen Verhöre zu unterziehen. Da diese aber ihre Schuld auf das entschiedenste in Abrede stellte und auch nicht der Schatten eines wirklichen Beweises gegen sie vorgebracht werden konnte, so mußte der Gerichtsleiter, der diesen Ausgang vorhergesehen, alles weitere auf sich beruhen lassen, zeigte sich aber, um die Gemüter zu beruhigen, gerne bereit, den Antrag[150] zu unterstützen, den der Bürgermeister, nunmehr durch die Umstände begünstigt, an die Statthalterei zu richten fest entschlossen war, nämlich: die bereits wegen Einbruchs abgestrafte Marie Kratochwil, welche, in unverbesserlicher Arbeitsscheu verharrend, der öffentlichen Sittlichkeit sowohl, als auch der allgemeinen Sicherheit gefährlich erscheine, möge zur Abgabe in eine Korrektionsanstalt bestimmt werden. Und da nun der Ortsvorstand begreiflicherweise mit vollen Segeln ins Zeug ging, sich nach der Landeshauptstadt begab, um dort persönlich alle Hebel in Bewegung zu setzen, so langte auch bald der Bescheid herab, daß das Mädchen zu einjähriger Zwangsarbeit einzuliefern sei. Maruschka, bis dahin in Gewahrsam gehalten, wurde also eines Tages, ohne daß ich sie mehr zu Gesicht bekommen hätte, unter Gendarmeriebegleitung zur Bahn gebracht und nach Brünn befördert.

Die Frau des Bürgermeisters hatte sich inzwischen mit ihrem Sohne, der, nachdem er sich eine Zeitlang wie ein Wahnsinniger gebärdet, in apathische Schwermut versunken war, zu entfernt lebenden Verwandten begeben, hoffend, daß der Wechsel des Ortes und der Umgebung seinen heilsamen Einfluß auf den Gemütszustand des Burschen nicht verfehlen würde. Dieses Mittel schien aber nicht angeschlagen zu haben; denn man wunderte sich bei seiner Rückkehr, wie schlecht und verfallen er aussah, und wollte seitdem bemerken, daß er ein in sich gekehrtes, heimtückisches Lungerleben führe. Bald hieß es auch, er habe mit dem Bruder der Maruschka Freundschaft geschlossen, treibe sich in dessen Begleitung an entlegenen Orten umher, und beide seien schon des öfteren in einem verrufenen Wirtshause nächst der Landstraße gesehen worden. Ja man behauptete sogar, daß er bei einbrechender Dunkelheit die Familie in ihrer Höhle aufsuche, sie mit Branntwein regaliere und mittrinkend schwöre: er und Maruschka würden doch noch ein Paar werden. Zwar stehe ihm im Frühling die Rekrutierung bevor, aber es wäre ihm, trotz der Absicht seines Vaters, ihn loszukaufen,[151] ganz recht, ein Paar Jahre beim Militär zu dienen. Wenn er dann wieder zurückkehre, sei er majorenn und niemand mehr könne ihm etwas befehlen oder verbieten, selbst seine Eltern nicht, von denen er übrigens glaube, daß sie nicht allzulange am Leben bleiben dürften. So wenigstens erzählte man sich; ich aber gestehe, daß ich stets eine eigentümliche Empfindung hatte, wenn mir der Bursche hin und wieder begegnete, bleich, hohlwangig und mit blöden Augen vor sich hin wie ins Leere stierend.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 9, Leipzig [1908], S. 146-152.
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