Die schererin mit der nasen

[108] In dem speten ton Frauenlobs.


18. juni 1538.


1.

Zu Augsburg ein bulerin was,

die neben eim balwierer saß,

des frau ir kuplet solcher maß:[108]

durch ir haus sie den bulen oft einließe.

Ein nachtes kam ir elich man,

doch im der buler gar entran,

bant er an einer seulen an

sein weib und hart raufet, schlug und stieße.

Er ließ sie bunden stan und gieng zu bete.

die balwiererin kam und mit ir rete,

ir bul wer noch in irem haus verborgen.

die frau die schererin erbat,

das sie sich bunde an ir stat,

die weil die bulerinne spat

zum bulen schlich, bis es nahet dem morgen.


2.

Um mitternacht der man erwacht,

flucht dem weib und ruft ir mit macht;

die schererin schweig und gedacht:

»gib ich antwort, so kost es meinen leibe.«

Als sie nun lang kein antwort gab,

lief er grimig die stiegen ab

und schneid ir balt die nasen rab,

wan er vermeint gewis, es wer sein weibe.

Vor tages kam sein weib vom bulen wider,

hort, was ir gspilen was geschehen sider;

die löst sie auf und bant sich an ir state,

und schrei laut: »du verfluchter man!

got hat an mir ein zeichen tan,

mein nasen mir geheilet an,

mein unschult anzeigt durch die wundertate.«


3.

Der man kam und fiel ir zu fuß:

»dein unschult ich bekennen muß,

sprach er, ich wil dir sein zu buß.«

die frau kapitelt in mit worten scharfe.

Die schererin ein list sann aus;

fru kam ir man aus dem wirtshaus,

sie fieng an mit im einen straus,

bis er mit einem scharsach nach ir warfe.[109]

Die frau schrei »mordio!« loff auf die strasen!

»mein man mir abgeworfen hat die nasen.«

der scherer wart mit ruten ausgehauen.

darbei ein man leichtlich ermißt,

wie war Sirach beschreiben ist:

kein list sei über frauen list.

wol dem man, der seim weib darf frolich trauen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 108-110.
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